Ich frage mich manchmal, ob die ärztliche Selbstverwaltung durch Ärztekammer und KV wirklich eine gute Idee ist. Denn städtische Ärzte – die Hauptwähler – scheinen oft deutlich besser wegzukommen als wir Landärzte.
Manchmal wünsche ich mir eine „Sendung mit der Maus“ für alle Ärzte zum Thema „ärztliche Selbstverwaltung“. Denn gefühlt wissen die wenigsten, wofür Ärztekammer und KV eigentlich genau da sind. Und gerade in dem Spannungsfeld zwischen Verwaltungsorgan und ärztlicher Interessensvertretung kommt es schnell zu Frust. Und es führt auch zu der Frage: Wollen wir überhaupt eine ärztliche SELBSTverwaltung – und wenn ja, warum?
Nehmen wir als Beispiel den Notdienst. Der sogenannte „Sicherstellungsauftrag“ ist eigentlich eine Sache, die die KV mit den Krankenkassen besprochen hat: Es ist eine zentrale Regelung, damit immer ein Nicht-Notfall-/Krankenhausarzt für die Patienten zur Verfügung steht. Vor langer Zeit war es nämlich so, dass theoretisch jeder Arzt immer für seine eigenen Patienten zuständig war (besonders doof natürlich bei der direkten Patientenversorgung, also bei Hausärzten und fachärztliche Primärversorgern wie Kinder- und Frauenärzten) und sich ggf. selbst um eine Vertretung kümmern musste, wenn er mal nicht greifbar war. Um dieses Problem zu umgehen, gibt es die gemeinsame Notdienstordnung von Ärztekammer und KV, in denen geregelt ist, wer sich wann um den Notdienst zu kümmern hat (und es gibt auch Sanktionsmöglichkeiten für Kammer und KV, wenn sich jemand nicht kümmert).
Aber mit dieser Notdienstordnung fängt der Ärger für uns Landärzte dann an. Denn dadurch, dass auf dem Land weniger Ärzte als in den Städten arbeiten, gibt es auf dem Land auch weniger Ärzte, die den Notdienst machen können (bei uns um die 40 auf 365 Tage) und in den Städten sind es dann halt viel mehr. Selbst wenn der Dienst aufgrund der vielen Einwohner dann doppelt besetzt ist, kommen die städtischen Ärzte auf deutlich weniger Dienste als wir (weniger als ein Fünftel). Der Leidensdruck der (meist städtischen) Repräsentanten in Kammer und KV, für uns Landärzte mit den vielen Diensten eine Lösung zu finden, ist entsprechend gering. „Warum seid ihr auch aufs Land gegangen?“ oder „Naja, dafür habt ihr auch weniger für eure Praxis bezahlt“ sind dann die Argumente, wenn man sagt, dass die Notdienstbelastung uns immer mehr zusetzt. Denn ja, weniger Dienste für uns bedeutet entweder eingeschränkte Versorgung für die Patienten – mit entsprechenden Konsequenzen sowohl für die Patienten als auch in der öffentlichen Wahrnehmung (NIEMAND will vor Reportern zugeben, dass eine medizinische Versorgung eingeschränkt wird) – oder es muss jemand anderes mithelfen.
Die hiesigen Krankenhäuser sind aber personell auch nicht auf Rosen gebettet und eine Krankenhausversorgung wäre für die KV teurer, ist also auch nicht erwünscht. Also müssten die Städter ran und bei uns aushelfen. Und die haben darauf schlichtweg keine Lust („ICH wollte ja nicht aufs Land, also warum sollte ICH dort Dienst machen“). Und da die Landbevölkerung eben meistens NICHT für jede Bagatelle zum Arzt rennt, sind die Dienste auch äußerst unlukrativ, was es nicht vereinfacht.
Das ist in den Gesprächen bei Fortbildungen durchaus mal Zündstoff – denn dann geht die Frage los: „Wer muss sich denn darum kümmern?“ Meiner Erfahrung nach sehen viele die KV und Kammer primär als Interessensvertretung/Lobby („Wir wählen die ja, damit die unsere Interessen vertreten“) anstatt als Verwaltungsorgan, das sich auch mit der wirklichen Versorgungssituation auseinandersetzen muss. Ich hoffe, dass die meisten Gewählten das nicht so sehen und sich nicht nur ihren (meist städtischen) Wählern verpflichtet sehen. Denn das würde erklären, warum wir da letztlich sitzen gelassen werden. Aber wenn die KV eine REINE Lobbygruppe/Interessenvertretung wäre, gehört die VERWALTUNG der ärztlichen Tätigkeit in andere Hände, damit es da auch fair zu geht. Natürlich muss ein Gleichgewicht gefunden werden zwischen den Interessen von Patienten, Krankenkassen und denjenigen, die im Gesundheitswesen arbeiten. Aber dann kann es nicht so sein, dass nur die Ärzte ihre Interessen unter dem Deckmantel „selbstverwaltet“ durchsetzen – es müsste für alle dort Beteiligten gelten und nicht nur für Ärzte. Das heißt, auch MFA/Pflege/etc. Also hoffe ich, dass sich Kammer und KV als Verwaltungsorgane sehen, die zwar unsere Belange kennen, aber auch die anderen Akteure im Blick behalten und fair behandeln.
Ich glaube aber, dass die aktuelle Situation sich auch in Kammer und KV widerspiegelt. Die Kammer und die KV versuchen den Spagat zwischen Wahrung der Interessen und Verwaltung (was mal besser, mal schlechter gelingt). Und bekanntermaßen ist ein Kompromiss dann gut, wenn alle Seiten gleich unzufrieden sind (frei nach Aristide Briand).
Was heißt das für unseren konkreten Fall mit den Dienstbelastungen? Das kommt sehr auf das Selbstverständnis unserer KV und Kammer an. Denn der Unmut der hiesigen Kollegen wächst und wenn wirklich auch unsere Repräsentanten in der Selbstverwaltung vor allem ihre Wähler (und damit eben mehr die Städter) schützen anstatt uns ebenfalls zu repräsentieren, dann gehen auch mir die Argumente aus, die ärztliche Selbstverwaltung zu verteidigen. Denn wenn wir es nicht fair hinbekommen, muss es vielleicht dann doch von außen geregelt werden. Ob das wirklich besser ist? Ich weiß es nicht – heutzutage scheinen die meisten mehr von Einzelinteressen geprägt als wirklich an einem tragfähigen Kompromiss für ALLE interessiert. Vielleicht zum Abschluss nochmal ein Zitat zum Thema Verwaltung und Demokratie, das ich sehr gut finde:
Demokraten, wie ich sie verstehe, müssen überzeugt sein, dass die Herrschaft im Sinne der größeren Zahl und nie im Interesse eines Verbandes von Einzelmenschen, einer Kaste oder einer Familie ausgeübt werden kann. Demokraten, wie ich sie verstehe, müssen begreifen, dass die Verwaltung des Staates, sein Budget, seine Macht, nur ein Mittel für die allgemeine Entwicklung sein darf, nicht seine Pfründe oder sein Leiten.
– Léon Gambetta
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