Die Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS) und führt zu multifokalen Läsionen, welche bei Betroffenen Defizite in allen neurologischen Funktionssystemen auslösen, in Schüben auftreten und sich progredient entwickeln können.¹ So definiert die S2k-Leitlinie die MS.
Das Erkrankungsalter liegt meistens irgendwo zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr.¹ Die häufigste Verlaufsform einer MS ist die schubförmig remittierende MS (RRMS). Frauen sind von dieser Form 2-3x häufiger betroffen als Männer.¹ Insgesamt leben in Deutschland etwa 280.000 Menschen mit MS.¹ Im Vergleich zu 1997, wo nur 120.000 Betroffene gezählt wurden, ist das ein deutlicher Anstieg.¹
Motorische Störungen können erste Symptome einer beginnenden MS sein. Darunter fallen etwa Lähmungen oder auch Sehstörungen.² Die Sehstörungen werden von Betroffenen als „Nebelsehen“ beschrieben, was ein Indiz für eine Entzündung des Sehnervs sein kann.² Zusätzlich kommt es zu Sensibilitätsstörungen, wie etwa ein Kribbeln der Haut, Taubheitsgefühle oder sogar schmerzhafte Missempfindungen.
Im Verlauf der Erkrankungen treten auch vermehrt Spastiken auf.² Diese spastischen Lähmungserscheinungen betreffen vor allem die Beine. Die Liste der späteren Symptome umfasst auch Blasenstörungen, etwa Inkontinenz, Fatigue, kognitive Beeinträchtigungen, Depressionen, Schwindel und Schmerzen.² Die Symptome sind vielfältig und können Betroffene massiv in ihrem Alltag beeinträchtigen. Doch es gibt auch Therapieoptionen, die diesen Patient:innen helfen können. Eine davon ist das Medizinalcannabis und wie genau es Menschen mit MS helfen kann, wird im Folgenden behandelt.
Die Behandlung von Betroffenen mit MS richtet sich nach der Art der Erkrankung. So gibt es neben der allgemeinen Schubtherapie, etwa mit Glukokortikoiden, auch die Möglichkeit mittels Immuntherapie zu behandeln.¹ Die Wirkung von Immuntherapien auf entzündliche Prozesse sei dabei am größten, wenn die Therapien früh im Erkrankungsverlauf verabreicht werden.¹ Darüber hinaus wird auch eine sogenannte Symptomtherapie herangezogen, die Erkrankten helfen soll, mit den MS-bedingten Symptomen umzugehen.¹ Hier findet auch Medizinalcannabis Anwendung.
Gerade in der Therapie von Spastiksymptomen scheint Medizinalcannabis besonders wirksam zu sein und wird daher sogar als Add-On Therapie in Leitlinien erwähnt.¹ Die Aufnahme von Medizinalcannabis in Leitlinienempfehlungen basiert unter anderem auf der Erkenntnis, dass das Präparat Nabiximols die Spastiksymptomatik in 40 % der untersuchten Fälle von Patient:innen, die bis dahin unzufriedenstellend behandelt worden waren und sogar in mehr als 30 % der Fälle von Nonresponder-Patient:innen, reduzieren konnte.³⁻⁵ Diese Daten stammen aus einer Metaanalyse³ und zwei doppelblinden, randomisierten Studien.⁴⁻⁵ Diesen Erkenntnissen schließt sich auch eine etwas jüngere Review der aktuellen Studienlage zum Einsatz von Medizinalcannabis bei MS an.⁶ In insgesamt 33 in der Review berücksichtigten Studien zeigte sich eine Verbesserung der Spastik, aber auch von weiteren Symptomen wie etwa Schmerzen oder Symptomen des Urogenitaltrakts.⁶ Die Review schlussfolgert, dass Nabiximols sicher und wirksam ist für den Einsatz bei MS-bedingter Spastik, wenn Betroffene mit Therapeutika aus der sogenannten ersten Linie nicht therapiert werden können.⁶
Unterstrichen wurde diese Schlussfolgerung jüngst durch die offene, nicht interventionelle Studie GAIMS (Goal Attainment in MS Spasticity) mit 51 Patientinnen und Patienten mit MS-Spastik aus 17 deutschen Behandlungszentren. Ziel war dabei die individuelle Symptomverbesserung, die als Anstieg des Goal-Attainment-Scale (GAS)-Scores gemessen wurde.⁷
In den zwölf Wochen der Behandlung war der GAS-Score um 46 % angestiegen, und etwa zwei Drittel der auf Spastizität ausgerichteten Behandlungsziele wurden erreicht. Dabei übertraf die Symptomlinderung in vielen Fällen sogar die Erwartungen der Erkrankten, insbesondere beim Thema Fatigue.⁷
Die 51 teilnehmenden Patientinnen und Patienten nannten Schmerzlinderung (68,6 %), Verbesserungen der Gehfähigkeit (52,9 %) und des Schlafs (49 %) am häufigsten, zudem waren klinisch signifikante Fortschritte in den Bereichen Spastik, Schmerzen, Schlafqualität und Blasenfunktion zu beobachten – so hatten auf der Ratingskala u.a. Werte für Spastik (-52,7 %) und für Schmerzen (-53,1 %) abgenommen.⁷
Aber auch andere Cannabinoide sind, laut Leitlinie, als Add-on-Therapien in Erwägung zu ziehen, wenn oromukosale Antispastika von Erkrankten nicht vertragen werden.¹ Zusätzlich kann Medizinalcannabis auch zur Therapie von MS-bedingter Dranginkontinenz herangezogen werden.¹ Dadurch komme es zu einer Reduktion der Inkontinenzepisoden.¹ Mit dem Einsatz von Medizinalcannabis als Add-On-Therapie oder nach Ausschöpfung anderer therapeutischer Maßnahmen, kann der Leidensdruck von Patient:innen reduziert und das Leben mit MS erleichtert werden. Sogar in der Palliativversorgung von Patient:innen mit MS kann Medizinalcannabis Abhilfe bei den oben genannten Symptomen verschaffen und so auch am Ende der Lebenszeit die Lebensqualität von Betroffenen verbessern.¹
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