Bislang lässt sich das Fortschreiten der Parkinson-Krankheit nicht aufhalten. Doch mit einer neuen Therapie hat das jetzt bei Patienten im Vorstadium der Erkrankung geklappt. Hier kommen die Details.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Die Parkinson-Krankheit ist die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung mit stark steigender Inzidenz. Zwar gibt es etablierte Therapien, mit denen sich die motorischen Symptome für einige Jahre in Schach halten lassen, doch das Fortschreiten der Krankheit kann bislang nicht aufgehalten werden. Deshalb sorgt ein kürzlich in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlichter Bericht über die Behandlung von zwei Personen, einer Frau und einem Mann, für Aufsehen.
Beide Patienten waren von einer REM-Schlafstörung betroffen, einem Symptom, das auf eine beginnende Parkinson-Erkrankung hinweist. Zudem zeigten sich auch in der funktionellen Bildgebung Parkinson-typische Veränderungen. Die REM-Schlafverhaltensstörung, an der die beiden behandelten Personen erkrankt waren, äußert sich in ungewöhnlichen Bewegungen während des REM-Schlafs.
Bei gesunden Menschen besteht während dieser Schlafphase ein entspannter Muskeltonus und es kommt, abgesehen von den Augen, zu keinerlei Bewegung. Die Augen hingegen sind in dieser Schlafphase in ständiger Bewegung. Sie zucken wild hin und her – daher kommt auch der Name REM-Schlaf („rapid eye movement“). Die Aktivierung der Muskulatur wird vom Gehirn verhindert, sodass wir unsere Träume nicht motorisch ausleben. Bei der REM-Schlafverhaltensstörung funktioniert die Hemmung der Muskulatur nicht mehr, es kommt zu ausgeprägten Bewegungen während des REM-Schlafes. Betroffene Patienten schlagen beispielsweise mit den Armen um sich, reden vor sich hin oder schreien plötzlich laut auf.
Die beschriebene Schlafstörung stellt an sich oft kein großes Problem dar. Manchmal erschrickt der Partner oder bekommt nachts plötzlich einen Schlag ins Gesicht. Das ist schon schlimm genug, aber noch wichtiger ist, dass diese spezifische Störung ein sehr hohes Risiko für die spätere Entwicklung einer Parkinson-Krankheit anzeigt. 85 % aller Betroffenen erkranken später an Parkinson.
Bei den beiden untersuchten Personen wurden neben der REM-Schlafverhaltensstörung auch in der funktionellen Bildgebung Parkinson-typische Veränderungen festgestellt. Im DAT-SPECT wurde ein Verlust von dopaminergen Neuronen in der Substantia nigra und im FDG-PET eine Verminderung des Stoffwechsels im hinteren Hirnbereich nachgewiesen – beides ist typisch für die Parkinson-Krankheit. Beide Personen werden also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit irgendwann an Parkinson erkranken, wenn nicht ein Medikament gefunden wird, mit dem sich das verhindern lässt. Und genau das könnte jetzt gelungen sein.
Beide Patienten wurden über einen Zeitraum von 22 Monaten mit Acetyl-DL-Leucin in einer Dosierung von 5 g pro Tag behandelt. Acetyl-DL-Leucin ist eine modifizierte Aminosäure, die sich bereits bei der Behandlung der seltenen Stoffwechselkrankheit Niemann-Pick Typ C als wirksam erwiesen hat. Das Molekül wirkt über eine Beeinflussung des Energiestoffwechsels. Zum einen wird die Energiebereitstellung in den Mitochondrien angeregt. Zum anderen hat es positive Auswirkungen auf den Abbau von Abfallprodukten des Stoffwechsels im lysosomalen System der Zellen.
Acetyl-DL-Leucin könnte also das Öl sein, das dafür sorgt, dass der Zellmotor wieder reibungslos läuft. Dies ist ein neuer, vielversprechender Wirkmechanismus. Bei den beiden behandelten Personen besserte sich die REM-Schlafstörung bereits nach drei Wochen und blieb dann über den gesamten Beobachtungszeitraum stabil. Nuklearmedizinische Untersuchungen zeigten zudem eine Erholung des Gehirns. Die Dichte der dopaminergen Neuronen in der Substantia nigra verbesserte sich deutlich und auch die Stoffwechselstörung im FDG-PET nahm ab.
Bisher handelt es sich nur um einen Bericht über die Behandlung von zwei Personen. Um den therapeutischen Effekt von Acetyl-DL-Leucin zweifelsfrei nachzuweisen, muss eine randomisierte, verblindete Studie durchgeführt werden. Die Ergebnisse der experimentellen Behandlung sind jedoch ermutigend. Während die klinische Besserung auch durch einen Placebo-Effekt erklärt werden könnte, ist dies bei der Verbesserung der Bildgebung unwahrscheinlich. Natürlich kann es sich auch um einen Zufallseffekt handeln. Die Verbesserung bei beiden Probanden mit unterschiedlichen Untersuchungsmethoden lässt jedoch hoffen, dass es sich tatsächlich um einen therapeutischen Effekt von Acetyl-DL-Leucin handelt.
Aus diesem Grund wurde der Bericht auch so hochrangig publiziert, obwohl keine kontrollierte Studie durchgeführt wurde. Der Leiter der Studie, Prof. Wolfgang Oertel, sagte gegenüber der Deutschen Gesellschaft für Neurologie: „Das ist so ungewöhnlich, das habe ich während meines ganzen bisherigen ärztlichen Berufs- und Forscherlebens noch nicht gesehen“. Wir dürfen also auf die Ergebnisse der Studien gespannt sein, die aufgrund der positiven Effekte nun zügig in Angriff genommen werden. Wir bleiben am Ball und werden wieder berichten, wenn es Neuigkeiten gibt.
Therapie mit Acetyl-DL-Leucin: Zwei Parkinson-Patienten im Frühstadium zeigten nach 22 Monaten Behandlung mit Acetyl-DL-Leucin deutliche Verbesserungen der REM-Schlafstörung und neuronalen Bildgebung.
Frühsymptome und Bildgebungsveränderungen: Beide Patienten litten zuvor an einer REM-Schlafverhaltensstörung und wiesen in bildgebenden Verfahren typische Parkinson-Veränderungen wie den Verlust dopaminerger Neuronen auf.
Notwendigkeit weiterer Studien: Obwohl die Ergebnisse vielversprechend sind, handelt es sich bisher nur um Fallberichte, und es bedarf größerer, kontrollierter Studien, um den therapeutischen Nutzen von Acetyl-DL-Leucin zweifelsfrei zu belegen.
Quelle:
Oertel et al. Acetyl-DL-leucine in two individuals with REM sleep behavior disorder improves symptoms, reverses loss of striatal dopamine-transporter binding and stabilizes pathological metabolic brain pattern—case reports. Nat Commun, 2024. doi: 10.1038/s41467-024-51502-7
Bildquelle: erstellt mit DALL-E