Patienten mit chronischer Nierenerkrankung leiden häufig auch an kognitiven Beeinträchtigungen. Doch offenbar lassen sich diese umkehren – lest hier, wie.
Menschen mit einer chronischen Nierenerkrankung (Chronical Kidney Disease, CKD) leiden häufig auch unter kognitiven Einschränkungen. Auch das Risiko für eine Demenz ist erhöht. Studien haben gezeigt, dass eine Nierentransplantation die kognitiven Defizite rückgängig machen kann – diese sind also behandelbar. Bisher war jedoch weitgehend unklar, welche Mechanismen zu den kognitiven Beeinträchtigungen führen.
Nun hat ein Forscherteam von der medizinischen Fakultät des Universitätsklinikums Leipzig in einer grundlagenwissenschaftlichen Studie untersucht, welche Prozesse zu den kognitiven Beeinträchtigungen, aber auch zu deren Umkehr beitragen. Die Ergebnisse könnten dazu beitragen, neue Behandlungsansätze zu entwickeln. An der Studie waren auch Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums München am Standort Leipzig, der Otto-von Guericke-Universität Magdeburg, der Medizinischen Hochschule Brandenburg in Neuruppin und des Leibniz Instituts für Neurobiologie in Magdeburg beteiligt. Ihre Ergebnisse sind jetzt in der Fachzeitschrift Kidney International erschienen.
In der Studie verwendeten die Forscher um die Fachärztin Dr. Dr. Silke Zimmermann eine Kombination aus Mausmodellen, Einzelzellanalysen, menschlichen Proben und In-vitro-Experimenten.
In einem chirurgischen Mausmodell, bei dem ein Teil des Nierengewebes entfernt wurde, beobachteten sie, dass die Mäuse eine geringere neuronale Kaliumfreisetzung hatten. Zugleich schnitten die Tiere in kognitiven Tests schlechter ab. Darüber hinaus ergab die Analyse der Genexpression, dass in den neuronalen Zellclustern von Mäusen mit chronischer Nierenerkrankung mehrere Signalwege betroffen waren, die mit neurodegenerativen Erkrankungen wie der Alzheimer-Krankheit, Morbus Parkinson oder Morbus Huntington assoziiert sind.
„Weiterhin konnten wir mithilfe der verschiedenen Analysen zeigen, dass die chronische Nierenerkrankung zu einer Aktivierung von Mikroglia-Zellen führt“, erläutert Zimmermann. „Das hat eine Reihe von negativen Effekten auf das Gehirn. So sezernieren Mikroglia-Zellen Interleukin-1β (IL-1β), was die Feinregulierung der Kaliumverteilung in den Nervenzellen des Gehirns stört.“ Mikroglia-Zellen sind spezialisierte Immunzellen des zentralen Nervensystems, die ähnlich wie Makrophagen Fremdkörper oder abgestorbene Zellfragmente beseitigen. Werden sie aktiviert, ist das oft mit entzündlichen Prozessen verbunden, die sich ungünstig auf das Gehirn und die kognitiven Funktionen auswirken können.
Typisch für eine chronische Nierenerkrankung ist eine Anhäufung von ausscheidungspflichtigen Giftstoffen, also die Urämie. Durch die beeinträchtigte Nierenfunktion kommt es zu einer Vergiftung des Blutes mit Substanzen, die eigentlich kontinuierlich mit dem Urin ausgeschieden werden müssen.
In der aktuellen Studie ergaben sowohl die experimentellen Ansätze an Zellkulturen als auch die Mausmodelle, dass die Urämie die Barrierefunktion der Endothelzellen im Gehirn beeinträchtigt. „Das bedeutet: Die Blut-Hirn-Schranke wird durchlässig, sodass toxische Substanzen ins Gehirn gelangen können, die die Mikroglia-Zellen aktivieren und zu Entzündungsreaktionen führen“, erläutert Zimmermann. „Das beeinträchtigt wiederum das Gleichgewicht von Kalium in den Mikroglia-Zellen.“
Doch diese Prozesse ließen sich in den Experimenten umkehren: Blockierten die Wissenschaftler einen Rezeptor an den Mikroglia-Zellen mit einem Hemmstoff, konnten sie dort das Kalium-Gleichgewicht wiederherstellen – und zugleich verbesserten sich auch die kognitiven Beeinträchtigungen. „Damit ist es uns gelungen, einen Mechanismus im Gehirn nachzuweisen, der eine zentrale Funktion für die Entstehung der gestörten Kognition hat“, sagt Prof. Berend Isermann. Er ist Letztautor der Studie. „Wir denken, dass es ausreichend sein könnte, diesen Mechanismus zu modifizieren, um die Kognition bei betroffenen Patienten zu verbessern.“
Auch durch einen zweiten möglicherweise therapeutischen Ansatz konnte das Kalium-Gleichgewicht wiederhergestellt und die Kognition verbessert werden: Wenn die Forscher im Mausmodell den Rezeptor für Interleukin-1β an den Nervenzellen mit einem Rezeptorantagonisten blockierten.
Daraus könnten sich vielversprechende Ansätze zur Behandlung der beeinträchtigten Kognition ergeben, so die Wissenschaftler. „Für den ersten Ansatz gibt es bisher noch keine beim Menschen zugelassenen Medikamente. Doch dies könnte ein Ansatzpunkt für die Entwicklung gezielter Therapieansätze sein“, erläutert Zimmermann. „Was den zweiten Mechanismus betrifft, ist das Medikament Anakinra, das wir in unserer Studie als Hemmstoff verwendet haben, vielversprechend. Es handelt sich dabei um ein Immunsuppressivum, das den Interleukin-1-Rezeptor blockiert und bisher bei der rheumatoiden Arthritis und anderen entzündlichen Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises eingesetzt wird.“
Das Medikament könnte das Kalium-Gleichgewicht in den Mikroglia-Zellen wiederherstellen und so die Kognition von Patienten mit chronischer Nierenerkrankung verbessern. „Ein Problem dabei könnte sein, dass es auf viele Zellen des Körpers hemmend wirkt“, so die Forscherin. „Ziel wäre daher, eine Substanz zu finden, die spezifisch an den Nervenzellen oder Mikroglia-Zellen ansetzt.“
Die Forscher hoffen, dass ihre Ergebnisse dazu beitragen, die neu entdeckten Mechanismen weiter zu entschlüsseln und so gezielte Therapien entwickeln zu können. „Einen weiteren potenziell therapeutisch nutzbaren Mechanismus haben wir gerade entdeckt und sind dabei, diesen zu publizieren“, berichtet Zimmermann.
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