Präparate zur Präexpositionsprophylaxe machen sich gesundheitsökonomisch durchaus bezahlt. Allerdings könnte gerade diese Errungenschaft zu einer höheren Risikobereitschaft führen. Eine aktuelle Arbeit simuliert nun die möglichen Folgen für das Gesundheitssystem.
Um Infektionen mit dem HI-Virus zu vermeiden, setzen Ärzte zunehmend auf die Präexpositionsprophylaxe (PrEP). Patienten nehmen vorbeugend antiretrovirale Medikamente wie Tenofovir plus Emtricitabin ein. „Die Wirksamkeit von oralem PrEP wurde in vier randomisierten Kontrollstudien belegt und ist hoch, wenn das Arzneimittel wie vorgeschrieben verwendet wird“, schreiben WHO-Virologen in einem Übersichtsartikel. Sie bewerten vorbeugende Arzneistoffe als „zusätzliche Präventionsoption für Menschen mit einem hohen HIV-Infektionsrisiko im Rahmen von kombinierten HIV-Präventionsansätzen“. Das heißt im Klartext: Kondome bieten den besten Schutz. Nicht alle Menschen können oder wollen diese aber verwenden. Neue Zahlen zeigen, dass Präparate zur PrEP nicht nur medizinisch, sondern auch gesundheitsökonomisch Sinn machen könnten.
Zum Hintergrund: Der britische National Health Service (NHS) erstattet Arzneistoffe zur Prophylaxe nicht, übernimmt jedoch alle Kosten für die HIV-Therapie. Valentina Cambiano vom University College London simulierte auf Basis aktueller Daten ein wahrscheinliches Szenario für die anlassbezogene Vorbeugung. Im Mittelpunkt stehen Männer, die Sex mit Männern haben (MSM). Hier handelt es sich um die wichtigste Risikogruppe. Cambiano nimmt an, im ersten Jahr der hypothetischen Erstattung von Arzneistoffen zur PrEP würden sich 4.000 MSM die Medikamente verschreiben lassen. Dieser Wert könnte innerhalb von fünf Jahren auf 16.600 Personen steigen. Allerdings sind nicht alle Männer bereit, Arzneimittel einzunehmen. Pro Jahr infizieren sich im Vereinigten Königreich derzeit 3.500 MSM neu mit HIV. Cambiano erwartet, jeden vierten Fall durch zeitlich befristete Arzneistoffgaben zu vermeiden. Dazu nehmen Patienten Pharmaka lediglich vor und nach geplanten Sexualkontakten ein. Das Verfahren gilt im Vergleich zur Langzeit-PrEP als etwas unsicherer.
Um Folgen für das britische Gesundheitssystem zu simulieren, arbeitet die Expertin mit einem relativ langen Zeitraum von 80 Jahren. Falls Präparate kostenlos verfügbar wären, käme es innerhalb dieser Spanne zu 134.600 Neuinfektionen, verglichen mit 178.900 Fällen ohne PrEP. Auf Basis ihrer Simulation fand Cambiano heraus, dass sich die PrEP nach etwa 40 Jahren auch gesundheitsökonomisch lohnen würden. Falls die Kosten der Medikamente um 80 Prozent sinken, erwartet die Forscherin schon nach 20 Jahren eine Kosteneffizienz. Patente laufen in Europa zwischen 2017 und 2018 aus. Ab 2019 sind erste, deutlich preisgünstigere Generika zu erwarten. „Es gibt keinen Zweifel an der Wirksamkeit von PrEP“, kommentiert die Erstautorin. „Unsere Arbeit legt nahe, dass nicht nur ein erheblicher Nutzen für die Gesundheit erzielt wird, sondern auch, dass die Einführung von PrEP letztendlich zu Kosteneinsparungen führen wird, da weniger Männer eine lebenslange HIV-Behandlung benötigen.“
Die Simulation ist allerdings nicht ohne Schwächen. Übernehmen gesetzliche Krankenversicherungen wie der NHS alle Kosten, werden vermutlich immer mehr Männer auf Kondome verzichten. Der Druck auf Sexarbeiterinnen oder Sexarbeiter, Geschlechtsverkehr ohne Gummi anzubieten, wächst früher oder später ebenfalls. HIV ist jedoch ein Teil der Wahrheit. In einem Mitte 2017 veröffentlichten Übersichtsartikel berichten Forscher aus Deutschland über stark ansteigende Infektionsraten mit weiteren sexuell übertragbaren Krankheiten. Das betrifft vorrangig Syphilis, Gonokokken, Chlamydien und humane Papillomviren (HPV). Die Inzidenz von Hepatitis B oder C ist momentan noch auf einem niedrigen Niveau. Auch diese Erkrankungen verursachen Kosten für das Gesundheitssystem. Cambianos Analyse geht jedoch nicht darauf ein.