Du hast mit Querschnittgelähmten zu tun? Gute Nachricht: Die Reha-Leitlinie ist wieder up to date. Was du wissen musst, liest du hier.
Es trifft nicht jeden so hart wie Christopher Reeves. Der Ex-Superman brach sich bei einem Sturz vom Pferd die Halswirbel und war danach so vollständig gelähmt, dass er künstlich beatmet werden musste. Neun Jahre nach seinem Unfall starb der Schauspieler 52-jährig an einer Infektion.
In Deutschland sind derzeit 1.800 Menschen von Paraplegie betroffen, 60 % davon sind Männer. Die Hälfte der Lähmungen – früher sogar 80 % – gehen auf Unfälle zurück, wie auf den berüchtigten Kopfsprung ins zu flache Wasser. Andere mögliche Ursachen sind Tumoren, Infektionen, Ischämien, Blutungen, Entzündungen und Autoimmunerkrankungen, und selten auch Bandscheibenvorfälle oder ärztliche Fehler.
Wie man den Zustand von Betroffenen erfassen und ihnen mit Rehamaßnahmen helfen kann, beschreibt die eben aktualisierte S2e-Leitlinie der Deutschsprachigen Gesellschaft für Paraplegiologie (DMGP) „Rehabilitation der unteren Extremität, der Steh- und Gehfunktion bei Menschen mit Querschnittlähmung“ auf knapp 50 Seiten. Neun Fachgesellschaften haben daran mitgearbeitet. Die Leitlinie ist gültig für das gesamte Patientenspektrum: mit kompletter und inkompletter Querschnittlähmung, in der akuten, subakuten oder chronischen Phase und in ambulanter, teilstationärer und stationärer Versorgung plus Reha und Nachsorge.
Die Leitlinie richtet sich an Fachärzte, Physio- und Ergotherapeuten. Dass die Autoren keine weiteren Personengruppen im Sinn hatten – wie es bei anderen Leitlinien, die zum Beispiel auch Patienten informieren wollen, durchaus üblich ist – merkt man dem Werk an. Die Hintergrundtexte zu den Empfehlungen gehen nur auf die Evidenzbewertungen ein, sie erklären aber nicht, was die Assessments beinhalten und wie sie ablaufen. Welche Werte beispielsweise der Mini-BESTest erfasst und wie man den Ashworth Scale berechnet, muss man entweder wissen oder anderweitig in Erfahrung bringen.
Vielleicht hilft da ja die Liste mit 13 weiteren Leitlinien zum Thema Paraplegie. Mit dabei: Die S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie der akuten Querschnittlähmung“, die allerdings erst Ende 2024 fertig werden soll. Ihre Vorläuferin, die S1-Leitlinie Querschnittlähmung, ist bereits seit acht Jahren abgelaufen. Trotz der vielen speziellen Leitlinien, so die AWMF, existiert also aktuell „keine gültige umfassende Leitlinie zum Thema Querschnittlähmung.“
Wie groß der Forschungsbedarf noch ist, zeigen die Empfehlungen zu den Interventionen: Vier von Fünf Soll-Empfehlungen stützen sich nicht auf Studien oder Reviews, sondern auf einen Expertenkonsens. Welche Therapie man einem Patienten konkret anbieten soll, hängt von mehreren Faktoren ab:
Die Basis aller Interventionen sind Bewegungstherapien, die die täglichen Aktivitäten des Lebens erleichtern sollen. Empfohlen werden auch Therapien auf neurophysiologischer Basis wie Bobath, propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation (PNF) und Vojta, des weiteren Muskeldehnung, Massagen und Wärmeanwendungen, und schließlich Trainingsprogramme für Ausdauer und Eigenanwendung.
Anders als diese eher unspektakulären Maßnahmen bekommen die technisch anspruchsvollen, bildmächtigen und teuren Verfahren, zum Beispiel mit Exoskeletten, nur eine „sollte“-Empfehlung. So fand eine Studie mit 500 Patienten für ein Gehtraining auf dem Laufband mit Gewichtsentlastung und ein robotergestütztes Gehtraining nur minimale Verbesserungen hinsichtlich Gehgeschwindigkeit und -distanz, weshalb die Autoren der Studie „in Frage stellen“, ob die Kosten den Nutzen rechtfertigen.
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