Weißt du, wie man Cannabis in der Schmerzmedizin richtig einsetzt? Das DocCheck CME gab Antworten auf die wichtigsten Fragen. Lies sie hier nach!
In der Medizin gewinnt Cannabis zunehmend an Bedeutung. Im DocCheck CME „Cannabis bei Schmerzen“ erklären Mediziner Dr. Thomas Vaterrodt und Apotheker Florian Heimann die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von medizinischem Cannabis. Dabei dreht es sich etwa darum, wie Cannabinoide wie THC und CBD zur Schmerzlinderung beitragen können und welche Dosierungsstrategien, wie „Start low, go slow“, dabei berücksichtigt werden sollten. Die Vortragenden bieten einen umfassenden Einblick in die aktuelle Forschung und praktische Anwendung von Cannabis in der Schmerztherapie. Hier kommen die wichtigsten Infos der Veranstaltung:
Botanische Grundlagen: Cannabis sativa L., eine krautige Pflanze aus der Familie der Cannabaceae, enthält zahlreiche pharmakologisch relevante Inhaltsstoffe, insbesondere Cannabinoide (ca. 120 bekannt, darunter THC und CBD) sowie Terpene (ca. 200), die für den typischen Geruch verantwortlich sind. Hauptcannabinoide wie THC und CBD sind von medizinischer Bedeutung, wobei THC psychoaktiv wirkt, während CBD nicht psychoaktiv ist. Die exakte pharmakologische Bedeutung der Terpene ist noch unklar.
Geschichte und gesetzliche Entwicklungen: Cannabis wird seit etwa 5.000 Jahren als Arzneimittel und Rauschmittel genutzt. Mit dem Cannabisgesetz 2017 wurde medizinisches Cannabis in Deutschland legalisiert. 2024 wird das Gesetz weiter angepasst, um die Versorgung zu verbessern.
Phytopharmaka: Es gibt eine Vielzahl von Cannabis-basierten Medikamenten, die in Form von Cannabisblüten, Extrakten und chemisch definierten Reinsubstanzen verfügbar sind, darunter:
Sativex® (Nabiximols)
Dronabinol (THC)
Cannabidiol (CBD)-Produkte wie Epidiolex®
Canemes® (Nabilon)
Unterschiede in den Blüten und Extrakten: Therapeutisch ist der THC-Gehalt das wichtigste Kriterium. Cannabisblüten werden nach ihrem Verhältnis von THC zu CBD eingeteilt:
THC-dominant
THC/CBD ausgeglichen
CBD-dominant
Patienten berichten von unterschiedlichen Wirkungen verschiedener Cannabissorten, unabhängig vom THC- oder CBD-Gehalt. Es wird vermutet, dass andere Cannabinoide und Terpene die Wirkung beeinflussen, jedoch fehlen klare klinische Belege.
Inhalative Anwendung: Schnelle Wirkung, gut steuerbar, aber kurze Wirkdauer. Es wird die Anwendung mit Vaporisatoren empfohlen, die eine präzise Dosierung ermöglichen.
Orale Anwendung: Langsame, aber länger anhaltende Wirkung. Hier können Schwankungen in der Wirkung auftreten, weshalb die Dosierung gut überwacht werden muss. Orale Präparate sind in der Anwendung einfacher und werden von Patienten oft bevorzugt.
Neuroplastizität und Schmerzmodulation: Cannabinoide wirken auf das Endocannabinoid-System, das bei der Schmerzmodulation eine Rolle spielt. Durch die Aktivierung von CB1- und CB2-Rezeptoren können entzündliche Prozesse und die Schmerzempfindung beeinflusst werden.
Anandamid (AEA), ein Endocannabinoid, bindet an die CB-Rezeptoren und verringert unter anderem die Freisetzung von Schmerzmediatoren wie Glutamat. Dadurch wird die Schmerzleitung gehemmt.
„Start low, go slow“: Bei der oralen Einnahme wird üblicherweise mit 2–3 Tropfen einer 25 mg/ml Dronabinol-Lösung begonnen und die Dosis langsam gesteigert. Die empfohlene Tagesdosis variiert stark, liegt aber in der Regel zwischen 5 und 20 mg THC-Äquivalenten.
Individuelle Dosierung: Die Dosis wird oft nach den Bedürfnissen des Patienten angepasst, bis die gewünschte Wirkung erreicht oder Nebenwirkungen auftreten. Die Cannabinoide werden häufig als Add-On zur bestehenden Medikation eingesetzt.
THC: Häufige Nebenwirkungen sind Schwindel, Müdigkeit, Mundtrockenheit und Appetitsteigerung. In selteneren Fällen können schwerere Nebenwirkungen wie Angstzustände, Halluzinationen oder Palpitationen auftreten.
CBD: Häufige Nebenwirkungen umfassen Appetitverlust, Sedierung und Durchfall. CBD hat weniger psychoaktive Nebenwirkungen im Vergleich zu THC.
Kontraindikationen: Cannabis sollte bei Patienten mit einer Schizophrenie-Anamnese, schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder schweren Leber- und Nierenerkrankungen nicht eingesetzt werden. Auch in der Schwangerschaft und Stillzeit ist es kontraindiziert. Ebenfalls sollte es nicht bei Patienten unter 23 Jahren eingesetzt werden, da Cannabis die Hirnreifung beeinträchtigt.
CYP-Enzyme: Cannabinoide werden über die Cytochrom-P450-Enzyme (z. B. CYP3A4 und CYP2C19) abgebaut. Medikamente, die diese Enzyme hemmen oder induzieren, können die Konzentration von THC und CBD im Blut beeinflussen. Zum Beispiel erhöhen CYP3A4-Hemmer wie Cimetidin den THC-Spiegel, während Johanniskraut den Abbau beschleunigen kann.
Überwachung notwendig: Bei der gleichzeitigen Einnahme von Cannabinoiden mit Medikamenten, die sedative oder muskelrelaxierende Wirkungen haben, sollte eine engmaschige Überwachung erfolgen, da die sedierende Wirkung verstärkt werden kann.
Cannabis wird bei einer Vielzahl von Erkrankungen eingesetzt, darunter chronische Schmerzen, Spastik, Multiple Sklerose, Migräne, Epilepsie und Angststörungen.
Patienten mit Schmerzen profitieren von den antinozizeptiven und muskelrelaxierenden Eigenschaften von THC, während CBD angstlösende und entzündungshemmende Eigenschaften hat. In der Begleiterhebung zu medizinischem Cannabis wurde der positive Effekt bei chronischen Schmerzen, Übelkeit/Erbrechen und Depressionen festgestellt.
Langfristige Nebenwirkungen wie Gedächtnisprobleme, Stimmungsveränderungen und potenziell die Entwicklung von Toleranz sind ebenfalls zu beachten. Einige Patienten berichten über das Auftreten von Euphorie oder Benommenheit, die die Teilnahme am Straßenverkehr beeinträchtigen kann.
Fahrtauglichkeit: Der THC-Grenzwert für die Fahrtauglichkeit (≥ 35 ng/ml THC im Blutserum) gilt nicht für medizinisch indizierte Anwendungen, wobei die individuelle Fahrtauglichkeit von Patienten bewertet werden muss.
Cannabis-basierte Therapien sind eine wertvolle Ergänzung bei der Behandlung chronischer Erkrankungen, insbesondere im Schmerzbereich. Die Evidenzlage zeigt, dass der Einsatz von Cannabis bei vielen Patienten zur Schmerzlinderung und Verbesserung der Lebensqualität führt.
Selbstmedikation ist zu vermeiden, da nicht standardisierte Produkte potenziell Risiken bergen. Die Therapie sollte nur unter ärztlicher Aufsicht erfolgen, und Patienten sollten regelmäßig überwacht werden, um Nebenwirkungen zu minimieren und die Dosis anzupassen.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Apothekern ist wichtig, um die Therapie erfolgreich umzusetzen und eine optimale Patientenbetreuung sicherzustellen.
Das CME bietet Ärzten eine fundierte Grundlage für den Einsatz von Cannabis in der medizinischen Praxis und hebt sowohl die therapeutischen Vorteile als auch die potenziellen Risiken hervor.
Bildquelle: Rick Proctor, Unsplash