Fordert man Koma-Patienten auf, sich ein Tennisspiel vorzustellen, reagieren 25 % von ihnen darauf – das zeigt deren Hirnaktivität. Was das für Konsequenzen für die behandelnden Ärzte hat, lest ihr hier.
Bei Patienten mit einer schweren Hirnschädigung besteht häufig eine Vigilanzminderung. Diese kann je nach Schwere der Hirnschädigung unterschiedlich ausgeprägt sein. Die leichteste Form der Vigilanzminderung ist die Somnolenz. Hier ist der Patient schläfrig, öffnet aber auf Ansprache die Augen und kann durch Ansprache wachgehalten werden. Erst wenn äußere Reize wie anhaltende Ansprache oder Berührung wegfallen, schläft er wieder ein.
Die nächste Stufe ist der Sopor, bei dem der Patient nur durch eine starke Berührung oder einen Schmerzreiz und nur für kurze Zeit geweckt werden kann. Auch wenn der Patient weiter angesprochen wird, schläft er nach kurzer Zeit wieder ein. Die maximale Ausprägung der Vigilanzminderung ist schließlich das Koma, bei dem der Patient überhaupt nicht mehr geweckt werden kann. Das Koma kann wiederum in verschiedene Schweregrade eingeteilt werden, z. B. mit Hilfe der Glasgow Coma Scale.
Bei Patienten mit schwerer Vigilanzminderung ohne äußerlich sichtbare Reaktion kann leicht der Eindruck entstehen, dass sie von ihrer Umwelt nicht viel mitbekommen. Diese Wahrnehmung kann auch das Verhalten des medizinischen Personals im Umgang mit diesen Patienten beeinflussen. So stellt man sich vielleicht nicht namentlich vor, spricht über den Patienten, als wäre er nicht anwesend, oder erklärt nicht, was man mit ihm vorhat. Und dann wird z. B. schon mal ein Blasenkatheter oder ein peripher-venöser Zugang gelegt, ohne dies dem Patienten vorher zu erklären oder anzukündigen. Dass ein solcher Umgang mit komatösen Patienten falsch ist, ist vielen schon intuitiv klar.
Der Schluss, dass ein Patient, nur weil er äußerlich nicht ansprechbar ist, seine Umwelt nicht wahrnimmt, ist aber auch wissenschaftlich nicht haltbar. Schon bisher war bekannt, dass das Gehirn von Komapatienten auf äußere Reize reagiert. Eine neue Studie, die im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde, konnte nun aber nachweisen, dass dies häufiger der Fall ist als bisher angenommen. Bei einem Viertel der Komapatienten reagierte das Gehirn mit einem komplexen Aktivitätsmuster auf äußere Reize.
In der Studie wurde mit Hilfe von fMRT und EEG untersucht, wie komatöse Patienten auf einfache, aber auch auf komplexe Aufforderungen reagieren. Während äußerlich keine Reaktion erkennbar war (z. B. auf die Aufforderung, die Hand zu drücken), zeigte ein Viertel der Patienten als Reaktion eine anhaltende und ausgeprägte Hirnaktivität. Die Patienten wurden beispielsweise aufgefordert, ihre Hand zu öffnen und wieder zu schließen oder sich vorzustellen, eine Sportart wie Tennis auszuüben. Die Untersuchungen zeigten dann eine komplexe Verarbeitung der Ansprache, die über das reine Sprachverständnis hinausging. Diese Reaktion dauerte mehrere Minuten. Es scheint, dass die untersuchten Personen die Aufforderungen verstanden haben und darüber nachdachten, sich vielleicht die Bewegungen vorstellten.
Dieses Phänomen wird auch als kognitiv-motorische Dissoziation bezeichnet. Während von außen keine motorische Reaktion sichtbar ist, verarbeiten die Patienten die gestellten Aufgaben kognitiv. Die neue Studie ist die bisher größte, die dieses Phänomen gezielt untersucht hat. Sie ergab, dass mehr Patienten von der kognitiv-motorischen Dissoziation betroffen sind als bisher angenommen. Frühere Studien gingen von einem Anteil von 10 bis 15 % aus, in der neuen Studie waren es 25 %.
Die Ergebnisse haben weitreichende Implikationen für die Arbeit auf Intensivstationen und in der Frührehabilitation. Zum einen ergibt sich für den Umgang mit komatösen Patienten, dass sie immer so respektvoll behandelt werden sollten, als ob sie ihre Umwelt wahrnehmen und auch komplexere Ansprachen verstehen würden. Auch wenn es nicht sichtbar ist, verarbeiten diese Patienten oft mehr, als es den Anschein hat. Andererseits ergeben sich auch neue ethische Aspekte, z. B. in der Frage, wie lange man Patienten Zeit geben soll, bevor man über eine mögliche Therapiebegrenzung nachdenkt.
Unklar ist jedoch, wie den betroffenen Patienten geholfen werden kann, ihre Kommunikationsfähigkeit wiederzuerlangen. Vielleicht werden in Zukunft Gehirn-Computer-Schnittstellen eine Rolle spielen, um den betroffenen Patienten die Fähigkeit zur Kommunikation und Interaktion mit ihrer Umwelt zurückzugeben. Bis dahin besteht die Therapie in der Behandlung der Grunderkrankung und der Vorbeugung und Behandlung von Komplikationen.Bildquelle: Moises Alex, Unsplash