Sollte man ältere STEMI-Patienten vollständig revaskularisieren oder sich nur auf die Infarktläsion fokussieren? Eine Studie gibt jetzt klare Antworten.
Oft ging man bei älteren oder gebrechlicheren Patienten während der invasiven Behandlung eines Herzinfarktes von einem höheren Risiko aus und man nahm an, dass sie von einem „All-in“-Ansatz weniger profitieren würden. Doch nun wurden die Vorteile einer vollständigen Revaskularisierung gegenüber einer ausschließlichen Revaskularisierung der Infarktläsion (Culprit-Läsionen) der Koronararterien wurden bei älteren Patienten mit ST-Strecken-Hebungsinfarkt (STEMI) und Mehrgefäßerkrankung in den ersten vier Jahren bestätigt. Dies geht aus aktuellen Forschungsergebnissen hervor, die einer Hotline-Sitzung auf dem ESC-Kongress in London vorgestellt wurden.
Bereits frühere Untersuchungen wie die COMPLETE-Studie deuteten darauf hin, dass eine vollständige Revaskularisierung bei Patienten mit STEMI und Mehrgefäßerkrankung vorteilhaft ist. Auch die FIRE-Studie bestätigte diese Vorteile bei älteren Patienten nach einem Jahr, schloss jedoch sowohl Patienten mit STEMI als auch solche mit Nicht-ST-Hebungsinfarkten (NSTEMI) ein. In der EARTH-STEMI-Metaanalyse wurden nun Daten aus verschiedenen Studien zu älteren Patienten mit STEMI zusammengeführt, um ein umfassenderes Bild mit längeren Nachbeobachtungszeiten zu erhalten.
Prof. Gianluca Campo vom Universitätskrankenhaus Ferrara, Italien, erklärte: „Obwohl die vollständige Revaskularisierung bei Patienten mit STEMI und Mehrgefäßerkrankung inzwischen als Standard gilt, wird diese Strategie bei älteren Patienten immer noch selten angewendet. Die Vorteile einer umfassenden Behandlung im Vergleich zur Behandlung nur der ursächlichen Läsionen sind bei älteren Patienten noch immer Gegenstand von Diskussionen.“ In der Metaanalyse wurden die Daten von Patienten im Alter von 75 Jahren oder älter aus verschiedenen randomisierten klinischen Studien analysiert, wobei die wichtigsten Endpunkte der Tod, der Myokardinfarkt und die ischämiebedingte Revaskularisation waren. Als sekundäre Endpunkte wurden der kardiovaskuläre Tod und weitere Myokardinfarkte betrachtet.
Insgesamt wurden Daten aus sieben Studien, darunter COMPLETE, FIRE, FULL REVASC, DANAMI-3–PRIMULTI, COMPARE ACUTE, Hamza et al. und CvLPRIT, ausgewertet. Von den 1.733 älteren Patienten, die in die Metaanalyse eingeschlossen wurden, erhielten 816 eine vollständige Revaskularisierung und 917 eine Behandlung der Infarktläsion. Das Durchschnittsalter lag bei 79 Jahren, wobei 15 % der Patienten älter als 85 Jahre waren. Die Nachbeobachtungszeit reichte von 6 Monaten bis 6,2 Jahren (Median 2,5 Jahre), und für etwa 20 % der Patienten lagen Nachbeobachtungsdaten über 4 Jahre vor.
Die Ergebnisse zeigten, dass eine vollständige Revaskularisierung nach 4 Jahren signifikant mit einer Reduktion des primären Endpunkts im Vergleich zur Behandlung der Infarktläsion verbunden war (angepasste Hazard Ratio [aHR] 0,78; 95 % KI 0,63–0,96; p=0,005). Bei längeren Nachbeobachtungszeiten war der Unterschied jedoch weniger signifikant (aHR 0,83; 95 % KI 0,69–1,01; p=0,063). Es gab eine 24-prozentige Verringerung der kardiovaskulären Todesfälle oder Myokardinfarkte bei Patienten mit vollständiger Revaskularisierung im Vergleich zur Behandlung der ursächlichen Läsion (aHR 0,76; 95 % KI 0,58–0,99; p=0,046).
Es wurden keine signifikanten Unterschiede bei der Gesamtmortalität (aHR 1,03; 95 %-KI 0,80–1,32; p = 0,818) oder beim kardiovaskulären Tod (aHR 0,79; 95 %-KI 0,56–1,02; p = 0,184) festgestellt. Auch bei den Sicherheitsendpunkten wie Schlaganfall, Stentthrombose, schweren Blutungen oder Nierenschädigungen durch Kontrastmittel traten keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Gruppen auf.
Campo fasst zusammen: „Eine vollständige Revaskularisierung scheint in den ersten 4 Jahren nach einem STEMI bei älteren Patienten mit Mehrgefäßerkrankungen die Ergebnisse deutlich zu verbessern. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob längere Nachbeobachtungen, wie sie beispielsweise in der FIRE-Studie erfolgen, zusätzliche Einblicke liefern werden.“
Zusammenfassend deuten die Ergebnisse der EARTH-STEMI-Studie darauf hin, dass eine vollständige Revaskularisierung bei Patienten im Alter von 75 Jahren und älter mit STEMI und Mehrgefäßerkrankung eine sichere Option darstellt, die ischämische Ereignisse über einen Zeitraum von bis zu 4 Jahren signifikant reduziert. Langfristige Todesfälle schienen durch die Behandlung nicht beeinflusst zu werden, und es gab keine Sicherheitsbedenken bei den älteren Patienten.
Quellen:
Wood et al. Complete revascularization with multivessel PCI for myocardial infarction. N Engl J Med, 2019. doi: 10.1056/NEJMoa1907775
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Böhm et al. FFR-guided complete or culprit-only PCI in patients with myocardial infarction. N Engl J Med, 2024. doi: 10.1056/NEJMoa2314149
Engstrøm et al. Complete revascularisation versus treatment of the culprit lesion only in patients with ST-segment elevation myocardial infarction and multivessel disease (DANAMI-3—PRIMULTI): an open-label, randomised controlled trial. Lancet, 2015. doi: 10.1016/S0140-6736(15)60648-1
Smits et al. Fractional flow reserve-guided multivessel angioplasty in myocardial infarction. N Engl J Med, 2017. doi: 10.1056/NEJMoa1701067
Hamza et al. A randomized trial of complete versus culprit-only revascularization during primary percutaneous coronary intervention in diabetic patients with acute ST elevation myocardial infarction and multi vessel disease. J Interv Cardiol, 2016. doi: 10.1111/joic.12293
Gershlick et al. Randomized trial of complete versus lesion-only revascularization in patients undergoing primary percutaneous coronary intervention for STEMI and multivessel disease: the CvLPRIT trial. J Am Coll Cardiol, 2015. doi: 10.1016/j.jacc.2014.12.038
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