Wenn der Kauapparat schmerzt, helfen Okklusionsschienen. Eine neue Leitlinie erklärt nun, wann genau sie angesagt sind, wer sie verschreiben kann und welche Gefahren lauern.
Man sieht sie kaum, und doch sind sie enorm weit verbreitet: Okklusions- oder Aufbissschienen. Sie kommen immer dann zum Einsatz, wenn Ober- und Unterkiefer nicht gut aufeinanderpassen, die Kaumuskeln verspannt sind oder das Kiefergelenk nicht korrekt funktioniert. Zwei Millionen Schienen werden jährlich in deutsche Kiefer verlegt.
Die erstmals erstellte S2k-Leitlinie Okklusionsschienen zur Behandlung craniomandibulärer Dysfunktionen und zur präprothetischen Therapie unter Führung der Deutschen Gesellschaften für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT) und für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) erklärt, welche Schienentypen wann zum Einsatz kommen und wie sie hergestellt werden. Unter craniomandibulärer Dysfunktion versteht man:
Die Leitlinie richtet sich explizit auch an Nicht-Zahnärzte, vor allem an Schlafmediziner und an Experten für Mund-und Gesichtsschmerzen, aber auch an Haus-, HNO- sowie Kinder- und Jugendärzte. In der Leitlinie geht es nur um Okklusionsschienen, also nicht um andere Schienen, wie klassische Zahnspangen, oder Schienen zur Stabilisierung nach Brüchen oder zum Bleichen der Zähne.
Zweck einer Schiene ist es, die Lage der Kiefer und damit den Aufbiss so zu verändern, dass die Kaumuskultur entlastet wird. Studien zeigen, dass das Ziel oft, aber nicht immer erreicht wird. Solange Patienten keine Schmerzen oder andere deutliche Beschwerden haben, ist keine Schiene nötig, auch wenn es beispielsweise beim Kauen im Kiefergelenk knackt. Auch wenn Patienten den Eindruck haben, dass sie den Mund nicht mehr weit genug öffnen können, muss man nicht gleich zur Schiene greifen. Solange der Mund, gemessen zwischen den Schneidekanten, mindestens vier Zentimeter aufgeht, ist das weit genug – zum Essen reichen sogar schon drei Zentimeter.
Okklusionsschienen können auf den Zähnen im Ober- oder im Unterkiefer liegen. Unten stört die Schiene weniger beim Sprechen, ansonsten ist die Lage offenbar relativ egal. Schienen bestehen aus hartem oder weichem Kunststoff, sind unterschiedlich dick und führen zu einem flächigen bis punktförmigen Kontakt mit dem Gegenkiefer. Man trägt Okklusionsschienen für Wochen bis Jahre.
Die Schienen werden immer nachts, manche auch am Tag getragen. Zum Essen und Zähneputzen nimmt man sie heraus. Eine Ausnahme sind hier sogenannte Simulationsschienen, mit denen man spätere Zahn- und Kieferkorrekturen testet, die also auch beim Essen drinbleiben. Eine weitere Besonderheit sind weiche, mit Wasser oder Luft gefüllte Kissenschienen, die akuten Beschwerden lindern können, bis eine harte, dauerhafte Schiene fertig ist.
Nebenwirkungen sind eher marginal, weshalb ihnen die Autoren nur vier kurze Absätze widmen. Bei Punktkontakt zwischen Schiene und Gegenkiefer könnte es eher Probleme geben als bei flächigem Kontakt. Kleine, nur auf wenigen Zähnen aufsitzende Schienen können verschluckt oder eingeatmet werden. Ausdünstungen von nicht polymerisierten Kunststoffmonomeren sind potenziell giftig. Konkrete Studien gibt es aber offenbar keine, die diesem Problem für Patienten nachgegangen sind. Was sonst oft nicht erwähnt wird: Die Leitlinie merkt an, dass auch das medizinische Personal, in diesem Fall Zahntechniker, belastet wird, wenn sie Monomerdämpfe oder abgefrästen Staub einatmen.
Hergestellt werden Zahnschienen nach den Prinzipien der Bildhauerei: Man modelliert eine Form und gießt sie aus, man fräst oder haut das fertige Kunstwerk aus einem Rohling heraus, oder man baut es aus dem Ausgangsmaterial auf. Bei den Zahnschienen arbeitet man mit Kunststoffen, die bei Licht, Wärme und/oder Druck aushärten. Neben den alten Techniken, die mit Modellen aus Gips- und Wachs arbeiten, kann auch der Computer die Modellierung und Planung übernehmen. Die Schienen werden dann ausgefräst oder im 3D-Druck aufgebaut. Welche Methode besser ist, lässt die Leitlinie offen.
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