Tabak ist harmlos und fördert die Gesundheit – das dachten früher sogar etliche Ärzte. Wiederholen wir diesen Fehler jetzt bei Cannabis?
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine Zusammenfassung.
Lange Zeit galten Tabakprodukte als gesund, Tabak selbst war sogar eine Heilpflanze. Zigarren, Zigaretten, Schnupftabak & Co wurden als gesundheitsfördernd beworben. Sie sollten gegen Allergien wirken, den Schlaf verbessern, Stress lindern oder Asthma heilen. Es war nicht ungewöhnlich, dass Ärzte in den frühen 1900er-Jahren ihren Patienten das Rauchen sogar empfohlen haben.
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Diese Unbefangenheit nahm ab den 1950er-Jahren ein Ende. Richard Doll und Austin Bradford Hill veröffentlichten eine wegweisende Fall-Kontroll-Studie, die erstmals einen klaren Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs aufzeigte. Gleichzeitig publizierten Ernst Wynder und Evarts Graham in den USA eine Studie, die ebenfalls eine starke Korrelation zwischen Rauchen und Lungenkrebs fand. Beide Arbeiten gelten als bahnbrechend. Nur gab es früher schon etliche Hinweise aus Fallberichten mit starken Rauchern – die aber kaum beachtet worden sind.
Das allein sollte schon Lehre genug sein, bei neuen Genussmitteln mit vermeintlicher oder tatsächlicher Heilwirkung vorsichtig zu sein, doch weit gefehlt. Forscher stellten jetzt fest, dass Menschen mit Cannabis-Abusus häufiger an allen Arten von Kopf- und Halskrebs erkrankten.
Dabei war die Prävalenz von Kopf- und Halskrebs unabhängig von anderen Faktoren wie Alter, Geschlecht und ethnischer Zugehörigkeit. Ein möglicher Alkohol- und Tabakkonsum spielten nach statistischer Korrektur ebenfalls keine Rolle.
Grundlage der Arbeit war eine Kohortenstudie mit Daten aus 64 Gesundheitseinrichtungen. Der Zeitraum umfasste 20 Jahre. In der Datenbank suchten die Forscher anhand diagnostischer Codes nach Einträgen cannabisbedingter Störungen und nach Kontrollen ohne entsprechende Diagnosen. Eingeschlossen wurden nur Personen ohne Kopf-Hals-Tumoren in der Vorgeschichte.
Die Kohorte mit cannabisbedingten Störungen umfasste 116.076 Personen (44,5 % Frauen); das mittlere Alter lag bei 46,4 Jahren. Als Kontrollen zogen die Forscher 3.985.286 Personen ohne Cannabis-Usus heran, darunter 54,5 % Frauen. Hier geben die Autoren 60,8 Jahre als Durchschnittsalter an. Nach statistischer Korrektur sonstiger Einflussfaktoren hatten Patienten mit Cannabis-Abusus ein höheres Risiko für Kopf-Hals-Tumoren. Als relatives Risiko (RR) nennen die Autoren 3,49. Eine Detailanalyse der Tumoren ergab, dass vor allem das Risiko, an Mund- (RR 2,51), Rachen- (RR 4,90) und Kehlkopfkrebs (RR 8,39) zu erkranken, erhöht war.
Die Studie zeigt aufgrund ihres Designs bekanntlich nur Assoziationen, aber keine Kausalitäten. Sie kann auch keine Pathomechanismen entschlüsseln.
Der Hauptautor Dr. Niels Kokot, Kopf- und Halschirurg am USC Head and Neck Center, Keck Medicine, aus dem kalifornischen Santa Clarita hat zumindest eine Vermutung: „Cannabis wird normalerweise ungefiltert geraucht und erfordert eine tiefere Inhalation als Tabak“, sagt er. „Außerdem verbrennt Cannabis bei einer höheren Temperatur als Tabak, was das Risiko einer krebserregenden Entzündung erhöht.“ Mittlerweile gebe es Hinweise, so Kokots Theorie, dass Cannabisrauch sogar schlimmer sein könnte als Tabakrauch – und zwar aufgrund der enthaltenen Chemikalien. Zwar haben die Forscher nicht untersucht, wie Probanden Cannabis konsumiert haben. Der Joint gilt aber als beliebteste Form.
Kokot fordert weitere Studien, mahnt aber zur Vorsicht. Legal heißt eben noch lange nicht harmlos. Erinnerungen an den Tabakkonsum und an Untersuchungen zur Wirkung ab den 1950er-Jahren werden wach.
Zusammenfassung für Eilige:
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