Deutschland braucht ärztlichen Nachwuchs. Während Standesvertreter Reformen beim umstrittenen Zulassungsverfahren fordern, entwickelt sich ein florierender Markt an Medical Schools. Ihr Geschäftsmodell: niedrige Hürden und hohe Gebühren. Dagegen laufen Hochschulen Sturm.
Dank demographischer Tendenzen und technischer Entwicklungen im Gesundheitsbereich steigt der Bedarf an Ärzten. Zeitgleich gibt es immer weniger Medizin-Studienplätze. Wie das Statistische Bundesamt berichtet, waren es 1992 noch 93.198 – im Vergleich zu 85.009 (2012). Pro Jahr nehmen deutsche Hochschulen derzeit etwa 10.000 Bewerber auf. Jetzt fordern Standesvertreter Maßnahmen, um diesem Trend entgegenzuwirken.
Das beginnt schon beim Zulassungsverfahren. Dr. Ulrich Frank Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), schlägt vor, Abiturnoten künftig nur noch mit 50 Prozent zu gewichten. Die anderen 50 Prozent sollen über ein Auswahlverfahren ermittelt werden, „wie es jedes große Unternehmen mit Anwärtern für die Vorstandsassistenz macht“, so der BÄK-Chef. Seine Devise: „Wir wollen nicht nur die zukünftigen Nobelpreisträger ausbilden, sondern auch die Landärzte.“ Unterstützung kommt von Dr. Gottfried von Knoblauch zu Hatzbach, Präsident der Landesärztekammer Hessen. „Das Einklagen eines Studienplatzes darf kein Ausweg für junge Menschen sein, deren Abiturdurchschnitt nicht für das Medizinstudium reicht“, gibt der LAK-Präsident zu bedenken. „Wir brauchen Nachwuchs in der Patientenversorgung; schon aus diesem Grund kann die Abiturnote kein alleiniges Kriterium für die Zulassung sein.“ Neben leichteren Zugangsbedingungen müsse es seiner Ansicht nach mehr Studienplätze geben. Knoblauch zu Hatzbach verlangt darüber hinaus bessere Rahmenbedingungen und ein attraktiveres Berufsbild: „Das Medizinstudium muss ‚zukunftsfest‘ gemacht werden. Dazu gehört auch die von den Frankfurter Studierenden erhobene Forderung nach der Einhaltung geregelter Arbeitszeiten der PJ-Studierenden und die Zahlung einer monatlichen Aufwandsentschädigung für alle Medizinstudierenden im PJ.“ Mittlerweile ist es fünf vor zwölf, denn die Konkurrenz schläft nicht.
Europäische Hochschulen drängen mit neuen, äußerst veritablen Geschäftsmodellen auf den Markt. Sie bieten Medizin-Studienplätze gegen horrende Gebühren an, aber ohne NC, ohne Wartezeiten und ohne überfüllte Hörsäle. Zuletzt machte die Paracelsus Medizinische Privatuniversität (PMP) aus Salzburg Schlagzeilen – mit einer neuen Filiale in Nürnberg. Blättern Abiturienten 13.500 Euro pro Jahr auf den Tisch, führt ihr Weg ohne große Zulassungshürden direkt in Richtung „Dr. med. univ.“, einem Berufsdoktorat, und damit in die ärztlichen Profession. PMP-Vertreter rechnen derzeit mit 50 Studierenden, später sogar mit 250. Kritik kommt vom Medizinischen Fakultätentag (MFT): Damit wäre es erstmals möglich, Medizin ohne direkten Kontakt mit einer Hochschule zu studieren – Studierende drücken nur in Nürnberg die Hochschulbank. Bei anderen Medical Schools mussten Ärzte in spe zumindest zeitenweise ihre Alma Mater im Ausland besuchen. So kooperiert der Asklepios Campus Hamburg mit der ungarischen Semmelweis-Universität. Bei der Kassel School of Medicine ist die englische University of Southampton mit im Boot. Standesvertreter bewerten den neuen Studiengang folglich als Verstoß gegen die Bundesärzteordnung. Im Regelwerk heißt es: „Die Approbation als Arzt ist auf Antrag zu erteilen, wenn der Antragsteller (...) nach einem Studium der Medizin an einer wissenschaftlichen Hochschule von mindestens sechs Jahren, von denen mindestens acht, höchstens zwölf Monate auf eine praktische Ausbildung in Krankenhäusern oder geeigneten Einrichtungen der ärztlichen Krankenversorgung entfallen müssen, die ärztliche Prüfung im Geltungsbereich dieses Gesetzes bestanden hat.“ In Nürnberg wären vor allem Honorarprofessoren und außerplanmäßige Professoren tätig, jedoch keine Lehrstuhlinhaber. Als weiteres Problem gilt die Vorklinik. Dozenten für Biologie, Biochemie oder Physik kämen aus der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm – noch vor kurzer Zeit eine Fachhochschule. Was tun? Rein juristisch lässt sich kaum etwas unternehmen, so das Fazit eines Gutachtens von Professor Dr. Max-Emanuel Geis, Erlangen-Nürnberg, und Professor Dr. Kay Hailbronner, Konstanz. Beaufsichtigt werden entsprechende Angebote der PMP direkt von Salzburg aus. Bayerns Wissenschaftsministerium prüft nur, ob die Hochschule mit ihrem Studiengang in Österreich anerkannt ist – mehr lässt sich kaum unternehmen.
Zu dieser unbefriedigenden Situation sagt Professor Dr. Heyo K. Kroemer, Präsident des Medizinischen Fakultätentags: „Bei uns ist der Inhalt jeder Biersorte genau definiert, bei der Gesundheitsversorgung aber lässt man in Europa offen, was genau im Medizinstudium vermittelt werden muss.“ Anbieter nutzen „eine rechtliche Grauzone zwischen unionsrechtlich verankerter Niederlassungsfreiheit und der Notwendigkeit der Anerkennung von Bildungsangeboten nicht staatlicher Bildungsanbieter, die an die Prüfung der Gleichwertigkeit der Zulassungsvoraussetzungen, Curricula, der Qualitätssicherung und der Qualifikation des Lehrpersonals gebunden ist“, heißt es vom MFT. Kürzlich präsentierte das Gremium eine Resolution zum Medizinstudium 2020 und zur Wissenschaftlichkeit in der Ärzteausbildung – als Botschaft an alle Bundesländer, bei internationalen Studiengängen aktiv zu werden.