Frisch vom Kardiologie-Kongress in London kommt eine neue Hypertonie-Leitlinie. Mit ihr im Gepäck: Neue Blutdruck-Zielwerte und eine neue Blutdruck-Kategorie. Das macht es Kardiologen aber nicht unbedingt einfacher.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Die in London vorgestellte Hypertonie-Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) bringt einige Änderungen mit sich und weicht in mehreren Punkten von der Nationalen Versorgungsleitlinie Hypertonie ab. Diese Unterschiede könnten in Deutschland zu neuen Diskussionen führen. Es ist bekannt, dass sich die Blutdruckleitlinien unterscheiden, was Ärzte oft vor die Herausforderung stellt, zu entscheiden, welcher Leitlinie sie folgen sollen.
Die neue Hypertonie-Leitlinie wurde auf dem ESC-Kongress Ende August 2024 in London von William McEvoy und Rhian Touyz, den Leitern der Leitliniengruppe, vorgestellt. Zeitgleich erfolgte eine Publikation im European Heart Journal.
Seit der SPRINT-Studie gab es zahlreiche kontroverse Diskussionen um den optimalen Ziel-Blutdruck (DocCheck berichtete). Die ESC sprach nun die Empfehlungaus, den systolischen Ziel-Blutdruck auf 120–129 mmHg zu senken, sofern dieser Wert gut vertragen wird. Für Patienten, die diesen Blutdruck nicht tolerieren, gilt das Prinzip „as low as reasonably achievable“ (ALARA), also so niedrig wie vernünftigerweise möglich.
Auch bei den Lebensstil-Empfehlungen gibt es Verschärfungen. So soll der Alkoholkonsum auf weniger als 100 g pro Woche gesenkt werden, was etwa einem Getränk pro Tag entspricht. Zudem wird eine mediterrane oder DASH-Diät empfohlen, ergänzt durch regelmäßige körperliche Aktivität und eine Begrenzung der Natriumzufuhr auf 2 g pro Tag . Neu ist außerdem die Empfehlung, die tägliche Kaliumzufuhr um 0,5–1 g pro Tag zu erhöhen, sofern keine schwerwiegende Nierenerkrankung vorliegt.
Es wird außerdem eine neue Blutdruckkategorie, der „erhöhte Blutdruck“, eingeführt. Er ist definiert als 120–139/70–89 mmHg und grenzt sich ab vom normalen Blutdruck (< 120/70 mmHg) und der arteriellen Hypertonie. Diese wird wie bisher als ≥ 140/90 mmHg definiert. Während bei Hypertonie sofort eine medikamentöse Behandlung initiiert werden soll, soll bei Menschen mit erhöhtem Blutdruck eine Risikoeinstufung erfolgen. Anhand der Risikoeinstufung soll dann über eine Behandlung entschieden werden. Hierfür wird in der Leitlinie ein Algorithmus in 4 Schritten vorgeschlagen:
Generell sollte bei einer Hypertonie, ab 140/90 mmHg, primär mit einer niedrigdosierten Zweierkombination aus ACE-Hemmer bzw. Angiotensinrezeptorblocker und/oder Kalziumantagonist und/oder Diuretikum begonnen werden. Hier besteht ein Unterschied zur Nationalen Versorgungsleitlinie in Deutschland. Diese empfiehlt das erst ab 160 mmHg systolisch sowie bei hohem kardiovaskulärem Risiko ab 140 mmHg.
Wenn das individuelle Blutdruckziel nach 1–3 Monaten Therapie mit einer niedrigdosierten Zweierkombination nicht erreicht wird, sollte auf eine niedrigdosierte Dreierkombination umgestellt und nach weiteren 1–3 Monaten die Dosis erhöht werden. Für Patienten mit nur leicht erhöhtem Blutdruck oder gebrechlichen Patienten wird eine Monotherapie bevorzugt. Wenn auch die Dreifachkombination nicht ausreicht, wird von resistenter Hypertonie gesprochen und Spironolacton als nächster Schritt empfohlen. Falls Spironolacton nicht wirkt oder vertragen wird, kann Eplerenon oder ein Betablocker eingesetzt werden. Scheitern alle Maßnahmen, kann eine renale Denervation in spezialisierten Zentren erwogen werden.
Kurze Zusammenfassung für Eilige:
Zielblutdruck niedriger: Die neue ESC-Hypertonie-Leitlinie empfiehlt einen systolischen Zielblutdruck von 120–129 mmHg, sofern verträglich, mit der Möglichkeit, ihn individuell anzupassen.
Strengere Lebensstil-Empfehlungen: Die Leitlinie empfiehlt eine stärkere Reduktion des Alkoholkonsums auf weniger als 100 g pro Woche und betont eine mediterrane oder DASH-Diät sowie eine Begrenzung der Natriumzufuhr.
Neue Blutdruckkategorie: Eine neue Blutdruckkategorie „erhöhter Blutdruck“ (120–139/70–89 mmHg) wird eingeführt, die differenzierte Behandlungsansätze abhängig vom individuellen kardiovaskulären Risiko vorschlägt.
Quellen:
ESC Guidelines overview, Kongress der European Society of Cardiology (ESC) 2024, 30. August–02. September 2024, London
McEvoy et al. 2024 ESC Guidelines for the management of elevated blood pressure and hypertension. European Heart Journal, 2024. doi: 10.1093/eurheartj/ehae178
The SPRINT research group: A randomized trial of intensive versus standard blood-pressure control. N Engl J Med, 2015. doi: 10.1056/NEJMoa1511939
Bildquelle: Helena Lopes, Unsplash