Man weiß in der klinischen Notfallmedizin eigentlich schon lange, dass Heparin undifferenziert verteilt beim akuten Koronarsyndrom wenig bringt – eigentlich. Warum hat sich diese Erkenntnis aber in Deutschland noch nicht durchgesetzt?
In der Akut- und Notfallmedizin kämpfen wir schon seit Jahren damit, dass nicht undifferenziert ASS und Heparin über allen Patienten ausgeschüttet wird. Die Diagnose sollte im Vordergrund stehen: beim STEMI/OMI erfolgt die ASS- und Heparin-Gabe natürlich weiterhin präklinisch (oder eben ggf. innerklinisch, wenn notwendig). Bei allen anderen Aspekten der Verdachtsdiagnose „Akutes Koronarsyndrom“ (ACS) erfolgt dies nicht. Das haben wir schon in vorigen Artikeln thematisiert und auch die Leitlinie von 2023 hat dies nochmal deutlich gemacht.
Aber natürlich existiert in Deutschland das „weltbeste Notarztsystem“. Dafür müssen dann – natürlich! – eigene Daten erhoben werden. Wo kämen wir hin, wenn wir die international bereits verfügbaren Ergebnisse verwenden würden.
Aktuell hat sich damit dankenswerterweise eine Arbeitsgruppe aus Hamburg auseinandergesetzt und einmal retrospektiv Daten aus den letzten Jahren erhoben. Sie haben bei Menschen mit präklinischer Versorgung im Rahmen eines ACS retrospektiv und mit matched pair verglichen, ob es einen Überlebensvorteil gibt. Insgesamt ein spannendes und engagiertes Design, aber leider natürlich mit eingeschränkter Bewertbarkeit.
Hier zeigte sich sehr eindeutig, dass es für Patienten mit ACS keinen Vorteil gab, wenn sie präklinisch Heparin i.v. erhalten haben. In der Heparin-Gruppe zeigte sich eine nicht siginfikante Tendenz zu einem besseren Outcome, aber angesichts des Studiendesigns wäre es mehr als unseriös, daraus eine Empfehlung abzuleiten. Die Blutungskomplikationsrate war mit 2 % vergleichsweise gering, allerdings auch bei einem relativ kleinen Patientenkollektiv, das retrospektiv natürlich nur eingeschränkt bewertet werden kann.
Grundsätzlich überrascht das natürlich wenig – man weiß ja schon sehr lange in der klinischen Notfallmedizin, dass Heparin undifferenziert verteilt beim ACS wenig bringt. Im Gegenteil: das verursacht vermutlich nur mehr Komplikationen und erhöht die Letalität. Wenn auch abschließende RCTs fehlen, konnte bisher kein Nutzen für Heparin nachgewiesen werden. Leider hat sich diese Erkenntnis zumindest in der deutschen Notfallmedizin – mobil wie leider auch klinisch – ja noch nicht wirklich sinnvoll durchgesetzt.
Wenn man sich genauer anschaut, woher die Heparin-Gabe im ACS überhaupt kommt, dann wird deutlich, warum die frühzeitige Gabe da wenig bringt: die Indikation für das Heparin im ACS wird durch die bevorstehende Herzkatheteruntersuchung ausgelöst. Und das kommt nicht von irgendwelchen Überlebensvorteilen oder prognostischen Faktoren, sondern davon, dass die Patienten der ersten Herzkatheteruntersuchungen aus Angst vor Schlaganfällen grundsätzlich Heparin bekommen haben – und weil es im Rahmen von peripherer Angioplastie ebenfalls so gehandhabt wurde. Damit wurde das nie wirklich sinnvoll in Studien untersucht, sondern es ist „Best Clinical Practice“, also eine nette Form von „haben wir schon immer so gemacht“.
Das bedeutet im Umkehrschluss natürlich, dass für Menschen, die nicht direkt – oder erst in der nächsten 24 Stunden – in den Herzkatheter gefahren werden, das unfraktionierte Heparin keine Vorteile bringt. Es bleibt also aktuell dabei, sofern nicht neue Daten etwas anderes zeigen. Und das wäre extrem ungewöhnlich und überraschend, dass wir beim Koronarsyndrom ohne diagnostische EKG-Veränderungen weiterhin – oder für den einen oder die andere neu – kein Heparin geben. Wenn es denn indiziert ist, dann erst in der Klinik und dann je nach zeitlicher Perspektive für die Herzkatheteruntersuchung vermutlich sogar eher ein niedermolekulares Heparin wie Fondaparinux.
Der Beitrag erschien zuerst hier.
Wie immer gilt: Der Einzelfall entscheidet. Der Artikel erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Richtigkeit und die genannten Empfehlungen sind ohne Gewähr. Die Verantwortung liegt bei den Behandelnden. Der Text stellt die Position des Autors dar und nicht unbedingt die etablierte Meinung und/oder Meinung von dasFOAM.
Quelle:
Sundermeyer et al. Pre-hospital admission of heparin in patients with suspected non-ST segment elevation acute coronary syndrome. Clin Res Cardiol, 2024. doi: 10.1007/s00392-024-02507-1
Bildquelle: Ahmed Carter, Unsplash