Sportbegeisterte schätzen sie: Supplemente mit Proteinen oder Kreatin zum Muskelaufbau. Der Trend ist allerdings kein harmloser Spaß. Warum es sich lohnt, Patienten davon abzubringen.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Nur allzu gerne greifen junge Männer aktuell zu Nahrungsergänzungsmitteln mit Proteinen oder Kreatin, um ihre Muskeln vermeintlich rascher zu vergrößern. Der Markt für Sportlernahrung und Nahrungsergänzungsmitteln boomt. In einer Kohorte gaben mehr als 60 % aller rund 2.700 befragten Jungs bzw. jungen Männer an, Protein-Riegel oder andere Supplemente zu konsumieren. Und in einer weiteren Kohorte waren es 55 % der jungen Erwachsenen.
„Der hohe Konsum von Muskelaufbaupräparaten bei Jungen und jungen Männern ist auf den Druck zurückzuführen, dem Ideal eines muskulösen und schlanken Körpers zu entsprechen“, schreiben Kyle T. Ganson von der University of Toronto und Jason M. Nagata von der University of California, San Francisco in einem kürzlich veröffentlichten Kommentar. Die Einnahme sei bei einer bestimmten Sportart – oder im jeweiligen sozialen Umfeld – vielleicht üblich, aber keineswegs sinnvoll.
Dazu ein paar Eckdaten: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) rät bei jungen Männern zu 0,8 bis 0,9 g pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag. „Gerade in der Laienpresse bzw. kommerziell ausgerichteten Webseiten kursieren oft einseitige bzw. falsche Empfehlungen, die nicht durch wissenschaftliche Evidenz gestützt werden“, schreibt die DGE in einem Positionspapier. Je nach Trainingszustand und Trainingsziel liege der Wert für Sportler bei rund 1,2 bis 2,0 g pro Kilogramm Körpergewicht und Tag – und sei bei ausgewogener Ernährung leicht über Lebensmittel zu erreichen.
Laut Europäischer Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA gilt eine Zufuhr von bis zu 1,6 g pro Kilogramm Körpergewicht und Tag unbedenklich. Bei manchen Patienten treten akute oder chronische Nebenwirkungen durch Protein-Supplemente auf – vor allem bei höherer Dosierung. Dazu zählen Magen-Darm-Probleme wie Durchfall oder Übelkeit, aber auch Muskelkrämpfe oder Störungen der Nieren- bzw. der Leberfunktion.
Darüber hinaus können Protein-Pülverchen den Weg hin zu Anabolika ebnen, sobald Jugendliche mit dem Effekt der Nahrungsergänzungsmittel unzufrieden sind. Viele Menschen, die Muskelaufbaupräparate einnehmen, stoßen früher oder später an Grenzen, wenn sich vollmundige Versprechen zum Muskelaufbau eben nicht erfüllen. Zahlreiche Quellen im Internet und auf Social Media machen es leicht, sich zu informieren oder Präparate zu erwerben.
Auch warnt die Verbraucherzentrale vor verunreinigten Produkten, die Konsumenten im Internet erworben haben. Und eine ältere Analyse von Supplementen zur Einnahme vor dem Training hat ergeben, dass knapp 50 % der untersuchten Mittelchen potenziell gefährliche Inhaltsstoffe enthielten. Wohlgemerkt kamen die Proben aus Sport- und Fitness-Geschäften, nicht aus dubiosen Internet-Quellen.
Nur was sollten Ärzte unternehmen? Die Autoren des Kommentars raten, junge Männer gezielt darauf anzusprechen, ob sie Nahrungsergänzungsmittel zum Muskelaufbau schlucken und – falls ja – welche Präparate und in welcher Menge. Anschließend geht es darum, die Ernährung von Patienten zu beurteilen.
Eine Essstörung, eine körperdysmorphe Störung oder eine Muskeldysmorphie sollten in Betracht gezogen werden. Viele Patienten, die Muskelaufbaupräparate einnehmen, wollen nämlich ihr Aussehen, ihr Gewicht, ihre Figur, ihre Kraft oder ihre Leistungsfähigkeit verändern. Dazu gehören neben Supplementen vor allem exzessive Trainingsprogramme und verschiedene Diäten. Bei solchen Themen sind auch Psychologen gefragt.
Scheiden Differenzialdiagnosen aus, kommen Ärzte in vielen Fällen zu der Erkenntnis, dass Protein-Präparate bestenfalls nutzlos sind, weil kein Defizit besteht. Durch Laborbluttests lassen sich Mangelerscheinungen ausschließen.
Dann ist Aufklärung gefragt. Sollte das Argument, dass eben keine Supplementation bei normaler Ernährung sinnvoll ist, nicht greifen, bleibt der Hinweis, dass Jugendliche einfach nur Geld verbrennen. Und Techniken der motivierenden Gesprächsführung helfen, um Verhaltensänderungen anzustoßen. Doch das dauert seine Zeit.
Bildquelle: erstellt mit Midjourney