KOMMENTAR | Warum braucht ihr in Deutschland 95 Krankenkassen? Wieso sind die Beiträge so hoch und warum führt das nicht zu einer besseren Behandlung? Ich habe Fragen.
Deutschland hat eines der besten Gesundheitssysteme der Welt – liest und hört man zumindest immer und überall. Aber ist das wirklich noch so? Auf die Gefahr hin, dass ich als zugezogene Ösi hier als nerviger „daheim ist alles besser“-Mensch dastehe, will ich trotzdem ein paar Dinge ansprechen, die ich ehrlicherweise einfach nicht verstehe. Und ja, damit bin ich auch nicht die erste und das sind alles Sachen, die schon 1.000-mal gesagt wurden – aber vielleicht ändert ja der 1.001te Versuch etwas …
Als ich vor ein paar Jahren nach Deutschland gezogen bin, wurde ich mit einer der schwersten Entscheidungen meines Lebens konfrontiert: Auswandern? Neue Stadt? Neuer Job? Nein. Neue Krankenkasse!
Aus meiner behüteten Landkindheit ging es fürs Studium und danach den ersten Job nach Graz. Großstadtleben! Oder zumindest das, was dem nahekommt. Nie habe ich mir dabei auch nur einen Gedanken um meine Krankenkasse gemacht. Umzug nach Köln, diesmal wirklich Großstadtleben! Und da war sie, die Frage: „Hast du dir schon deine Krankenkasse ausgesucht?“ Wie, ich soll mir eine Krankenkasse aussuchen? Das ist mir ehrlicherweise bei der Recherche, was ich alles erledigen muss, einfach hintenübergefallen – denn in Österreich gibt es ganz einfach keine Wahl. Und dann hat mich erst richtig der Schlag getroffen: Ich habe (damals) 97 Kassen zur Auswahl?! Über meine Kassen-Odyssee habe ich schon hier geschrieben.
Auch heute, fast drei Jahre später, habe ich Fragen – so viele Fragen. Und die Frage, die sich mir besonders aufdrängt, ist: Wer soll das bezahlen? Stand Januar 2024 gibt es in Deutschland noch immer 95 Krankenkassen. Das heißt: 95 Vorstände mit Vorstandsgehältern, 95-mal Verwaltung, 95-mal Miete für Bürogebäude, 95-mal Werbekosten … die Liste ist endlos. Klar, verglichen mit den im Jahr 1970 noch 1.815 Krankenkassen ist das ein Klacks. Aber verglichen mit Österreichs drei Krankenkassen ist das immer noch absolut unverständlich – und man darf sich ja auch mal nach oben vergleichen, nech.
Schauen wir uns mal das Thema Verwaltungskosten an. Hier schreibt der GKV Spitzenverband: „In 2007 und 2008 betrug der Anteil der GKV-Verwaltungskosten an den gesamten Ausgaben der GKV also etwas mehr als 5 Prozent – ein Anteil, der sicherlich nicht als ausschlaggebender Grund für die Kostensteigerungen im Gesundheitswesen herangezogen werden kann, wie dies gelegentlich geschieht.“ Und da haben sie recht, das alleine macht den Braten nicht fett. In Deutschland flossen in den genannten Jahren 5,4 % der Krankenkassen-Ausgaben in die Verwaltung. Im Jahr 2022 waren es immerhin nur mehr 4,3 % – es gab also doch noch Einsparungspotential. Zum Vergleich: In Österreich sind es 2,8 %. Diese Zahlen sind zwar mittlerweile veraltet – und Österreich hat seitdem seine Krankenkassen auch zu nur mehr 3 Kassen zusammengelegt (ob das wirklich was gebracht hat, ist allerdings ein Thema für einen anderen Tag). Aber die Tendenz bleibt gleich.
Abgesehen von dem Kassen-Chaos hat mich auch der deutlich höhere Krankenkassenbeitrag milde gesagt überrascht. Verglichen mit den 7,65 % Krankenkassenbeitrag in Österreich erscheinen mir die (noch!) 14,6 % in Deutschland schon unverhältnismäßig hoch. Und als jemand, der für mein Alter wahrscheinlich überdurchschnittlich viel beim Arzt ist, kann ich aus persönlicher Erfahrung nicht unbedingt sagen, dass sich der Mehrbetrag auf die Behandlungsqualität, die Wartezeiten oder sogar die angebotenen Leistungen auswirkt.
Deutschland hat EU-weit die höchsten Gesundheitsausgaben. Dabei aber nur eine mittelmäßige Lebenserwartung unter dem europäischen Durchschnitt. Bei der Lebenserwartung ist Österreich auch nur um zwei Plätze besser. Aber das Verhältnis zwischen Ausgaben und Lebenserwartung ist schon etwas schief.
Wohin verschwindet also der doppelt so hohe Beitrag? Bei den Versicherten scheint davon jedenfalls nicht viel anzukommen. Ein Schelm, wer denkt, da würden sich Vorstände und Vorsitzende in die eigene Tasche wirtschaften. Die Vergütung der Vorstände kann man übrigens hier einsehen. Außerdem können viele Ausgaben der Krankenkassen hier eingesehen werden – wer sich selbst ein ganzheitliches Bild machen mag. Ein paar ausgewählte Beispiele:
Auch die Gesamtausgaben für Gesundheitsleistungen kann man hier einsehen. So wurden 2020 etwa 263,4 Mrd. Euro für ärztliche und ähnliche Leistungen ausgegeben.
Bitte nicht falsch verstehen, ich will damit absolut nicht sagen, dass wir ein schlechtes Gesundheitssystem haben – im Gegenteil. Ich meckere hier auf sehr hohem Niveau. Wenn man sich den Status der Welt so ansieht, können wir alle heilfroh sein, dass das deutsche System so funktioniert, wie es tut. Dass wir die Expertise unserer fantastisch ausgebildeten Gesundheitsberufe haben. Und dass wir versorgt werden, auch, wenn wir es uns nicht leisten könnten.
Ich will damit nur sagen: Da ist noch ganz viel Luft nach oben. Und so manche Dinge kann und will ich einfach nicht akzeptieren. Dazu gehört die absurde Menge an Krankenkassen, die einfach nicht funktionierende und unnötig teure Digitalisierung des Gesundheitswesens (da will ich gar nicht erst anfangen, mich darüber aufzuregen, da werde ich nicht mehr fertig) aber auch das System, dass man sich aus der gesetzlichen Krankenversicherung einfach rauskaufen kann. Vielleicht klappt das mit der Aufmerksamkeit auf diese Themen lenken ja dann beim 1.002ten Text …
Bildquelle: Blake Cheek, unsplash