KOMMENTAR | Nebenher ein bisschen Werbung auf Social Media für die eigene Hautpflege-Serie machen und dicke Werbedeals mit bekannten Marken eingehen. Das freut den Geldbeutel der Medfluencer – und gefährdet die Promotion.
Bekanntlich nutzen Medfluencer ihre Reichweite und Expertise in sozialen Medien, um User über Gesundheit ganz allgemein, über Medizin, Pharmazie, Fitness oder Wellness zu informieren. Dahinter verbergen sich Ärzte, Apotheker, Ernährungsberater, Pflegefachkräfte, MTA, MFA, PTA, PKA und viele mehr. Sie posten Content auf Plattformen wie Instagram, YouTube, TikTok und Twitter.
Klar: Es gibt die Großen, Bekannten, Unumstrittenen der Szene wie die Humanmediziner Doc Felix, Dr. Flojo, Doc Caro, Kids.Doc oder die Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim, um nur einige Beispiele zu nennen. Sie setzen auf evidenzbasierte Informationen und schaffen echte Mehrwerte.
Doch dabei übersehen wir gern: Nicht alle Medfluencer sind Gesundheitsprofis – und nicht alle Informationen sind korrekt. So kann die Grenze zwischen persönlicher Meinung und evidenzbasierter Empfehlung leicht verschwimmen. Und einige Medfluencer verfolgen kommerzielle Interessen, haben bezahlte Partnerschaften oder geben Produktempfehlungen ohne ausreichende Evidenz.
Bei der Recherche fällt auf, dass viele Medfluencer Medizinstudenten sind. Gut, wer studiert, braucht immer Geld und hat oft Interesse an Social Media. Doch hinter dem Trend steckt weitaus mehr. Bei @DocAlina alias Alina Walbrun scheint das „Doc“ eher Marketing-Strategie zu sein; im Impressum jedenfalls ist kein Doktortitel zu finden. Doch zu ihr später mehr.
Auch Berfin (@medberfin) oder Sri (@Medsri) studieren bzw. promovieren noch. Das hindert sie nicht daran, sich ihre hohen Follower-Zahlen anhand von Werbepartnerschaften versilbern zu lassen. So hat @Medsri Produkte von CeraVe in den höchsten Tönen gelobt. Bei @docalina waren es u. a. Produkte von Garnier – und @medberfin will Produkte von La Roche Posay unter das Volk bringen.
Eines der Lieblingsthemen von @DocAlina, etwa auf TikTok, ist Cortisol. Meist geht es um zu hohe Spiegel des Hormons – etwa durch Stress – und um negative Folgen für die Gesundheit. Besser als der Kaffee ist doch Matcha. Wie gut, dass es im Online-Shop das passende Produkt gibt. Dass solche Tipps viel bringen, erscheint fraglich. Wie bei vielen Anbietern von Kosmetik dürfen bei ihr auch Kollagen-Pülverchen nicht fehlen. Weil Studien fehlen, dürfen reine Kollagenprodukte nicht mit Health Claims versehen werden. Um werbliche Botschaften zu platzieren, setzen Hersteller Vitamine zu, bei denen Health Claims möglich sind.
Genau hier wird es interessant: Ärzte dürfen zwar – in gewissen Grenzen – Marketing für ihre Praxis oder ihre Tätigkeit machen, um ihr Image zu fördern und um Vertrauen aufzubauen. Werben sie aber für Produkte, liegt ein Verstoß gegen das berufsrechtliche Verbot der Trennung von ärztlicher und gewerblicher Tätigkeit vor. „Die Mehrzahl der Vorschriften des Heilmittelwerbegesetzes betrifft die Werbung für Arzneimittel“, schreibt die Bundesärztekammer in einem allgemeinen Kommentar. „Diese und sonstige Werbung für gewerbliche Produkte oder Dienstleistungen ist Ärzten im Zusammenhang mit ihrer Berufstätigkeit von vornherein untersagt.“ Ein Urteil (29.10.2021, Az.: 3–10 O 27/21) bestätig das.
Nur sind die genannten Medfluencer – noch – keine approbierten Ärzte. Sie bewegen sich mit ihrer Tätigkeit bestenfalls in einem Graubereich.
Unter diesem Blickwinkel überraschen die Medfluencer „Arzt und Apothekerin“ (@arzt_und_apothekerin). Sie nutzen ihre Reichweite nicht nur, um Wissenshappen zu verbreiten. Regelmäßig werben sie für OTCs, etwa für D3+k2 Duoprotect Vit Al oder für Cetirizin AL direkt. Das könnte zumindest für den Arzt des illustren Social-Media-Duos problematisch werden.
Auch Dr. Emi Arpa (@dr.emi), Dermatologin mit Privatpraxis in Berlin-Charlottenburg, hat Social Media für sich entdeckt. Als Medfluencerin steht sie für Dr. Emi Arpa Skincare: Laut dem genannten Urteil ein problematisches Unterfangen. Anti-Aging ist ihr großes Thema – wie bei vielen Kosmetiklinien fehlen wissenschaftliche Beweise. Recht umstritten ist auch ihre Infusionstherapie mit Mineralien oder Vitaminen. Wer keine Defizite hat und gesund ist, benötigt auch keine Supplementation.
Doch nochmals zurück zu DocAlina. Kooperationen sind die eine Sache. Wesentlich kritischer ist, dass in einem Podcast (hier eine Kritik dazu) zur modernen Medizin gesagt hat: „Die Leute wollen nicht, dass wir dauerhaft gesund sind. Sie wollen auch nicht, dass wir sterben (…), sondern dass wir dauerhaft auf einem Krankheitslevel sind, dass wir angewiesen sind auf diese ganzen Medikamente.“
Der Shitstorm ließ nicht lange auf sich warten. Per Online-Petition auf Change.org forderten User eine Prüfung der Promotion von @docalina durch die Ethikkommission der Ludwig-Maximilians-Universität München, Stand Juni 2024.
Ihre Kritik: „Diese Einstellung steht völlig im Widerspruch zu den Lehraussagen, dem Qualitätsanspruch und dem Leitbild der LMU.“ Es sei „inakzeptabel, dass solch eine Verhaltensweise mit einem Doktortitel von einer renommierten Universität wie der LMU belohnt wird“. Ebenfalls seien die Aussagen „entwürdigend, bezogen auf die hervorragende Arbeit von Pflege, ärztlichem Personal, den Forschenden von LMU und anderen Unis und allen weiteren Berufen.“
Die Causa zeigt, wie problematisch es ist, Medfluencer wirklich einzuschätzen. Hinzu kommt, dass die eigentliche Definition – sprich die medizinische Expertise – in Social Media stark aufgeweicht wird.
Auch Laien mit Erfahrung, etwa durch eine Erkrankung, posten allerlei Themen. Streng genommen handelt es sich hier um Patient-Influencer. Ob User solche Unterschiede bemerken, ist aber fraglich. So kapriziert sich @autismus_und_borderline (Autismus & Borderline Info) beispielsweise auf „vier Anzeichen, dass Du ADHS hast“, was bei derart komplexen Verhaltensstörungen gewagt erscheint. Der Betreiber des Channels ist Tom Harrendorf, laut Website „diagnostizierter Asperger-Autist, langjähriger Selbsthilfegruppenleiter, Coach.“
Für Laien mag es schwierig sein, bei Influencern die Spreu vom Weizen zu trennen. Der Termin beim Arzt vor Ort ist und bleibt die bessere Alternative.
Bildquelle: Alexandr Podvalny, unsplash