Schlechte Bildung, wenig Einkommen: Der sozioökonomische Status von Spendern kann die Ergebnisse von Stammzelltransplantationen beeinflussen – eine überraschende Erkenntnis. Was steckt dahinter?
Bundesweit erkranken pro Jahr ca. 14.000 Menschen neu an Leukämien. Bei ihnen setzen Ärzte auf Stammzelltransplantationen, sollten Erstlinientherapien versagen. Doch heute soll es nicht um biologische Marker zur Auswahl geeigneter Personen gehen. In PNAS berichten Forscher, dass der sozioökonomische Status von Spendern mit dem Outcome dieser Therapie in Verbindung steht.
Diagnosen von Patienten bei einer Stammzelltransplantation. Credit: ZKRD
Grundlage der Arbeit waren elektronische Patientenakten von 2.005 Patienten mit hämatologischen Malignomen, die sich in 125 Krankenhäusern in den Vereinigten Staaten einer hämatopoetischen Zelltransplantation unterzogen hatten. Sie wurden anhand digitaler Aufzeichnungen nachbeobachtet.
Nach einem Follow-up von drei Jahren hatten Patienten, denen Zellen von Spendern mit dem niedrigsten sozioökonomischen Status in der Kohorte kamen, ein um 9,7 % geringeres Gesamtüberleben und eine um 6,6 % höhere transplantationsbedingte Sterblichkeit als Patienten, deren Zellen von Spendern mit hohem sozioökonomischem Status waren. Alle Unterschiede waren statistisch signifikant. Der sozioökonomische Status der Empfänger spielte in der Studie jedoch keine Rolle.
Zum sozioökonomischen Status gehören Parameter wie die Schul- und Berufsausbildung, das individuelle Einkommen, das Haushaltseinkommen, der Beruf, die Wohnverhältnisse, aber auch der Zugang zu Ressourcen wie medizinischer Versorgung.
„Unsere Ergebnisse sind bemerkenswert“, sagt Prof. Dr. Lucie Turcotte von der University of Minnesota Medical School. „Wir haben gezeigt, dass soziale Benachteiligung derart tiefgreifende Folgen hat, dass sie quasi auf Empfänger von Stammzellen übertragen wird.“ Die Folgen seien auch nach längerer Zeit noch zu beobachten.
„Doch die Bedeutung unserer Ergebnisse geht weit über die Behandlung von Krebs und Knochenmarktransplantationen hinaus“, so Turcotte. „Sie zeigen die tiefgreifenden gesundheitlichen Auswirkungen sozialer Ungleichheit.“
Doch wie lassen sich die Befunde erklären? Dass soziale Nachteile mit zahlreichen Erkrankungen in Verbindung stehen, ist nicht neu. „Der Einfluss des sozialen Status auf die Gesundheit und Lebenserwartung wird durch epidemiologische Studien regelmäßig bestätigt“, schreibt etwa das RKI. Menschen mit niedrigem Sozialstatus leiden häufiger an chronischen Erkrankungen, an psychosomatischen Beschwerden und an Verletzungen durch Unfälle. Sie bewerten ihre eigene Gesundheit schlechter und berichten öfter von Einschränkungen im Alltag aufgrund gesundheitlicher Probleme.
Laut einer Studie mit Daten des Sozio-oekonomischen Panels aus Deutschland leben reiche Männer durchschnittlich 8,6 Jahre länger als arme. Bei Frauen liegt der Unterschied zwischen der höchsten und der niedrigsten Einkommensgruppe bei 4,4 Jahren. Analysen der GEDA-Studie wiederum zeigen, dass Personen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status ein etwa zwei- bis dreimal so hohes Risiko für koronare Herzkrankheit, Typ-2-Diabetes, chronisch obstruktiven Lungenerkrankung und Depression wie Gleichaltrige mit hohem Status. Auch die Gesundheitskompetenz (Health Literacy) unterscheidet sich erheblich.
Die Autoren um Lucie Turcotte diskutieren im Artikel weitere Mechanismen, etwa die unterschiedliche Belastung mit Schadstoffen durch die Wohngegend, die Ernährung oder den Alkohol-, Tabak- bzw. Drogenkonsum. Ein niedriger sozioökonomischer Status sei auch mit erhöhten biologischen Stressreaktionen des sympathischen Nervensystems und der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse verbunden – mit Folgen für mehrere physiologische Systeme einschließlich des Immunsystems, schreiben sie.
An der Stelle bleibt es bei Spekulationen; biologische Mechanismen des Phänomens, vorausgesetzt, der Zusammenhang ist wirklich kausal, waren nicht Thema der Studie. Antworten können nur weitere Untersuchungen klären.
Ob Ärzte Leukämie-Patienten mit restriktiveren Auswahlkriterien von Stammzellspendern einen Gefallen tun, ist fraglich. Das Zentrale Knochenmarkspender-Register Deutschland etwa findet für neun von zehn Personen geeignete Spender innerhalb weniger Wochen. Bei stärkeren Einschränkungen wäre die Vermittlungsquote mit Sicherheit deutlich niedriger.
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