Modell- oder Regelstudiengang? Graue Theorie oder gelebte Praxis? Jede Uni macht mit dem Medizinstudium ihr eigenes Ding. Warum ist das überhaupt so – wir haben nachgehakt.
Für Eilige gibt es am Ende des Artikels eine Zusammenfassung.
Der Ort des Medizinstudiums bestimmt nicht nur den Mietpreis, sondern auch das Ausbildungscurriculum. Das kann sich von Universität zu Universität deutlich unterscheiden. Wieso das so ist, erklärt Leoni Hermes, Bundeskoordinatorin für Medizinische Ausbildung der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland.
DocCheck: Warum unterscheiden sich die Curricula des Medizinstudiums von Universität zu Universität?
Hermes: Die wohl einfachste Antwort auf die unterschiedlichen Curricula an medizinischen Fakultäten liegt darin, dass es dafür keine gemeinsamen Regularien gibt, die weitreichend genug wären. In einem sehr bildungsförderalistisch geprägten Staat ist es bereits eine Besonderheit, dass eine Rechtsverordnung überhaupt Teile des Studiums regelt, wie es unsere Ärztliche Approbationsordnung tut. Weitere Faktoren, die Einfluss auf unterschiedliche Curricula nehmen können, sind die unterschiedlichen klinischen sowie wissenschaftlichen Schwerpunkte an der Universität. […] Zudem gilt auch im Medizinstudium die im Grundgesetz verankerte Freiheit der Lehre, nach der es Hochschullehrenden theoretisch möglich ist, ihre Veranstaltungen inhaltlich und methodisch frei zu gestalten.
DocCheck: Was macht den Modellstudiengang konkret aus und wie grenzt er sich zum Regelstudiengang ab?
Hermes: Im Falle der Modellstudiengänge findet die sogenannte Modellklausel der Approbationsordnung Anwendung, die es Universitäten ermöglicht, Abweichungen davon vorzunehmen. Diese können entweder Änderungen
DocCheck: Welche Vor- und Nachteile haben die beiden Konzepte jeweils?
Hermes: Der Regelstudiengang hat sich natürlich schon über viele Jahre bewährt, wird aber genau aus diesen Gründen auch als veraltet und zu theoretisch beschrieben. Genau darin liegen sowohl Vor- als auch Nachteile. Durch die klaren Strukturen können die teils sehr detailreichen Inhalte zusammenhängend vermittelt werden. Durch einzelne Prüfungen können dann die sogenannten Scheine in den Fächern erworben werden. Diese Scheine haben beispielsweise den Vorteil, dass durch ihre einfache Anrechnung der Wechsel an andere Universitäten erleichtert werden kann, ohne dass Studierende eine Verlängerung ihrer Studienzeit befürchten müssen. Der Nachteil liegt leider in den vielen Prüfungen, die dafür im Semesterverlauf anfallen, sodass Studierende durch das kontinuierliche Lernen zwar am Ball bleiben, aber teils hohen Stress in Kauf nehmen müssen, der das sehr gut sitzende Wissen in den Grundlagenfächern am Ende nicht immer rechtfertigen kann. Denn genau dafür hat sich dieses Format einen Ruf gemacht: Stoff unterrichtet zu bekommen, der zumindest in dem gelebten Umfang am Ende auch nicht so wirklich Relevanz im klinischen Alltag findet und stattdessen der Lehre von praktischen Fähigkeiten, wie etwa in Form von Patient*innenkontakt, die Kapazitäten nimmt.
Der Modellstudiengang schlägt in diese Kerbe genau ein und verbessert oftmals die klinische Lehre durch Patient*innenkontakt, teils schon ab dem 1. Fachsemester und häufig in kleineren Gruppen. […] Im Falle von modularisierten Curricula werden vorklinische und klinische Inhalte verknüpft, sowie meist statt in Fächer nun in Organsysteme oder Körperregionen unterteilt und beispielhaft an ausgewählten Krankheitsbildern unterrichtet. Dies verringert die Gesamtzahl an Prüfungen, die dann modulgebunden stattfinden. Durch diese Verknüpfung werden meist schon zwar die eher irrelevanten Inhalte für den späteren Alltag eliminiert, aber es sorgt auch dafür, dass der rote Faden im Lernstoff verloren geht.
DocCheck: Wie steht es um Studiendauer und inhaltliche Absprachen?
Ebenfalls leidet im Modellstudiengang die Beziehung zu den Dozierenden, die häufiger wechseln. Dadurch sind weniger Absprachen zwischen den einzelnen Lehrinhalten erkennbar, da für Dozierende nicht mehr nachzuvollziehen ist, was Studierende an nötigem Vorwissen für ihre zu vermittelnden Lernziele bereits haben oder nicht. So kann die Unterrichtszeit wohlmöglich nicht immer effizient genutzt werden und die Qualität, insbesondere in der klinischen Lehre, schwankt sehr stark. Durch die starke Allokation von Lehrgeldern in die Klinik besteht zusätzlich die Gefahr, dass sich Kliniken damit querfinanzieren, anstatt ihre Ärzt*innen für die Lehre wie vorgesehen abzustellen – was den Qualitätsmangel im Unterricht leider deutlich bestärkt. All diese doch sehr unterschiedlichen Besonderheiten im Modellstudiengang bedingen jedoch vor allem einen Vorteil: Neue Formate und Lehrkonzepte können ausprobiert, evaluiert und entweder angewendet oder verworfen werden. Alle Erfahrungswerte können dann herangezogen werden, wenn man sich dazu entschließt, das Medizinstudium gänzlich zu reformieren – was seit über zehn Jahren angestrebt ist.
DocCheck: Welche Vor- und Nachteile bestehen dadurch, dass jede Uni ihre eigenen Schwerpunkte legt?
Hermes: Die unterschiedlichen klinischen und wissenschaftlichen Schwerpunkte von Universitäten bieten für Bewerbende den Vorteil, sich im Vorfeld darüber zu informieren und sich zu überlegen, was ihren individuellen Bedürfnissen am besten entspricht und danach das eigene Ranking anzupassen – theoretisch. In der Realität ist man zum Zeitpunkt der Bewerbung in einer vulnerablen Situation, bei der man diese Unterschiede unter Umständen noch gar nicht einschätzen kann. Zudem ist es schwer möglich, zum gleichen Zeitpunkt schon eine Vorstellung davon zu haben, welchen Fachbereich oder welches Forschungsfeld man anstrebt. Erst wenn man an Abschnitte des Studiums gelangt, bei denen nochmals die Gelegenheit besteht, an anderen Orten einen Teil der Ausbildung zu absolvieren, wie bei Famulaturen oder im PJ, könnte man sich dazu entscheiden, in Lehrkrankenhäuser mit Schwerpunkten zu gehen – um von der besonderen Expertise dort zu profitieren. Auch für die ärztliche Weiterbildung nach dem Studium könnte dies zutreffen. Das zeigt die Gemeinsamkeiten dieser Meilensteine, die alle in einer Spezialisierung der ärztlichen Profession liegen, die im Studium noch keinen großen Stellenwert einnehmen – und dies auch nur begrenzt tun sollten.
DocCheck: Wird es irgendwann ein einheitliches Curriculum geben?
Hermes: Mit der bereits angesprochenen Reform des Medizinstudiums soll der sogenannte Nationale Kompetenzbasierte Lernzielkatalog Medizin (NKLM) verpflichtend werden. Dieser entspricht zwar keinem Curriculum, kommt diesem auf einer nationalen Ebene aber noch am nächsten. […] Dieser soll allerdings nicht die Curricula vereinheitlichen, sondern lediglich vorgeben, in welchem Studienabschnitt, welches Lernziel, in welchem Kompetenzgrad spätestens unterrichtet werden sollte. Somit blieben Universitäten in ihrer Unterrichtsgestaltungen weiterhin flexibel und das Gesundheitssystem profitiert dafür von einem weiteren Qualitätsmerkmal für die medizinische Ausbildung. Außerdem kann durch den NKLM ein Studienwechsel zu bestimmten Zeitpunkten im Studium einfacher erfolgen. Das ist aktuell ein großer Nachteil der Modellstudiengänge. Für Studierende ist besonders von Vorteil, dass der NKLM wiederum mit dem Gegenstandskatalog (GK) abgeglichen werden soll. Dieser gibt vor welche Inhalte in den Staatsexamina geprüft werden. Somit könnte endlich auch auf nationaler Ebene das Konzept des Constructive Alignments Anwendung finden. Aktuell gibt es den NKLM 2.0, der allerdings durch die ausstehende Verabschiedung der neuen ÄApprO noch nicht dort verankert und damit für Fakultäten nicht bindend ist. Den Entwürfen der neuen Rechtsverordnung zufolge wird sich dies aber ändern, sobald sich die Finanzierungsstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern zur neuen ÄApprO legen und die Reform vom Bundesrat beschlossen wird.
Zusammenfassung:
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Bildquelle: Emediong Umoh, unsplash