Methylenblau: Das Wundermittel gegen Depression, Demenz und Immunsystem-Störungen – das behaupten zumindest fragwürdige Anbieter im Netz. Aber diese haltlosen Versprechungen gefährden Patienten.
Neulich auf Instagram: Eine Firma preist die „magische Lebenskraft“ von Methylenblau an. Gemeint ist tatsächlich der Farbstoff für Anwendungen in der Mikrobiologie bzw. Mikroskopie.
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Historisch kam Methylenblau tatsächlich gegen Malaria zum Einsatz; ein Prinzip, das heute noch seine Berechtigung hat. Doch die esoterische „Literatur“ sieht Einsatzmöglichkeiten bei Demenz, bei Depression oder bei Störungen des Immunsystems. Da springen Fitness-Magazine allzu willig auf. Von einem „Biohack“ ist dann die Rede, dem Unwort des Jahrzehnts. So mancher Sportler ist dem Methylenblau-Hype verfallen, um sich „selbst zu optimieren“. Evidenzbasierte Publikationen sucht man hier vergebens.
Vor einigen Jahren gab es einen Hype um Methylenblau – und um Derivate der Substanz als mögliche Therapie der Alzheimer-Demenz. Letztlich verliefen alle Studien enttäuschend. Doch der Mythos, Alzheimer werde endlich „ein blaues Wunder erleben“, hat sich gehalten.
Ganz so harmlos ist die Sache nicht. Weniger als 2,0 mg des Farbstoffs pro kg Körpergewicht gelten als vergleichsweise harmlos, zumindest kurzfristig. Nur fehlen oft Dosisangaben – und Käufer orientieren sich lieber an Social-Media-Tipps.
Eine Überdosierung von Methylenblau kann zu Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Schwindel, Kopfschmerzen und zur Blaufärbung von Haut beziehungsweise Schleimhäuten führen. Auch hemmt der Farbstoff ein Serotonin-abbauendes Enzym, die Monoaminooxidase A. Bekommen Patienten selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI), droht das Serotonin-Syndrom. Langfristig sind Folgen für das blutbildende System und das Nervensystem möglich. Auch können manche Menschen allergisch auf den Farbstoff reagieren. Alles in allem ist Methylenblau außerhalb klinischer Studien deshalb keine gute Wahl.
Auch die Menopause bietet einen veritablen Markt für allerlei Unfug; auf Social Media tummeln sich zahlreiche Anbieter. Sie bewerben etwa Kollagen-Gummibärchen für 30 Euro. Oder wie wäre es mit einer Infrarot-Heizmatte für knapp 1.500 Euro? Ob diese Produkte schaden, ist unklar. Gefahren drohen eher von fragwürdigen Empfehlungen zu Supplementen, speziell von dubiosen Hormonersatzpräparaten.
Ähnlich merkwürdig sind Blogs und Postings rund um Fluoride. Heilpraktiker warnen seit Jahrzehnten vor dem „giftigen Stoff“. Mit ihm bringen sie Schäden des Immunsystems, des Verdauungssystems, der Blutzirkulation, des Atmungssystems, der Nierenfunktion, der Leberfunktion, der Gehirnfunktion und vieler Bereiche mehr in Verbindung. Verkalkungen der Zirbeldrüse sind auch ein beliebtes Thema. Postings rücken Fluorid in die Nähe von Rattengift. Gleichzeitig bewerben sie überteuerte Zahncremes mit Salbei, mit Zink, mit basischen Zusätzen oder mit Silicium. Natürlich sollten alle Produkte vegan sein, das versteht sich von selbst.
Das Gedankenspiel dahinter: Wasserlösliche Fluoride sind tatsächlich giftig – aber nur in größerer Menge und beim Verschlucken. Zahncremes mit 500 bis 1.500 ppm Fluorid verringern das Karies-Risiko. Das hat selbst ein Cochrane Review bestätigt. Gefahren gehen von solchen Produkten nicht aus.
Wer sich auf Plattformen wie Reddit umsieht, findet etliche Postings zu Arzneimitteln. Beispielhaft seien hier die Statine erwähnt; User diskutieren in aller Ausführlichkeit mögliche Nebenwirkungen oder Erfahrungen. Das Problem daran: Viele User orientieren sich an solchen Diskussionen, wie Untersuchungen zeigen. Sie treffen ihre Entscheidungen eigenmächtig, ohne Rücksprache mit ihrem Arzt. Und der Gedanke lautet vielleicht, Arzneimittel besser abzusetzen.
Ähnlich sieht es bei der Frage nach ungeplanten Schwangerschaften in Zusammenhang mit Semaglutid aus; eine Facebook-Gruppe zum Thema hat mehr als 1.000 Mitglieder. Auch auf TikTok kursieren entsprechende Videos. Die Berichte lassen sich aus der Ferne schwer beurteilen.
Effekte auf die Fertilität bei Übergewicht und beim polyzystischen Ovarialsyndrom (PCOS) gelten als wahrscheinlich; die Wirkung der „Pille“ scheint aber nicht beeinträchtigt zu werden. Doch als Grundproblem bleibt: Wer solchen Content liest, setzt GLP-1-Analoga vielleicht eigenmächtig ab, und gesundheitliche Folgen drohen.
Das Grundproblem hinter all diesen Themen: Social Media hat einen Haken. User, die schwurbeligen Content lesen, bekommen in der Timeline von Algorithmen ähnliche Inhalte angezeigt. Ihre Wahrnehmung verzerrt sich mehr und mehr. Der ärztliche Tipp, evidenzbasierte Patienten-Websites aufzusuchen, wird wenig bringen.
Besser ist, bei unklaren Symptomen gezielt nachzufragen, ob Patienten vielleicht ein Präparat online erworben haben und jetzt einnehmen. Und die mangelnde Therapietreue ärztlich verordneter Präparate kann Therapieversager erklären.
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