Eine noch nie dagewesene Ebola-Welle überrollt seit Anfang des Jahres Westafrika. Drei Staaten sind bereits betroffen, Fluchtbewegungen verschlimmern die Situation. Die „Ärzte ohne Grenzen“ sind am Limit. Ist die Situation noch beherrschbar?
Seit Februar breitet sich im west-afrikanischen Guinea das Ebola-Virus aus. Inzwischen sind auch die Nachbarländer Sierra Leone und Liberia betroffen. Von etwa 400 Toten spricht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bisher, die Dunkelziffer ist mit großer Wahrscheinlichkeit sehr viel höher. Die Helfer seien hoffnungslos überfordert, die Menschen verängstigt, die Situation außer Kontrolle, berichten die Menschen vor Ort. Am 2. und 3. Juli hat die WHO die elf Gesundheitsminister Westafrikas zu einer Konferenz im ghanaischen Accra einberufen. Die Organisation fordert „drastische Maßnahmen“.
Währenddessen unterstützen die “Ärzte ohne Grenzen“ (MSF) als einzige Hilfsorganisation, die Ebola-Infizierte behandelt,die Menschen vor Ort in fünf Behandlungszentren in Guinea und Sierra Leone. Doch das Virus scheint sich unaufhaltsam immer weiter auszubreiten. Neue Ausbruchsherde könnten von den Helfern nicht mehr bekämpft werden, so Bart Janssens Janssens, Programmverantwortlicher von Ärzte ohne Grenzen in Brüssel. Die Grenzen der Ärzte ohne Grenzen seien erreicht. "Mit dem Auftreten neuer Herde besteht das ernsthafte Risiko einer Ausbreitung in weitere Regionen", so Janssens. Warum eskaliert die Situation in West-Afrika?
Grund für die noch nie zuvor beobachtete Verbreitung des Ebola Virus ist zum einen die große Aggressivität des Virus. Ebola wird durch Blut und andere Körperflüssigkeiten übertragen. Nach einer Inkubationszeit von drei bis 21 Tagen leiden Infizierte an Fieber, Muskelschmerzen, Durchfall sowie in heftigen Fällen an inneren Blutungen und Organversagen. Bei manchen Erregertypen überleben lediglich 10 Prozent der Betroffenen. Impf- oder Therapiemöglichkeiten gibt es bis heute nicht. Die lange Inkubationszeit erschwert es den Helfern vor Ort zusätzlich, neue Infektionsherde auszumachen. Zudem sind viele Menschen in den betroffenen Gebieten bereits auf der Flucht vor dem Virus und fördern so die Verbreitung der Epidemie.
Die einzige Möglichkeit, sich vor dem Virus zu schützten, besteht darin, den Kontakt mit Körperflüssigkeiten von Infizierten zu vermeiden. Mitarbeiter der “Ärzte ohne Grenzen“ hüllen sich daher in futuristisch anmutende Schutzanzüge, tragen Mundschutz und Schutzbrillen, wenn sie Ebola-Patienten behandeln oder Opfer des Virus begraben. Das schürt die Angst unter der afrikanischen Bevölkerung und lässt viele Menschen ihre kranken oder bereits verstorbenen Verwandten vor dem Hilfspersonal verstecken. Doch wer infizierte Angehörige ohne Schutzausrüstung selbst pflegt oder Tote berührt, erkrankt mit hoher Wahrscheinlichkeit selbst an dem gefährlichen Virus.
Auch aus Angst vor Ausgrenzung verneinten viele Afrikaner den Kontakt zu Kranken, wie die Krankenschwester Anja Wolz, die für die “Ärzte ohne Grenzen“ in Sierra Leona im Einsatz ist,in einem aktuellen Beitrag berichtet. „Das Problem sind die Beerdigungen. In Sierra Leone ist es Tradition, dass die Toten besonders aufwendig gewaschen und neu eingekleidet werden. Viele Verwandte und Freunde berühren die Verstorbenen noch einmal. Und das kann für eine Ansteckung mit dem Ebola-Virus reichen“, schreibt die Helferin. Die Regierung in Sierra Leone gab mittlerweile eine Warnung an die Bevölkerung aus: Wer einen Ebola-Kranken verstecke oder jemanden beerdige, der an dem Virus gestorben sei, mache sich strafbar.
Die schlimmste bisher erfasste Ebola-Epidemie wütete in Afrika im Jahr 1976, als das Virus erstmals aufgetaucht war. Im damaligen Zaire, im heutigen Kongo, erkrankten damals 318 Menschen an dem Virus, 280 davon starben. Seitdem tauchte das Virus zwar immer wieder in entlegenen Dörfern auf, war aber durch seine regionale Begrenzung bisher immer recht schnell wieder eingedämmt worden. Diese Ebola-Epidemie sei anders: Beispiellos, was die geografische Verbreitung, die Zahl der infizierten Menschen und die Todesfälle betreffe. Ganz Westafrika sei betroffen, berichten die “Ärzte ohne Grenzen“. Erschwerend komme hinzu, dass sich viele zivile, politische und religiöse Autoritäten weigerten, die Schwere des Ausbruchs anzuerkennen.
Nur durch massive Anstrengungen aller Beteiligten könne man nach Angaben der MSF dem Problem noch Herr werden. Dazu müssten die Regierungen der betroffenen Länder und andere Hilfsorganisationen alle zur Verfügung stehenden Ressourcen einsetzen. : "Vor allem muss qualifiziertes Personal zur Verfügung gestellt werden, es muss trainiert werden, wie Ebola behandelt wird und die Aufklärungsarbeit und das Abverfolgen der Personen, die Kontakt mit einem Infizierten hatten, muss verstärkt werden“, so Janssens. In Westafrika sei nicht nur medizinisches Wissen gefragt, auch Anthropologen müssten mithelfen, die die Helfer zu schulen und die Bevölkerung aufzuklären. "Wir haben keine Erfahrung mit solchen Ausbrüchen in Westafrika, die Situation ist einfach anders, wir müssen erst einmal die Menschen verstehen und entschlüsseln, wie wir sie überzeugt bekommen, dass die richtigen und guten Gegenmaßnahmen von Organisationen vor Ort ihr Leben retten werden." Doch dafür bleibt nicht viel Zeit.