Er ist weitaus wichtiger als landläufig angenommen: Die Appendix vermiformis. Warum es sich lohnt, ihn zu retten und was das Mikrobiom damit zu tun hat.
Für Eilige gibt’s am Ende des Textes eine Zusammenfassung.
Im Laufe des Lebens erkranken sieben bis acht Prozent aller Menschen an einer Appendizitis. Ärzte können sich neben der Appendektomie nach entsprechender Risikoabwägung auch für eine Antibiotika-Therapie entscheiden; Studien stützen eine Pharmakotherapie.
Charles Darwin hielt das Anhängsel noch für reichlich nutzlos. Doch zahlreiche Studien zeigen, dass er sich gewaltig geirrt hat. Allein die komplexe Evolution deutet darauf hin, dass der Appendix mehr als nur ein Überbleibsel unserer Vorfahren ist, die ihre Ernährung von Blättern auf Früchte umgestellt haben – und dass es sich lohnen kann, ihn zu retten.Der Wurmfortsatz ist als helle, „wurmartige“ Struktur vor dem Dickdarm zu erkennen. Credit: Wikimedia Commons/CC0.
Nach mehreren Fallberichten, dass Appendektomie-Patienten schwer an Salmonellose oder an Clostridium-difficile-Colitis erkrankt sind, wollten Forscher der Sache auf den Grund gehen, wenn auch mit einem etwas überraschenden Studiendesign. Sie werteten retrospektive Aufzeichnungen zur Gesundheit von 1.251 Primaten aus. Es handelte sich um 45 Arten, darunter 13 Arten mit und 32 ohne Appendix. Im Datensatz waren Aufzeichnungen zu 2.855 Episoden mit Durchfall zu finden. Tierärzte hatten 13 Prozent als schwere Durchfälle mit erforderlicher Therapie – oder gar mit tödlichem Ausgang – bewertet.
Bei Primaten mit Appendix fanden die Wissenschaftler ein geringeres Risiko für schwere Durchfälle, speziell in den ersten Lebensjahren, wenn das Durchfallrisiko am höchsten ist. „Diese Ergebnisse verdeutlichen die Funktion des Appendix bei Primaten als Schutz vor Durchfall“, schreiben die Autoren und vermuten eine ähnliche Funktion bei Menschen.
Daten einer klinischen Kohorte bestätigen den Verdacht: Tatsächlich fanden Wissenschaftler Hinweise auf ein fast doppelt so hohes Risiko nichttyphoider Salmonelleninfektionen mit Notwendigkeit eines Krankenhausaufenthalts bei Personen mit Appendektomie in der Vorgeschichte. Wie kann das sein?
Eine mögliche Erklärung: Infektiöser Durchfall stört das Darmmikrobiom und verringert seine Vielfalt, berichten Forscher. Und laut einer Querschnittsstudie beeinflussen Appendektomien das Mikrobiom negativ. Dazu haben Wissenschaftler Stuhlproben von 30 gesunden Personen mit vorheriger Appendektomie und 30 gesunden Personen als Kontrollen sequenziert.
Ihre Analyse ergab, dass das Darmmikrobiom nach einer Appendektomie eine geringere Vielfalt hatte, verglichen mit der Kontrollgruppe. Vor allem waren die Spezies Roseburia, Barnesiella, Butyricicoccus, Odoribacter und Butyricimonas in der OP-Gruppe seltener. Damit bleibt als Hypothese: Der Appendix könnte Symbionten davor schützen, bei einem Durchfall eliminiert zu werden – und damit die erneute Kolonisation des Darms fördern. Ein weiterer Aspekt: Die Charité hat in Studien gezeigt, dass das Mikrobiom auch die Funktion dendritischer Zellen reguliert, die wichtig für eine effektive Immunantwort sind.
Weitere Erkrankungen stehen ebenfalls mit Appendektomien in Zusammenhang. Patienten nach einer Appendektomie hatten ein 1,46-fach höheres Risiko, am Reizdarmsyndrom zu erkranken, verglichen mit Kontrollen. Das Risiko war bei Patienten unter 40 Jahren und bei Patienten, die sich innerhalb der letzten fünf Jahre einer solchen OP unterzogen haben, am höchsten. Aus diesem Grund, so die Autoren der Studie, sollten Ärzte bei Patienten, denen der Blinddarm entfernt worden sei, auf mögliche Symptome eines Reizdarmsyndroms achten.
Ähnliche Befunde gibt es auch zu Darmkrebs, wie eine Metaanalyse zeigt. Insgesamt hatten Menschen mit Appendektomie ein höheres Risiko für kolorektale Karzinome (Odds Ratio 1,31). Das Risiko für Europäer war nicht signifikant erhöht (OR 0,94), bei Menschen aus den USA (OR 1,68) oder aus asiatischen Ländern (OR 1,68) gingen die Zahlen aber klar nach oben. „Für eine bessere klinische Entscheidungsfindung sind mehr qualitativ hochwertige, länderübergreifende Studien erforderlich“, geben die Autoren jedoch zu bedenken.
Das Darmmikrobiom wird auch mit Stoffwechselerkrankungen in Verbindung gebracht. Studien zur Assoziation mit Typ-2-Diabetes sind nicht neu. Doch auch hier spielen Appendektomien als mögliche Risikofaktoren eine Rolle. Forscher haben Daten einer Kohorte mit 10.954 Appendektomie-Patienten ausgewertet. Eine Vergleichskohorte mit 43.815 Personen ohne die OP wurde nach Geschlecht, Alter bzw. Komorbiditäten abgeglichen. Um die Zuverlässigkeit der Ergebnisse sicherzustellen, folgte eine Sensitivitätsanalyse.
Obwohl die Gesamtinzidenz von Typ-2-Diabetes bei Patienten mit Appendektomie um 7,9 Prozent höher lag als bei den Patienten ohne den Eingriff, war der Unterschied nach Anpassung möglicher Störfaktoren nicht statistisch signifikant. Für eine Warnung reichen die Daten dennoch aus. „Die Ergebnisse unserer Studie deuten darauf hin, dass eine Blinddarmoperation das Risiko für Typ-2-Diabetes erhöht, insbesondere wenn sie vor dem mittleren Lebensalter durchgeführt wird“, schreiben die Autoren.
Bleibt als Fazit: Das Mikrobiom steht mit unterschiedlichen Erkrankungen in Zusammenhang. Viel spricht dafür, dass der Appendix als Reservoir für nützliche Bakterien dient. So manche Appendektomie ist unvermeidlich. Doch im Zweifel spricht viel dafür, den Appendix zu erhalten.
Schutzfunktion des Appendix: Der Appendix spielt eine wichtige Rolle im Schutz vor schweren Durchfallerkrankungen, indem er möglicherweise das Darmmikrobiom stabilisiert und vor einer drastischen Reduktion der Bakterienvielfalt während Infektionen schützt.
Erhöhte Gesundheitsrisiken nach Appendektomie: Personen, denen der Appendix entfernt wurde, haben ein erhöhtes Risiko für bestimmte Erkrankungen wie Reizdarmsyndrom, kolorektale Karzinome und möglicherweise auch Typ-2-Diabetes.
Bedeutung des Appendix für das Mikrobiom: Der Appendix könnte als Reservoir für nützliche Bakterien dienen, was die Darmgesundheit unterstützt und eine wichtige Rolle bei der Immunabwehr spielt. Dies unterstreicht die Überlegung, den Appendix nach Möglichkeit zu erhalten.
Bildquelle: Steve Smith, Unsplash