KOMMENTAR | Deutsche Apotheken sterben. Schuld ist mal wieder die Politik – sagen zumindest die Apotheker. Aber ist das wirklich so oder haben sie ihren Untergang selbst zu verantworten?
Läuft man in einer Stadt wie Köln durch die Straßen, springt einem förmlich an jeder Ecke eine Apotheke ins Auge. Als geborenes Landei weiß ich aber auch, dass Apotheken nicht überall im Überfluss vorhanden sind. Der Grund: Das große Apothekensterben. Ich frage mich: Ist es eher ein Apothekensuizid?
In Deutschland sterben täglich Apotheken. Allein dieses Jahr gab es im ersten Quartal 142 Apotheken weniger als im Quartal davor. Damit gibt es Stand März 2024 noch 17.429 Apotheken in Deutschland. Zum Vergleich: Im Apotheken-Glanzjahr 2008 gab es landesweit noch 21.602 Apotheken. Schuld an diesem Schwund ist, so zumindest die Sicht der Apotheken, die Politik.
„Dass die Zahl der Apotheken so stark zurückgeht, geht auf das Konto der Politik“, sagt Thomas Preis, Verbandsvorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein e. V. gegenüber DocCheck. Dem stimmt auch ABDA-Vizepräsident Mathias Arnold zu: „Im vergangenen Jahr gab es nur noch 62 Neugründungen im Apothekenmarkt – das liegt auch daran, dass trotz Kostensteigerungen von rund 60 Prozent seit 2013 das Apothekenhonorar kein einziges Mal erhöht wurde.“
Niemand will also Apotheker sein, weil die Honorare nicht steigen und die Politik nichts macht. Das mag stimmen, aber das wird auch schon seit Jahren gepredigt – verändert hat sich nichts. Um ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen zu können, bräuchten Apotheken vor allem eines: den Segen der Politik. Und einerseits ist das absolut korrekt, denn Apotheken haben besonders in den letzten Pandemiejahren gezeigt, wie schnell sie sich auf neue, unvorhergesehene Ausnahmesituationen einstellen können. „Dass sich die Apotheken nicht an sich ändernde Märkte anpassen können, sehe ich überhaupt nicht. Denken Sie hier bitte an die Pandemie“, sagt Arnold. „Innerhalb kürzester Zeit haben die Apotheken dafür gesorgt, dass Deutschland wieder mit Desinfektionsmitteln versorgt wird. Danach haben die Apotheken Masken verteilt, eine bundesweite Test-Infrastruktur aufgebaut und das System der Impfzertifikate flächendeckend ins Rollen gebracht.“
In dieser Ausnahmesituation hat sich die Apotheke bewiesen, das steht außer Frage. Aber wie sieht es mit dem Alltag aus?
Denn abgesehen von den äußeren Umständen und der ohne Frage überfälligen angepassten Vergütung, gibt es weitere Faktoren, die zum Apothekensterben beitragen. Und die sind hausgemacht.
„Seit 1958 herrscht in Deutschland komplette Niederlassungsfreiheit für Apotheken. Jede Apotheke kann sich überall ansiedeln“, sagt Arnold. Diese Niederlassungsfreiheit führt zu Konkurrenz – intensiver Wettbewerb ist vorprogrammiert. Und wo Konkurrenz ist, verlieren die Schwachen. Apotheker dürfen zudem neben der Hauptapotheke bis zu drei Filialen haben. Mehrbesitz und Fremdbesitz bleiben aber verboten. Ob eine Lockerung hier zu einer Verbesserung oder zu einer reinen Gewinnmaximierung führen würde, bleibt fraglich.
„Auch bei der Digitalisierung – Stichwort: E-Rezept – gehören die Apotheken seit Jahren zu den Vorreitern im Gesundheitswesen“, sagt Arnold. An der Umsetzung hapert es aber bis heute. Außerdem laufen Online-Apotheken ihnen den Rang ab. „Die Kundenbindung in Apotheken basiert stark auf Vertrauen und persönlichen Beziehungen, was durch rein digitale Angebote nur schwer zu ersetzen ist“, sagt Eva Bahn, PTA. „Das Anfertigen von Individualrezepturen oder das direkte Anmessen von Kompressionsstrümpfen oder Schienen […] schafft man ebenfalls nicht per Videocall [mit einer Versandapotheke].“
Wenn ich aber schnell was gegen meine Erkältungsbeschwerden haben will, nützt mir die bei OTC-Medikamenten eh oft vernachlässigte Beratung wenig. Eine schnelle Online-Apo, bei der ich bequem aus dem Bett mein Paracetamol bekomme, dagegen sehr.
Braucht es also einfach nur lockerere Zügel der Politik, damit die Apotheken wieder lukrativer werden? Oder müssen sich Apotheker von ihrem aktuellen Berufsbild verabschieden und sich – wie alle anderen auch – weiterentwickeln, anstatt alles auf die politischen Gegebenheiten zu schieben?
„Apotheken müssen so gestärkt werden, dass sie ausreichende Erträge erwirtschaften können, um die von Jahr zu Jahr steigenden Kosten decken zu können“, sagt Preis. Aber was könnten die Apotheken selbst tun, um wirtschaftlich zu bleiben? Richtig große Veränderungen – auch rein hypothetisch und unabhängig davon, ob diese jetzt politisch möglich wären – will man jedenfalls nicht wagen. Aber es soll trotzdem besser werden …
Wir fassen zusammen: Die Apotheken müssen gestärkt werden, brauchen mehr Geld und passen sich – zumindest laut Selbstwahrnehmung – eh schon gut an. Anpassung an den Markt gibt es im Rahmen der Möglichkeiten, aber bitte nicht zu viel. Vom großem Innovationswillen, natürlich auch immer politischer Einschränkungen und nicht nur fehlendem Willen geschuldet, kann aber auch nicht die Rede sein. Also, wer ist denn nun schuld am Tod der Apotheken? Die böse Politik, oder doch die Apos selbst?
„Apotheken wehren sich nicht grundsätzlich gegen Veränderung, sondern nur gegen Veränderungen, die ihrer Ansicht nach die Sicherheit und Qualität der Patientenversorgung gefährden könnten“, sagt Bahn.
Es gibt einige Konzepte, wie die Apotheke der Zukunft aussehen könnte. Im Gespräch ist zum Beispiel der Vorschlag gefallen, dass Apotheken sich zu ganzheitlichen Wellnesseinrichtungen entwickeln könnten, inklusive medizinischer Fußpflege, Hautpflege-Beratung oder Massagen. Die benötigten Produkte könnten die Apotheken selbst herstellen. Dieser Vorschlag trifft allerdings auf Unverständnis.
„Apotheken sind keine Wellnesseinrichtungen – in ihnen arbeiten approbierte Heilberuflerinnen und Heilberufler Hand in Hand mit Pharmazeutisch-technischen Assistentinnen (PTA) und Pharmazieingenieuren“, sagt Arnold gegenüber DocCheck. Ähnlich deutlich sieht das auch Preis: „Wir sehen da auch keinesfalls die Zukunft des Apothekensystems. Apotheker sind ausgebildete Heilberufler. Unsere Kernkompetenzen sind Arzneimittel und Gesundheit. Diese Kernkompetenzen müssen konsequent weiter gestärkt werden.“ Bahn ist da positiver gestimmt: „Die Idee, Apotheken zu modernen Wellnesseinrichtungen weiterzuentwickeln, ist durchaus interessant und bietet viele Chancen. Apotheken könnten so ihr Angebot diversifizieren […] Das ist aber Zukunftsmusik, da wir ja auch nur Dinge anbieten dürfen, die Unmittelbar mit Gesundheit zusammenhängen.“
Klar ist aber, es muss sich etwas ändern: „Die Apotheke der Zukunft wird anders aussehen als die Apotheke, die wir heute kennen. Neben der Abgabe von Arzneimitteln werden Aufgaben wie Impfen, Testen, weitere pharmazeutische Dienstleistungen und Präventionsaufgaben eine wichtige Rolle in den öffentlichen Apotheken spielen“, sagt Preis. „Bei einer alternden Bevölkerung, die am pharmazeutischen Fortschritt teilhaben möchte, wird der Bedarf an guter Versorgung und Beratung eher größer als kleiner. […] Insofern braucht es eine Stärkung der Apotheken vor Ort, keine Ausdünnung des Versorgungsnetzes“, so Arnold. „Eine Balance zwischen traditionellen Apothekendienstleistungen und neuen Wellnessangeboten könnte die Zukunft der Apothekenlandschaft aber durchaus sehr positiv gestalten“, ergänzt Bahn.
In einer Welt voller Wandel wird Stillstand bestraft – und wenn man die Pandemie-Zeiten ausklammert, stehen Apotheken seit Jahrzehnten still. Apotheken müssen sich darüber Gedanken machen, welche Aufgaben sie in Zukunft übernehmen wollen. Beratung zu und Herstellung von Arzneimitteln ist wichtig. Für OTC-Medikamente wird aber in Realität seltenst beraten – da ist die Lieferapotheke für Viele die bequemere Wahl. Das Bild des Apothekers als Verkäufer verärgert den Berufsstand – dabei bestätigt er es zumindest gegenüber den Kunden oft selbst. Wie oft wird man wirklich zur Einnahme, Neben- und Wechselwirkungen beraten? Das Portfolio der Aufgaben muss erweitert werden, um als Vor-Ort-Apotheke wirtschaftlich zu bleiben. Dazu gehören vielleicht in Zukunft auch mehr Lifestyle-Produkte wie NEM, selbstgemachte Hautpflege und investorengeführte Apothekenketten. Ob es nun genehm ist oder nicht.
Die Apotheken haben die Krisensituation Corona gut gemeistert, aber jetzt muss es genauso motiviert weitergehen. Für den ganz großen Wurf seien aber politisch die Hände gebunden – da ist ohne Frage etwas dran. Aber vielleicht liegt es auch ein bisschen am eigenen fehlenden Innovationsgeist.
Bildquelle: Mathieu Stern, unsplash