Was gibt’s über Ohrverletzungen schon groß zu sagen? Das hätte man zumindest bis zum Attentat auf Donald Trump gedacht. Lest hier, was Ärzte bei Verletzungen der Ohrmuschel beachten müssen.
Der niederländische Maler Vincent van Gogh schnitt sich 1888 einen Teil seines linken Ohrs ab, wohl in einem Anfall von psychischer Instabilität. Sein Selbstbildnis mit bandagiertem Ohr wurde ikonisch.
1997 biss der US-amerikanische Schwergewichtsboxer Mike Tyson seinem Gegner Evander Holyfield ein Stück des rechten Ohrs ab und wurde daraufhin disqualifiziert – gesehen hat die Szene wohl jeder.
Letzten Samstag, am 13. Juli 2024, erlitt Präsidentschaftskandidat und ehemaliger US-Präsident Donald Trump eine Ohrverletzung, als er ein Attentat mit einem Streifschuss am Ohr überlebte. Sekunden nach dem Vorfall reckte er, mit Blutspuren im Gesicht, die Faust in den Himmel – auch dieses Bild ging weltweit durch die Presse. Und wieder einmal war das Ohr im Fokus.
Auch bei einer solchen zunächst unscheinbaren Verletzung gibt es Dinge, die bedacht werden müssen. „Offensichtliche Verletzungen des Innen- und Außenohrs sind zwar möglich, aber die Wucht der Kugeln in dieser Nähe macht auch Schädelbrüche oder Hirnblutungen zu einem sehr realen Risiko“, so die Notfallmedizinerin Amy Faith Ho gegenüber der Presse. Die größte Sorge bei Schusswunden in Kopfnähe seien Hirnverletzungen, sagt auch der Traumatologe Nicholas Namias. „Schüsse haben eine sehr hohe Geschwindigkeit und man kann tatsächlich eine Hirnverletzung erleiden, auch wenn es wie ein Streifschuss aussieht, ohne dass der Schädel gebrochen ist.“
Trumps betreuende Mediziner haben bisher noch keine Details über seinen Zustand oder seine Behandlung veröffentlicht. Während er bereits mit Pflaster am Ohr wieder in der Öffentlichkeit auftrat, scheint er lediglich eine Verletzung der Ohrmuschel davongetragen zu haben.
Platz- oder Rissverletzungen sind an der Ohrmuschel häufig, erklärt Prof. Thomas Deitmer den DocCheck News im Interview. Er ist HNO-Arzt und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie Bonn. „Bei einer Ohrmuschelverletzung muss zuerst geschaut werden, ob die Wunde genäht werden muss und dann sollte eine sorgfältige Wundversorgung stattfinden.“ Wenn wirklich nur die Ohrmuschel betroffen ist, sei die Versorgung eher unproblematisch.
Schwieriger und seltener in Sachen Ohrverletzungen ist da schon ein Othämatom, also eine Einblutung zwischen Perichondrium und Knorpel der Ohrmuschel. Hierbei entsteht durch eine tangentiale Krafteinwirkung eine Abscherung, ohne dass es zu Hautverletzungen kommen muss. Der Knorpel wird durch die Abhebung nicht mehr mit Blut versorgt und kann sich auch entzünden. Das sei zwar kein absoluter Notfall, der nachts um zwei behandelt werden müsse, „man sollte solche Fälle aber auch nicht mehr als 24 Stunden warten lassen.“ Hier sollte evtl. eine Punktion oder besser eine Inzision zur Entlastung und Ausräumung des Hämatoms oder Seroms vorgenommen werden. Wichtig ist die anschließende Matratzennaht über kleine Tupfer an Vor- und Rückseite, sodass der entstandene Hohlraum verklebt.
Ein streng aseptisches Vorgehen ist hier wichtig und auch vor einer Antibiose sollte an der Ohrmuschel im Zweifel nicht zurückgeschreckt werden – denn ist der Knorpel erstmal entzündet, erschwert das die Behandlung meist enorm und Knorpelerhalt ist für die bleibende Form der Ohrmuschel wichtig. Ein Verband sollte an dieser Körperstelle formend sein, um die ästhetische Struktur der Ohrmuschel zu erhalten. „Hier kann man Watte in Salbe tränken, sodass sie sich wie Knete formen lässt und das Relief der Ohrmuschel gut ausgekleidet und gestützt werden kann. Diese Verbandstechniken kennt man als HNO-Arzt aus den gängiger vorkommenden Ohrmuschelanlegeplastiken.“
Kommt es zu einem kompletten oder teilweisen Abriss der Ohrmuschel, sollten abgerissene Teile natürlich sorgfältig gekühlt verwahrt und für die Versorgung bereitgehalten werden. Hier muss der Knorpel sorgfältig vernäht werden, Haut kann auch bei dünner Hautbrücke replantiert werden. „Das lohnt sich – und klappt öfter erstaunlich gut!“, so der Fachmann. Auch komplette Amputationen könne man replantieren, mittels Anastomosen der zugehörigen Venen und Arterien der Ohrmuschel. „Das ist aber sehr schwierig und nur was für Experten der mikrovaskulären Transplantation.“
Bei kritischem subtotalem Verlust könne die Ohrmuschel auch in eine Hauttasche eingebracht werden, die hinter dem Ohr geschaffen wird. So kann eine Kapillarisierung erreicht und die Ohrmuschelstruktur gerettet werden. Auch könne man bei einer kompletten Zerstörung der Struktur künstliche Ohrmuscheln aus Rippenknorpel oder Kunststoff herstellen – letzterer könne zwar besser geformt werden, es käme aber auch öfter zu Abstoßungsreaktionen. Solche plastisch-chirurgischen Methoden würden oft mehrere Operationsschritte bedingen.
Viel Unheil am äußeren Ohr stiften auch Piercings. Vor allem, wenn hierfür der Ohrknorpel verletzt wird, wie etwa an Tragus oder Helix, und sich entzündet. Hier rät Deitmer, nicht vor einer Antibiose systemisch und lokal mit Desinfizienzien zurückzuschrecken, am besten mit vorherigem Anlegen eines Antibiogramms.
Auch muss man bei Veränderungen der Haut am Ohr an UV-bedingte Tumorbildung denken. „Basaliome oder Spinaliome werden auch immer häufiger. Hier muss dann unter Umständen– je nach Größe – nach einer sicheren R0-Resektion z.B. eine Keilexzision durchgeführt und die Ohrmuschel wieder sorgfältig vernäht werden. Sie ist dann zwar etwas kleiner als vorher, das heilt aber in der Regel sehr gut. Für Defekte unterschiedlichster Größe an der Ohrmuschel ist eine breite Palette an plastisch-chirurgischen Versorgungsmöglichkeiten in der HNO-Heilkunde bekannt.“
Schwer zu erkennen seien außerdem seltene rheumatische Erkrankungen, die sich an der Ohrmuschel manifestieren, wie die rezidivierende Polichondritis. Oft erscheinen die Beschwerden wie eine Verletzung oder ein Erysipel mit anschließender bakterieller Infektion des Knorpels. Tatsächlich reagieren diese Patienten nicht auf Antibiose, dann aber gut auf antirheumatische Therapien. „Ein guter Hinweis auf eine solche Erkrankung ist, wenn dann auch die andere Ohrmuschel oder der Nasenknorpel betroffen sind“, so Deitmer. Die Kooperation mit der Rheumatologie sei dann wichtig.
Und was sagt Deitmer zu Trumps Ohrverletzung? „Er hatte ja Blutspritzer im Gesicht – man weiß aber nicht, ob es nur zu einer Verletzung der Ohrmuschel gekommen ist oder vielleicht doch auch einem Streifschuss am Hinterkopf.“ Dass die Kugel den Schädel selbst relevant tangiert habe, sei aber unwahrscheinlich – soweit man dieses aus den Bildern und dem Ablauf in den Medien ableiten kann.
Bildquelle: Jack Finnegan, unsplash