Ein reformierter Rettungsdienst, erleichtertes Überkreuzspenden und Digitalupdates für alle – diese und weitere Vorhaben rief Lauterbach vor der politischen Sommerpause aus. Extra-Geld zur Umsetzung macht Lindner aber nicht locker.
Gestern war gesundheitspolitischer Super-Mittwoch – wer sich auch nur vage für die Entwicklung des deutschen Gesundheitswesens interessiert, hatte seine Augen auf Berlin gerichtet. Sowohl bei der finanziellen Planung als auch bei konkreten Änderungen im ärztlichen Alltag wurden Perspektiven aufgezeigt.
Den Anfang machte dabei Bundesfinanzminister Lindner, der mit der Vorstellung des Bundesetats für 2025 nicht für alle Akteure des Gesundheitswesens frohe Kunde bereithielt. Von seinem Gesamtetat von 480 Milliarden Euro (8 Milliarden weniger als dieses Jahr) sind 16,4 Milliarden Euro für das BMG vorgesehen – rund 300 Millionen Euro weniger als derzeit. Gerechtfertigt wird dies mit Streichungen von rund 290 Mio. Euro im Bereich der Pandemiebereitschaftsverträge und der Corona-bedingten Leistungen des Gesundheitsfonds. Konkret wird es zudem bei der Aufklärung über sexuell übetrragbare Krankheiten: Hier werden statt 13 Mio. nur noch 9,9 Mio. Euro investiert. Gleiches gilt für die Prävention von Drogen- und Suchtmittelmissbrauch (19,2 auf 15,2 Mio.) und den öffentlichen Gesundheitsdienst (164 Mio. auf 54 Mio.).
Den Mammutanteil der geplanten Ausgaben liegt naturgemäß bei den Zuschüssen der GKVen – mit 14,5 Milliarden Euro. Doch diese tun alles andere als den Geldregen zu feiern. Im Gegenteil: „Damit fährt man die GKV und die SPV auf Dauer an die Wand“, erklärt Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, die damit das Koalitionsversprechen zur Harmonisierung von Zielen, Ausgaben und Einnahmen der GKV-Finanzen gebrochen sieht. Neben den nicht kalkulierten Mehrkosten durch umzusetzende Gesetze sowie steigende Kosten in der Pflege stellt auch die erwartete Extra-Belastung von 9,2 Milliarden Euro durch Bürgergeldempfänger die Kassen vor enorme Herausforderungen.
Zwei Stunden und drei Straßen weiter setzte der Bundesgesundheitsminister zum nächsten Stakkato an Gesetzesbekanntmachungen an. Diesmal im Gepäck: gleich vier zentrale Reformen, die ab kommendem Jahr helfen sollen, die „Runderneuerung des Gesundheitssystems“ voranzutreiben.
Die seit langer Zeit diskutierte Reform soll ab 2025 sowohl die Notfallversorgung als auch den Rettungsdienst auf neue Beine stellen. Allein die Behandlungszahlen zeigen wie überfällig die Arbeit ist: Die Zahl der Notfallpatienten in Kliniken stieg zwischen 2009 und 2019 von 14,9 Mio. auf 19,1 Mio. Zentrales Element dazu wird ein elektronisch geleitetes Ersteinschätzungsverfahren sein, das dabei hilft, die Schwere der Fälle zu kategorisieren und entsprechende Hilfe passgenau zu koordinieren. „Die falsche Einschätzung der notwendigen Einsätze – vor allem bei schwersten Notfällen ist eine zentrale Gefahr. Es kommt dann Hilfe beispielsweise zu spät oder nicht die richtigen Personen oder diese sind nicht ausreichend ausgestattet“, erklärt der Minister die grundlegende Problematik in Deutschland. Auf der anderen Seite müsse in den Kliniken entlastet werden, denn „30 % der Patienten gehören nicht in die Notfalleinrichtungen. Die Verzahnung von Praxen und Kliniken sind nicht gegeben, das muss verbessert werden.“
Neben der neuartigen Ersteinschätzung sollen Akutleitstellen helfen, in denen Ärzte auch telefonisch oder via Video beraten können sowie Integrierte Notfallzentren, die Zusammenlegung der Rufnummern 112 und 116117, verbesserte Arbeit in der Laien-Reanimation oder Mindeststandards im Rettungsdienst. Für letzteres bedürfe es jedoch noch der Definitionsarbeit.
Das „größte Digitalisierungsvorhaben in ganz Europa“ soll ganz praktischen Nutzen auch für Ärzte haben. So soll die neue Digitalgentur nicht nur sicherstellen, dass die Prozesse beschleunigt und effektiver gesteuert werden, sondern auch dass man einen Blick darauf hat, was wie und wo funktioniert und kompatibel miteinander ist. Insbesondere veraltete Hardware in den Praxen und unmögliche Kommunikation zwischen Praxis- und Kliniktechnik soll beendet werden. Ärzte „sollen nicht lange warten müssen am Bildschirm, damit sich eine ePA künftig auch wirklich öffnet.“
Ein weiterer Zankapfel in Sachen Kompetenzverteilung war die Errichtung des Bundesinstituts für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM). Nachdem die Aufgabenteilung mit dem RKI geklärt scheint, kann die neue Behörde bald zur Tat schreiten und Vorbeugestruktur etablieren, wie sie bisher nur für Infektionskrankheiten vorhanden war. Sprich: Für neurodegenerative Krankheiten, Herz- oder Krebserkrankungen und andere nicht übertragbare Krankheiten sollen nun – auch mittels KI – Daten strukturell erfasst und ausgewertet werden sowie daraus ableitend die Prävention in der Bevölkerung gestärkt werden und chronische Krankheiten gesenkt und kostenintensive Behandlungen vermieden werden.
„Das Sterben auf der Warteliste muss ein Ende haben. Langfristig brauchen wir deshalb die Widerspruchslösung. Kurzfristig können wir mehr Organspenden möglich machen durch die Überkreuzspende“, erklärt Lauterbach die Intention hinter dem Gesetz. In erster Linie setzt das BMG hier auf juristische Änderungen hinsichtlich Transplantationen sowie eine Stärkung des Spenderschutzes – in Form von besserer Aufklärung und psychosozialer Unterstützung. Während Lebendspenden bisher nur zwischen Partnern möglich waren, soll dies künftig auch zwischen fremden Paaren möglich werden, wobei jedes Paar seinerseits eine Niere spendet. Durch den zusätzlichen Aufbau eines nationalen Programms zur Vermittlung und Durchführung sollen diese Paare zusammengeführt und so die Gesamtzahl an Eingriffen deutlich erhöht werden.Bildquelle: Mathieu Stern, Unsplash