Laufende Nase, tränende Augen, kratzender Hals – und trotzdem Sport machen? Viele Allergiker treibt diese Frage um. Was ihr euren Patienten empfehlen könnt, lest ihr hier.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
In Deutschland ist fast jeder dritte Erwachsene und mehr als jedes fünfte Kind von Allergien betroffen. Das Geschlechterverhältnis kehrt sich im Lebensverlauf um: Im Kindesalter leiden mehr Jungen als Mädchen an Allergien, während bei den Erwachsenen der Frauenanteil mit 35 % höher liegt als bei Männern (24 %). Alle Betroffenen erfahren mehr oder weniger starke Einbußen an der Lebensqualität. Immer wieder wird die Frage diskutiert, welchen Einfluss Sport auf allergische Erkrankungen hat und ob man als Arzt Sportinteressierten eine entsprechende Betätigung empfehlen oder davon abraten sollte.
Untersuchungsergebnisse zu den Auswirkungen des Klimawandels auf allergische Erkrankungen in Deutschland wurden im letzten Jahr im Journal of Health Monitoring des RKI veröffentlicht. Besonders Inhalationsallergien haben ein epidemisches Ausmaß erreicht. Pollen sind dabei der Haupt-Trigger allergischer Atemwegserkrankungen.
Wegen der gesundheitsfördernden Wirkungen sportlicher Betätigung können und sollen auch Menschen mit Allergien Sport machen. Sport führt zu vertiefter Atmung mit erhöhter Atemfrequenz. Individualsportler, die z. B. Joggen oder Radfahren wollen, müssen bei allergischem Asthma oder anderen Inhalationsallergien allerdings Ort und Zeitpunkt mit Umwelt- und Wetterbedingungen abstimmen. Sie sollten sich anhand des Pollenflugkalenders und den aktuellen Ozonkonzentrationen orientieren und versuchen, den Kontakt mit Allergenen zu vermeiden.
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Allergische Atemwegserkrankungen werden am häufigsten durch Pollen mit darin enthaltenen Allergenen ausgelöst, meist durch Pollen von Birke, Eiche, Erle, Hasel oder Gräsern. Durch veränderte klimatische Bedingungen mit Erhöhung der Durchschnittstemperatur und mehr Niederschlägen, verschiebt sich die Pollensaison und beginnt früher im Jahr. Besonders ungünstig ist das Zusammentreffen von Pollen mit Luftschadstoffen wie Stickstoffdioxid (NO2), Kohlenmonoxid (CO), Ozon (O3), Ruß und Feinstaub. Allergische Erkrankungen der Atemwege können auch durch Pilzsporen (Schimmelpilze) hervorgerufen werden.
Ein besonderes Phänomen ist das Gewitterasthma, bei dem vor allem Menschen mit Heuschnupfen und allergischem Asthma meist in den ersten 20 bis 30 Minuten des Gewitters schwere Anfälle erleiden können. Die genauen Mechanismen sind noch nicht vollständig geklärt; vermutet wird, dass durch Blitze Pollen und Pilzsporen fragmentiert und in hoher Konzentration durch Fallwinde zum Boden befördert werden.
In Deutschland haben etwa 20 % der Menschen eine Kontaktallergie. Ein Kontakt der Haut mit einem Allergen löst eine allergische Reaktion aus, meist als Rötung mit scharf begrenzten Rändern, Schwellung und Juckreiz. Häufige Auslöser sind Waschmittel und Weichspüler, oft auch Duft- und Farbstoffe, Konservierungsmittel, Hilfsstoffe bei der Gummiherstellung und Latex. Um das auslösende Allergen zu meiden, muss es zunächst identifiziert werden. Das fällt in die Zuständigkeit der Dermatologen.
Längere Hitzeperioden und mehr Tropennächte wirken sich ungünstig auf Neurodermitis-Patienten (atopisches Ekzem, atopische Dermatitis) aus und verschlimmern die Symptome. Betroffene sollten sich vor Hitze und UV-Strahlung schützen und in den frühen Morgenstunden sportlich aktiv sein. Die Neurodermitis wird als Hauptrisikofaktor für die Entwicklung von Allergien angesehen.
Mannschaftssportler haben oft das Problem, dass alle Spieltrikots reihum bei jedem Spieler zuhause gewaschen werden, mit unterschiedlichen Waschmitteln und ggf. Duftstoffen. Sportler mit einer Kontaktallergie sollten darauf achten, ihr Trikot immer selbst zu waschen. Bei Rasensportlern (z. B. Fußball) können allergische Hautreaktionen bei Kontakt mit Gras auftreten. Sie sollten unter dem Trikot immer Arme und Beine mit langärmeligen Shirts und Strumpfhosen schützen, was auch bei Bundesligaspielern beobachtet werden kann.
Refresher: Definitionsgemäß ist eine Allergie eine übersteigerte Antwort des Immunsystems auf einen normalerweise harmlosen Stoff, das Allergen. Es werden vier Allergietypen unterschieden:
Falls erforderlich, ist die Einnahme von Antihistaminika oder einem Asthma-Aerosol vor dem Sport sinnvoll. Außerdem sollte immer ein Notfallmedikament mitgeführt werden. Bei einem akuten Asthma-Anfall kann ein Reliever eingesetzt werden, wie beispielsweise ein kurzwirksames Beta-2-Sympathomimetikum (Salbutamol, Terbutalin). Man muss bei Sportlern immer mit einem möglichen Notfall rechnen und als betreuender Arzt immer Notfallmedikamente zur Hand haben.
Der Fall einer Radfahrerin bei den Paralympics 2008 in Peking bleibt mir lebhaft in Erinnerung. Die Sportlerinnen überfuhren auf einem Rundkurs mehrfach eine etwa 20 Meter lange Kunststoffmatte. Bei hoher Temperatur und Luftfeuchtigkeit lösten sich durch die Reibung der Räder kleinste Kunststoffpartikel, wurden aufgewirbelt und von den Athletinnen eingeatmet. Eine deutsche Radfahrerin mit bekanntem Asthma hatte eine so heftige allergische Reaktion mit Atemnot, dass sie notfallmäßig versorgt und für mehrere Tage stationär-intensivmedizinisch behandelt werden musste. Dass die Partikel aus der Kunststoffmatte das Allergen waren, fanden wir erst später nach gründlichen Recherchen heraus. Als die Sportlerin ihren Anfall hatte, waren wir zunächst völlig ratlos.
Dieses Beispiel soll zeigen, dass Sportler mit Allergien immer in eine Notfallsituation geraten können, in der sie fremde Hilfe benötigen. Sportwillige Allergiker sollten deshalb von Ärzten ausführlich über ihre individuelle Situation aufgeklärt und in Bezug auf mögliche Notfälle beraten werden.
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