„Eine Borrelieninfektion ist an der typischen Wanderröte erkennbar!“ Ach, wenn es doch immer so einfach wäre.
Borrelien sind Täuscher und Trickser: Sie heften Zeckenproteine an ihre eigene Oberfläche und verwirren damit unser Immunsystem. Bestimmte Arten binden Regulatoren der Komplementkaskade und entgehen auf diese Weise auch der unspezifischen Immunabwehr. Zudem können die Bakterien Eiweiße in der Haut des Menschen abbauen und sich ausbreiten, was zur typischen Wanderröte führt. Unser Immunsystem kann die Bakterien bestenfalls in Schach halten – aber eine Immunität, wie bei anderen Infektionskrankheiten, bietet es nicht. Jeder neue Zeckenstich kann wieder gefährlich werden.
Und oft zieht das Immunsystem den Kürzeren und die Krankheit bricht aus. Eine Borreliose wird zwar als entzündliche Multiorganerkrankung definiert, vor allem aber sind Haut und Nerven betroffen. Entsprechend ist nach der aktualisierten S3-Leitlinie Neuroborreliose nun auch die S2k-Leitlinie Kutane Lyme Borreliose erschienen – wenn auch erst über ein Jahr nach Fertigstellung.
Die guten Nachrichten zuerst: Mit langer Kleidung ist ein Zeckenstich vermeidbar. Wird man doch gestochen und entfernt die Zecke innerhalb von 12 Stunden, lässt sich eine Infektion verhindern. Zur Sicherheit sollte man die Einstichstelle für sechs Wochen beobachten: Eine unmittelbare Rötung an der Einstichstelle ist normal, denn die geht auf den Zeckenspeichel zurück und verschwindet innerhalb weniger Tage. Erst wenn sich die Stelle erneut rötet, und dieser Fleck größer als fünf Zentimeter wird, spricht das für eine Infektion.
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Dann soll man nicht lange fackeln und gleich Antibiotika geben. Während unser Immunsystem bei Borrelien schwächelt, ist auf unsere Medikamente Verlass: Nach 10 bis 30 Tagen haben sie die Bakterien eliminiert. Das wird auch in Zukunft so bleiben, denn Resistenzen sind unbekannt. Wenn die Mittel scheinbar doch versagen, dann wurden sie unregelmäßig oder zusammen mit neutralisierenden Lebensmitteln wie Milch oder nicht lange genug eingenommen. Oder die Diagnose war falsch.
Dieser letzte Punkt führt unmittelbar zu den schlechten Nachrichten: Die Diagnose ist nicht immer so einfach. Das atypische Erythema migrans beispielsweise wandert möglicherweise nicht, hat keinen betonten Rand, bildet Vesikel im Zentrum, ist unregelmäßig fleckig und nur beim Erwärmen der Haut sichtbar. Beim multiplen Erythemata migrantia treten auch an anderen Stellen Rötungen auf, manche Patienten sind geradezu übersäht damit.
Auch der Einsatz eines serologischen Tests, der Antikörper gegen Borrelien nachweist, ist knifflig. Da Antikörper erst nach Wochen gebildet werden, haben Antibiotika die Bakterien vielleicht schon vorher getötet. Dann bleibt ein Test trotz Infektion negativ. Zum anderen weist ein positiver Test nicht unbedingt eine akute Infektion nach, da die Antikörper von einer früheren Infektion stammen können. Deshalb soll man unbedingt die Vortest-Wahrscheinlichkeit berücksichtigen: Ohne typische Symptome hat ein positiver Test praktisch keine Aussagekraft. Bei länger andauernden, typischen Beschwerden dagegen schließt ein negativer Test eine Infektion so gut wie aus.
Wenn es ohne Antibiotikaeinnahme zu einer Spontanheilung kommt, kann das täuschen – schlummernde Borrelien können irgendwann aktiv werden. Wohl wegen dieser möglichen Latenz und der unspezifischen Ausprägungen machen manche Patienten eine weit zurückliegende Borrelieninfektion für ihre chronischen Symptome verantwortlich – Diagnosekriterien hin oder her.
Bei der Leitlinie Neuroborreliose führte das dazu, dass die beiden beteiligten Patientenorganisationen ihre Zustimmung am Ende verweigerten. Der Leitlinie zur kutanen Borreliose stimmten sie zwar grundsätzlich zu, aber nur mit Sondervoten. So wehrt sich der Borreliose und FSME Bund Deutschland gegen die Feststellung, dass nur Zecken als Überträger in Frage kommen. Ihre Mitglieder würden schließlich auch von Borreliose-Symptomen nach Mücken- oder Bremsenstichen berichten.
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