Im Jahr 2020 erkrankten in Deutschland nach Schätzungen des Zentrums für Krebsregisterdaten (ZfKD) rund 493.200 Menschen an Krebs.¹ Etwa 230.000 Sterbefälle, die auf eine Krebserkrankung zurückzuführen sind, wurden ebenfalls verzeichnet.¹ Menschen, die eine Krebsdiagnose erhalten, reagieren nicht selten mit einem Schock.² Die eigene Sterblichkeit wird jenen bewusst, denn für viele ist die Diagnose ein empfundenes Todesurteil.² Dabei sehen die Daten zur 5- oder sogar 10-Jahresüberlebensrate allgemein sehr gut aus: bis zu 61 % der Erkrankten zeigt eine relative Überlebensrate von 10 Jahren.¹ Wie gut die tatsächlichen Überlebenschancen sind, hängt stark von der Tumorentität ab. So ist die 10-Jahres Überlebensrate bei nicht-melanotischem Hautkrebs bei 100%, während sie bei Bauchspeicheldrüsenkrebs bei ungefähr 10 % liegt.¹ Aber was ist Krebs eigentlich? Dafür lohnt sich ein Blick auf die allgemeine Pathophysiologie der Erkrankung.
Was ist eigentlich Krebs und wie entsteht er? Die kurze Antwort ist: Krebs entsteht, wenn Zellen sich unkontrolliert vermehren. Sowas passiert, wenn es zu einer Anreicherung von Defekten in der DNS kommt.³⁻⁴ Die Ursachen dafür sind vielfältig und reichen von spontanen Mutationen oder Fehlern bei dem Replikationszyklus, über Umweltfaktoren (z.B. Strahlungsbelastung) bis hin zu erblichen Veranlagungen.⁴ An welcher Krebsart Menschen letztendlich erkranken und warum, ist multifaktoriell und liegt u.a. daran, in welchem Organ die unkontrollierte Zellvermehrung beginnt, aber auch in welchem Zelltyp.⁵
Genauso vielfältig wie die Tumorentitäten sind auch die Therapieoptionen. Sie reichen von operativen Eingriffen, Strahlen- oder Chemotherapie, Stammzelltransplantationen bis hin zu personalisierter Krebstherapie⁶, die sich ein möglichst genaues Bild über die Erkrankung und die Erkrankten macht um zielgerichtet zu therapieren.⁷
Neben den Therapien gibt es aber auch die palliative Medizin, die Menschen hilft, ein möglichst angenehmes Leben mit der Erkrankung führen zu können.⁸ Hier kommt Medizinalcannabis vorwiegend zum Einsatz, da es appetitanregend, brechreizreduzierend und schmerzlindernd wirken kann.⁹ Aber wie sieht die Datenlage aus und was kann wirklich über die Wirksamkeit von Medizinalcannabis bei Krebserkrankungen gesagt werden?
Die Datenlage ist zurzeit noch relativ uneinheitlich, weshalb die meisten Übersichtsarbeiten zu dem Schluss kommen, dass weitere Studien benötigt werden, um eine endgültige Empfehlung zu geben.⁹⁻¹¹ Gerade in Bezug auf krebsbedingte Schmerzen gibt es Hinweise in Form von präklinischen Daten, dass Medizinalcannabis Schmerzen modulieren kann.⁹ So zeigt eine Publikation eine signifikante Verbesserung der Schmerzen auf der numerischen Rating-Skala (NRS) um bis zu 30 % speziell für Vollspektrumsextrakte mit THC und CBD.¹² In einer weiteren Untersuchung zeigt sich ebenfalls eine dosisabhängige Verbesserung des NRS-Wertes bei Krebspatient:innen mit chronischen Schmerzen.¹
Es gibt jedoch auch Daten, die keine Überlegenheit für THC- und CBD-haltige Mundsprays in der Schmerzreduktion sehen.¹⁴ Hier können weitere Studien in Zukunft mehr Klarheit schaffen.¹⁵ Darüber hinaus berichten Erkrankte, dass sie eine Linderung der mit Krebs assoziierten Beschwerden und somit eine Verbesserung der Lebensqualität spüren.¹⁶
Medizinalcannabis scheint aber auch in der Therapie der Krebserkrankung Wirksamkeit zu zeigen. So scheint etwa CBD die Zellproliferation der Tumorzellen bei Gebärmutterhalskrebs zu hemmen.¹⁷ Eine Übersichtsarbeit zeigt für unterschiedliche Tumorentitäten zellwachstums-, zellproliferations- und sogar metastasenhemmende Wirkung von CBD und auch die damit verbundenen Rezeptoren und Signalkaskaden in den Zellen.¹⁸ Diese Erkenntnisse sind aktuell noch im Stadium der Grundlagenforschung, da sie hauptsächlich an Zelllinien und somit nicht im menschlichen Organismus durchgeführt worden sind. Zu verstehen, wie Medizinalcannabis auf zellulärer Ebene wirkt, ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer möglichen Therapieoption.
Das bildet die Basis für weitere Forschung, die in Zukunft auch die tatsächliche Anwendung von Medizinalcannabis in der Therapie von Krebserkrankungen selbst und nicht nur zur Linderung von Symptomen möglich machen könnte.
Referenzen:
1 https://www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/Krebsarten/Krebs_gesamt/krebs_gesamt_node.html (zuletzt aufgerufen am 21.06.2024).
2 https://www.aok.de/pk/magazin/koerper-psyche/krebs/diagnose-krebs-das-hilft-bei-der-bewaeltigung/ (zuletzt aufgerufen am 21.06.2024).
3 Cohen SM. Cell proliferation and carcinogenesis: an approach to screening for potential human carcinogens. Front Oncol. 2024 May 28;14:1394584. doi: 10.3389/fonc.2024.1394584. PMID: 38868530; PMCID: PMC11168196.
4 https://www.krebsinformationsdienst.de/tumorarten/grundlagen/krebsentstehung.php (zuletzt aufgerufen am 21.06.2024)-
5 https://www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/Krebsarten/krebsarten_node.html (zuletzt aufgerufen am 21.06.2024).
6 https://www.krebsgesellschaft.de/basis-informationen-krebs/therapieformen.html (zuletzt aufgerufen am 28.06.2024).
7 https://www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-krebs/basis-informationen-krebs-allgemeine-informationen/personalisierte-krebsmedizin.html (zuletzt aufgerufen am 28.06.2024).
8 https://www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-krebs/palliativtherapie/bessere-lebensqualitaet-durch-palliativmedizin.html (zuletzt aufgerufen am 28.06.2024).
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