KOMMENTAR | Titel und Macht beeinflussen Menschen – auch die „Götter in weiß“ sind davor nicht gefeit. Aber wie stark beeinflusst der soziale Status die ärztliche Behandlung?
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine Zusammenfassung.
Macht wird im Allgemeinen als die ungleichmäßige Kontrolle über Ressourcen – Reichtum, Informationen und andere Faktoren – definiert, die es Einzelpersonen ermöglicht, Situationen für sich selbst und andere zu beeinflussen. Macht, oder die subjektiv empfundene Autorität, beeinflusst soziale Normen, unsere Erziehung und unser tägliches Verhalten anderen gegenüber. Grob vereinfacht geht es um eine angenommene oder tatsächliche Hierarchie, die es dem „Mächtigen“ erlaubt, sich anders zu verhalten als der „Untergebene“.
Man sollte annehmen, dass wir im 21. Jahrhundert über Verhaltensmuster solcher archaisch anmutenden Rangordnungen hinweg sind, doch spielt diese Psychologie des besser- oder unterlegen-seins heutzutage immer noch eine große Rolle (Unterdrückung am Arbeitsplatz, sexuelle Belästigung, Diskriminierung, Antisemitismus, Rassismus).
Inwieweit dies im Arzt-Patientenverhältis eine Rolle spielt, hat eine Forschergruppe in den USA kürzlich in Science publiziert. Potenzielle Schwäche oder Unfähigkeit von Patienten sich durchzusetzen oder Voreingenommenheit der Ärzte könnten möglicherweise die Diagnostik oder die Behandlungsergebnisse beeinflussen. Ein hervorragendes Umfeld solche Mechanismen zu untersuchen, stellt das militärische Sanitätswesen dar. Der militärische Rang verleiht Macht, indem er Autorität abgrenzt, die Befehlskette vorgibt und festlegt, wer wichtige Entscheidungen trifft. Dadurch wird eine klare Kontrollhierarchie unter den Soldaten etabliert.
Im Sanitätswesen sind oft sowohl Ärzte als auch Patienten im aktiven Militärdienst und haben jeweils einen eindeutigen Rang. Dies ermöglichte es dem Forscherteam, die Rangunterschiede und deren Konsequenzen in einer Gesundheitseinrichtung zu prüfen. Das Team untersuchte über 1,5 Millionen Arzt-Patienten-Interaktionen in Notaufnahmen des US Military Health Systems (MHS). Das MHS ist in Ziel, Aufgabe und Organisation dem Sanitätswesen der Bundeswehr vergleichbar und eines der größten Gesundheitssysteme in den USA. Die Interaktionen zwischen 856.357 Patienten (Durchschnittsalter 28 Jahre, 23 % weiblich, 30 % Afroamerikaner) mit 1.340 Ärzten wurden auf Rangunterschied, Ressourcenverbrauch und klinische Ergebnisse untersucht.
Ein lineares Wahrscheinlichkeitsmodell hatte Arzt- und Patientendemografie kontrolliert und erlaubte den Vergleich von Rangunterschieden zwischen Patienten und Arzt unterschiedlicher Dienstgrade. Es zeigte sich eine leichte nichtlineare und positive Korrelation zwischen Patientenrang und ärztlichem Aufwand. Insbesondere erhielten Patienten, deren Dienstgrad über dem des Arztes war, 3,6 % mehr ärztlichen Aufwand (RVU = Gesamtmaß für die Ressourcen oder den gesamten Aufwand, der von einem Arzt bei der Behandlung eines Patienten aufgewendet wurde) und mehr Ressourcen (mehr Tests, Diagnosecodes, Behandlungscodes, Zeit mit den Ärzten und Opioid Verschreibungen) als Patienten, deren Dienstgrad niedriger war als der Rang des Arztes.
Höherrangige Patienten hatten auch bessere klinische Ergebnisse, d. h. eine um 15 % geringere Wahrscheinlichkeit eines nachfolgenden 30-tägigen Krankenhausaufenthalts. Um den Einfluss der Ranghöhe noch besser von Alter und Lebensweise etc. abzugrenzen, wurde eine Subgruppe nach kürzlicher Beförderung untersucht: Da der Arzt das Datum der Beförderung des Patienten nicht kannte, sollte es keinen Einfluss auf die klinische Versorgung haben. Die Ärzte hatten bei Patienten, die kürzlich befördert wurden, 1 % mehr RVUs (P < 0,001) protokolliert und 0,06 % mehr Ressourcen (P < 0,001) eingesetzt als bei Patienten, die noch nicht befördert waren. Dieses Ergebnis war gegenüber Placebo Tests mit 250 „falschen“ Beförderungsdaten robust.
Diese Unterschiede sind zwar gering, doch konsistent, und die Daten unterstützen die Theorie der „langen Schatten“ der Macht. Dies ist die Theorie, dass Macht in einem Lebensbereich auf nicht damit verbundene Bereiche (hier vom Militär zum Klinikbereich) übergreifen kann, was zu Verhaltensverzerrungen und einer Ressourcenverteilung in beiden Bereichen führen kann. Die Daten stellen außerdem die Erwartung in Frage, dass ein Arzt ein vollkommen altruistischer Vertreter des Patienten ist und daher gegen jegliche Vorurteile resistent. Es kann also sein, dass Ärzte – wie alle Menschen – anfällig für Voreingenommenheit sind. Ich kann dies durchaus bestätigen, wenn ich mich an meine VIP-Patienten, Privatpatienten oder Chefarztpatienten erinnere.
Diese Studie wurde in einem militärischen Setting durchgeführt und die Repräsentativität für den zivilen Bereich könnte limitiert sein. Eine weitere Limitierung ist die Unsicherheit über die Mechanismen der bevorzugten Behandlung von Patienten mit hohem Rang. Dies könnte entweder auf angebotsseitige Kräfte zurückzuführen sein (Ärzte geben sich für „wichtige Patienten“ zusätzliche Mühe) oder auf nachfrageseitige Kräfte (diese Patienten fordern mehr Zuwendung, wobei die Ärzte dieser Erwartung dann nachkommen).
Auf alle Fälle trägt diese Studie auf evidenz-basierte Weise hilfreich zur Diskussion über Vorurteile und Diskriminierung bei, wogegen Ärzte anscheinend nicht immun sind.
Macht und medizinische Versorgung: Machtverhältnisse beeinflussen das Arzt-Patienten-Verhältnis, wobei Patienten mit höherem Rang oft mehr Ressourcen und bessere klinische Ergebnisse erhalten. Eine Studie im US-Militärsystem zeigt, dass höherrangige Patienten 3,6 % mehr ärztlichen Aufwand und 15 % bessere klinische Ergebnisse haben als niedriger rangige Patienten.
Rangunterschiede in der Behandlung: In einem militärischen Umfeld erhielten Patienten mit höherem Rang mehr Tests, Diagnosen und Behandlungen. Diese Unterschiede bleiben bestehen, selbst wenn Ärzte das genaue Datum der Beförderung eines Patienten nicht kennen.
Vorurteile und Diskriminierung: Die Studie zeigt, dass Ärzte anfällig für Voreingenommenheit sind. Dies stellt die Erwartung in Frage, dass Ärzte völlig altruistisch und vorurteilsfrei handeln, insbesondere bei der Behandlung von Patienten mit unterschiedlichem sozialen Status.
Bildquelle: Erstellt mit Midjourney