CASE REPORT | Ich war dreizehn, als ich das erste mal kollabierte. Das Problem: Die Ärzte nahmen mich nicht ernst. Das änderte sich leider erst, als mein Leben plötzlich am seidenen Faden hing.
Ich erinnere mich noch genau an den Tag meines ersten Kollapses, als wäre es gestern gewesen. Es war ein Tag wie jeder andere und ich fühlte mich ganz normal, bis plötzlich und ohne Vorwarnung alles um mich herum zu schwanken begann. Die Welt drehte sich, Farben und Formen verschmolzen in einem verwirrenden Kaleidoskop. Ein eisiges Gefühl der Angst kroch in meine Brust, als mein Herz gegen meine Rippen hämmerte. Meine Beine gaben nach, weich wie Wachs, unfähig, mein Gewicht zu tragen. Ich spürte, wie ich fiel: eine Sekunde, in der die Zeit stillzustehen schien. Dann glitt ich hinab.
Dieser erste Kollaps fand kurz nach meinem dreizehnten Geburtstag statt. Verschwommen und wechselhaft präsentierten sich diese Zusammenbrüche ab jetzt und machten meinen Körper zu einem Rätsel, das niemand lösen wollte. Der Kollaps markierte den Beginn einer Reise, die mich an die Grenzen meiner eigenen Existenz führen sollte.
Denn niemand glaubte mir.
In dem Moment, als ich die ärztlichen Behandlungsräume betrat, spürte ich sie schon: die Last der ärztlichen Vorurteile mit einem Gewicht von tausend Ziegeln. Der Raum schien mir in seinem sachlichen Weiß plötzlich feindselig und kalt.
Die Blicke der Ärzte trafen mich nicht als die einer Patientin in Not, sondern als die eines zu jungen Mädchens, das ihrer Meinung nach nicht in diese ernste, erwachsene Welt der Krankheiten gehörte. Ihr Blick sagte mehr als Worte es je könnten. „Was kann ein so junges Mädchen schon für ernsthafte gesundheitliche Probleme haben?“ Die Luft schien auch dicker zu werden, als ich versuchte, meine Symptome zu erklären. Mit jedem Wort, das ich aussprach, fühlte ich mich immer unsichtbarer und erdrückt von dem Gewicht dieses Unglaubens.
Es war, als würde mein junges Alter meine Leiden invalide machen. Ich war nicht nur ein Fall, ich war ein „junger“ Fall – und in ihren Augen wohl kaum ernst zu nehmen. Das Alter scheint in der Medizin mehr als nur eine Zahl zu sein. Schubladendenken, das entscheidet, wie ernst deine Anliegen genommen werden. Ich begann, mich selbst zu hinterfragen. War ich denn nur ein Rätsel, das niemand lösen wollte? Oder war alles nur in meinem Kopf? Hatte ich diese Symptome unbewusst heraufbeschworen? Ich dachte, ich verliere meinen Verstand.
Mit jedem Jahr verschärften sich die Symptome. 2020 stellte das Uniklinikum Aachen dann endlich eine brauchbare Diagnose: posturales Tachykardiesyndrom, kurz POTS. Ich hatte mich nicht mehr nur abspeisen lassen und Druck gemacht. Dafür erhielt ich nicht nur etwas schwarz auf weiß, sondern auch die Gewissheit, nicht mehr allein zu sein. Trotzdem blieb das Gefühl der Ungewissheit. Die Behandlungen, die Kompressionstherapie und Medikamente brachten nur marginale Besserung. Das Herzrasen, Druck auf der Brust, gefolgt von Ohnmachtsanfällen und der unerklärliche Schmerz blieben meine ständigen Begleiter. Sie führte mich von einem Arzt zum nächsten, von Kliniken zu Spezialisten, ohne je eine klare Richtung zu finden.
Die Vermutungen variierten, doch eine Konstante blieb – die Zweifel an der Realität meiner Symptome. „Psychogen“ – dieses Wort wurde zu einem Schatten jeder medizinischen Konsultation und einem Stempel, der schwer zu entfernen war, selbst als die körperlichen Beweise sich häuften.
Niemand glaubte mir.
Dann kam der Tag, der alles veränderte. Die Symptome hörten nicht auf. Nach einem Kollaps bei einer elektrophysiologischen Untersuchung fand ich mich mit 21 Jahren dann im Herz-MRT wieder. Allein und umgeben von der sterilen Kälte der Maschine, die meinen Körper auf der Suche nach Antworten durchleuchten sollte. Man versuchte zu klären, ob die Reizweiterleitung des Stromes ordnungsgemäß funktionierte und hatte mir dazu über die Leiste drei Sonden ins Herz geführt. Als ich dann unter dem kalten, surrenden Bogen des Geräts lag, eingehüllt in das dröhnende Röntgengerät, fühlte ich mich seltsam losgelöst von der Welt außerhalb dieser Maschine. Plötzlich und ohne jede Warnung riss eine unsichtbare Faust nach meinem Herzen, presste es zusammen bis zu einem Punkt, an dem es sich weigerte, seinen Dienst fortzusetzen. Ein Herzstillstand, mitten im Kern der Maschine, aus der jede Flucht unmöglich war.
Panik durchflutete mich, als ich die Kontrolle über meinen Körper verlor. Es war, als würde ich in einen bodenlosen Abgrund fallen. Ich fühlte mich allein gelassen mit der totalen Stille meines eigenen Herzens. Im Kontrollraum sah ich noch Hektik ausbrechen. Alle sprangen von ihren Sitzen. Die Welt außerhalb verschwamm zu einem fernen Echo, während ich an der Schwelle zwischen Leben und Tod stand. In diesem Moment, eingehüllt in Dunkelheit und Stille, wurde mir bewusst, wie fragil das Leben ist und wie schnell alles enden kann, ohne Vorwarnung, in einem Herzschlag – oder dem erschreckenden Fehlen desselben. Dem Arzt hatte ich vorhin noch gesagt, er solle meinen Eltern übermitteln, dass ich sie liebe, sollte mir etwas passieren, aber er schmunzelte nur und sagte, ich solle es ihnen später selbst sagen. Aber trotzdem sagte er es mir zu. Zumindest dies gab mir ein kurzes Gefühl der Wärme und Sicherheit. Dann war da nur noch ein anderes Gefühl: Atemnot.
Als ich aus der Dunkelheit erwachte, war nichts mehr wie zuvor. Aber immerhin habe ich es überlebt. Der Herzstillstand im MRT dauerte etliche Sekunden an. Er wurde zum Wendepunkt meiner Geschichte und brachte nicht nur die Klarheit über die Schwere meiner Erkrankung, sondern auch eine neue Diagnose, die endlich Sinn ergab.
Ich leide an einem Sick-Sinus-Syndrom. Als es endlich ausgesprochen wurde, war es, als hätte jemand ein Fenster in einer Spelunke voller Rauch geöffnet. Die Jahre der Zweifel schienen in diesem Moment eine Daseinsberechtigung zu erhalten. Es war eine seltsame Mischung aus Erleichterung und Bitterkeit, die mich durchströmte, als ich die plötzliche Veränderung im Verhalten der Ärzte beobachtete. Diejenigen, die zuvor das Implantieren eines Herzschrittmachers in Frage gestellt hatten, zeigten nun eine beinahe eilige Zustimmung zu dem Verfahren. Ihre frühere Skepsis verwandelte sich unvermittelt in Unterstützung, ihre Zweifel in Gewissheit, ihre Überheblichkeit in Demut.
Ich muss mich noch immer fragen, warum meine Symptome erst ernst genommen wurden, als sie einen Namen bekamen, ein Etikett, das in ihre medizinische Welt passte. Warum waren meine Worte, meine Erfahrungen zuvor nicht genug gewesen? Die Ironie, dass ich jahrelang als komplizierter Fall abgetan wurde, nur um dann plötzlich in die Kategorie einer behandlungswürdigen Krankheit zu fallen, war mir nicht entgangen.
Trotz meiner Erleichterung über die endlich gefundene Behandlungsmöglichkeit blieb ein schaler Nachgeschmack. Es war schwer, die plötzliche Fürsorge einiger Ärzte anzunehmen, die mich zuvor in eine Schublade gesteckt hatten, die beschriftet war mit „zu schwierig“ oder „psychosomatisch“. Ihre Veränderung hat mir zwar gesundheitlich geholfen, aber zeigte auch, dass Patienten mit unklaren Symptomen oft vernachlässigt werden in einem System, das klare Diagnosen und direkte Behandlungen bevorzugt.
Jetzt trage ich diesen Herzschrittmacher in mir. Mein Lebensretter und Lebensspender. Die Symptome sind verschwunden. Ich kann wieder Auto fahren, Sport treiben und eine Ausbildung machen und dann arbeiten. Ich kann endlich leben. Die Geschichte meines jahrelangen Leidensweges ist mehr als nur eine persönliche Erzählung. Sie ist ein Appell an die medizinische Welt, ein Aufruf, jungen Menschen mit unspezifischen Symptomen Glauben zu schenken, anstatt sie von vornherein mit einer Blickdiagnose abzustempeln. Es ist eine Mahnung, dass hinter jedem „es ist nur psychogen“ ein echtes Leiden stecken kann, das erkannt und behandelt werden muss.
Meine Botschaft, die ich an Sie hinterlasse, liebe Ärztinnen und Ärzte, ist einfach: Glauben Sie Ihren Patienten, egal wie jung auch immer sie sein mögen. Denn nur mit diesem Glauben ist Heilung überhaupt möglich.
Bildquelle: Ave Calvar, unsplash