Bei Patienten mit bipolaren Störungen ist die Therapietreue besonders niedrig. Um kontrollieren zu können, ob das Medikament tatsächlich regelmäßig eingenommen wird, haben Forscher eine digitale Tablette mit eingebautem Chip entwickelt.
Bei bipolaren Störungen wechseln sich manische und depressive Phasen ab. Zur Phasenprophylaxe eignen sich Lithiumsalze, aber auch manche Antikonvulsiva. Etwa jeder zweite Patient hält sich nicht an ärztliche Empfehlungen, falls er sich vermeintlich gut fühlt. Fehlende Therapietreue geht mit einer unzureichenden Stimmungsstabilisierung und einer höheren Frequenz von affektiven Episoden einher. Bislang setzten Ärzte auf ein interdisziplinäres Therapiekonzept aus Psychopharmakotherapie, Patienteninformation und Änderungen im Lebensstil. Jetzt kommt eine intelligente Tablette mit hinzu.
Mitte November hat die US Food and Drug Administration (FDA) ihre Zulassung für Abilify MyCite® erteilt. Die Tablette besteht nicht nur aus Aripiprazol, einem atypischen Neuroleptikum zur Therapie bipolarer Störungen oder Schizophrenien. Sie enthält auch einen Mikrochip. Der eingebaute Sensor ist so groß wie ein Sandkorn. Er reagiert auf Feuchtigkeit und sendet elektromagnetische Signale aus, die allein aber zu schwach sind, um sie per Smartphone zu erfassen. Als Ergäzung kommt ein spezielles Pflaster zum Einsatz, um Signale zu verstärken. Weiter geht es in Richtung Smartphone oder Tablet. Alle Daten landen in der Cloud und können von diversen Endgeräten abgerufen werden. Denkbar ist, dass ein Arzt mit Zustimmung regelmäßig auf die Daten zugreift und kontrolliert, ob der Patient regelmäßig sein Medikament einnimmt, um gegebenenfalls zu intervenieren. Dem Hersteller zufolge liegen Daten von knapp 21.000 Patienten vor. In 97,3 Prozent aller Fälle hat der Sensor beim Einnahevorgang richtig reagiert. „Für manche Patienten könnte es sinnvoll sein, die Einnahme von Tabletten gegen psychische Erkrankungen so im Auge zu behalten“, sagt Mitchell Mathis von der FDA. Allerdings warnt seine Behörde, Proteus Digital Health habe als Hersteller noch nicht zeigen können, ob sich die Therapietreue tatsächlich verbessere.
Die Zulassung ist trotzdem ein großer Schritt für das Unternehmen. Schon jetzt werden neue Geschäftsfelder erkundet. WHO-Angaben zufolge schlucken 50 Prozent aller Patienten, die chronische Erkrankungen haben und Langzeit-Therapien benötigen, ihre Präparate nicht korrekt. Als Beispiele nennt die Firma Patienten mit komplizierte Infektionen wie Hepatitis C oder Tuberkulose. Aus ökonomischer Sicht sind Hypertonien aber deutlich wichtiger. Bei niedrigem Leidensdruck sinkt die Therapietreue mit steigender Einnahmedauer. Gleichzeitig tut sich hier ein nahezu unüberschaubarer Markt auf. Vor wenigen Wochen haben das American College of Cardiology und die American Heart Association ihre Richtwerte von 140 / 90 mmHg auf 130 / 80 mmHg abgesenkt. Rein rechnerisch werden in den USA aus 72 Millionen Patienten plötzlich 103 Millionen. Durch mangelnde Therapietreue entstehen immense Schäden: ein Pluspunkt, um mit Krankenkassen in Verhandlungen zu treten. Zu einer möglichen EMA-Zulassung hat sich der Hersteller bislang nicht geäußert.