Immer mehr Landkreise werden FSME-Risikogebiete. Eine kausale Behandlung gibt es nicht und Infizierte bleiben oft mit Nervenschäden zurück. Das ließe sich einfach verhindern.
Ein Text von Dr. Ulrich Enzel
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Von einem kleinen Herd um Freiburg im Breisgau hat die die Virus-Krankheit der Frühsommer-Meningo-Enzephalitis (FSME) seit den 1970er Jahren inzwischen auf 175 von 401 Kreisen in der BRD ausgebreitet. Und jedes Jahr kommen neue Risikogebiete dazu – und weitere Kreise, in denen FSME „nur“ sporadisch auftritt. Die höchste Durchseuchung findet sich im Ortenaukreis, wo über 5 % der der Zecken FSME-Erreger tragen. In anderen Stadt- und Landkreisen sind es oft nur 0,1 %. In den meisten Jahren kommt es zu 400 bis 700 Neuerkrankungen, wobei die Dunkelziffer sehr groß ist, denn 70–95 % aller Infektionen verlaufen asymptomatisch.
Übertragen wird das Virus durch die Zecke Ixodes ricinus, selten kommt es zur Übertragung durch Rohmilch oder bei Organ-Transplantationen. Über 90 % der FSME-Infektionen wurden in der Freizeit erworben. Das Risiko für Nichtimmune nach einem Zeckenstich in einem der Hochrisikogebiete an FSME zu erkranken, liegt zwischen 1:500 und 1:2.000.
Zum typischen Krankheitsverlauf kommt es bei 5 bis 30 % der – serologisch unschwer und eindeutig zu verifizierenden – Infizierten. Nach einer Übertragung mit dem Speichel der Zecke beim Einstich folgt die Inkubationszeit von zwei Tagen bis drei Wochen. Danach kommt es im ersten, katarrhalischen Stadium zu wenig spezifischen Kopf- und Gliederschmerzen. Nach weiteren ca. 20 Tagen tritt in der Regel hohes Fieber auf als Ausdruck der Abwehr des infizierten Organismus. Nur bei etwa 25 % der Infizierten – vor allem bei Männern und mit voranschreitendem Alter zunehmend – kommt es im dritten Stadium zur Beteiligung des Zentralen Nervensystems (ZNS) mit Symptomen von Meningitis, Myelitis, Meningo-Enzephalitis oder Meningo-Enzephalo-Myelitis.
Bei einem Drittel der Betroffenen persistieren – mit dem Alter zunehmend – neurologische Störungen, doppelt so häufig bei Männern wie bei Frauen, die zu anhaltend stark belastenden schweren Krankheitsbildern führen können. Die Letalität beträgt 1 %. Nach durchgemachter Erkrankung entwickelt sich eine lebenslange Immunität. Fatal ist, dass wir keinerlei kausale Therapie gegen FSME kennen und dass diese Viren mit zunehmendem Alter bei bis zu 86 % der Infizierten das ZNS schädigen. Dort befallen sie häufig motorische Hirnnervenkerne und die Vorderhornzellen/Motoneurone des Rückenmarks. Über die Hälfte der schwer Erkrankten werden nie wieder vollständig gesund.
Bis Anfang der 2000er Jahre galt die Sichtweise, dass FSME-Erkrankungen bei Kindern gutartig verlaufen, ja in der Regel vollständig ausheilen. Nachuntersuchungen haben dagegen erwiesen, dass bleibende Schäden auch in dieser Altersgruppe nicht selten auftreten. Bei 2/3 der Kinder mit einer ZNS-Beteiligung kommt es z. B. zu anhaltenden Konzentrations-, Gedächtnis- und/oder Gleichgewichts-Problemen.
Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die FSME-Impfung für alle Personen, die in Risikogebieten wohnen, arbeiten oder dorthin reisen und potenziell zeckenexponiert sind. Eine Liste der Risikogebiete und anschauliches Kartenmaterial wird jährlich neu erweitert und vom RKI z. B. im Epidemiologischen Bulletin publiziert.
Die Grundimmunisierung – in der gesamten BRD Kassenleistung – besteht im Standard-Impfschema aus drei Impfungen am Tag 0, 1–3 Monate später und 5–12 bzw. 9–2 Monate nach der 2. Impfung, gefolgt von regelmäßigen Auffrischimpfungen – je nach Alter und Impfstoff (es stehen zwei unterschiedliche zur Verfügung) alle 3 oder 5 Jahre. Daneben existieren Schnell-Immunisierungs-Schemata. Entscheidend für den Impfschutz ist die korrekte Grundimmunisierung, diese verleiht > 90 % Schutz nach zwei Impfdosen, sogar 99 % Sicherheit nach drei korrekt gegebenen Impfdosen. Die 1. Dosis sollte möglichst vor dem 50. Lebensjahr gegeben werden. Spezielle Kinder-Impfstoffe sind ab dem 2. Lebensjahr zugelassen. All diese gut verträglichen Impfstoffen zeichnet eine ausgezeichnete Immunogenität aus.
Wie effizient diese Impfstoffe wirken, beweist, dass 99 % der an FSME-Erkrankten nicht oder nur teilweise geimpft waren. Die Effizienz einer postexpositionellen Impfung lässt sich wissenschaftlich kaum eruieren. Das österreichische Gesundheitsministerium empfiehlt diese nach einem klaren Schema, die STIKO hat dagegen keine solche Empfehlung ausgesprochen. Auch manche deutsche Experten raten, dass – bei fehlender Auffrischimpfung im empfohlenen Intervall – eine solche Impfung im Einzelfall erwogen werden kann. Sie sollte innerhalb von 48 Stunden nach Zeckenstich in einem Endemiegebiet verabfolgt werden.
Leider wird uns die zunehmende Erwärmung gewiss weitere „Zeckengeschenke“ bringen. Ein Beispiel ist die Zecke Hyalomma marginatum, die doppelt so groß ist wie Ixodes ricinus. Diese sehende, ihr Opfer aggressiv über bis zu 100 Meter verfolgende Zeckenart ist der klassische Überträger des hämorrhagischen Krim-Kongo-Fiebers. Bisher wurden nur vereinzelt so gefährliche Krankheiten wie Rickettsiose oder Humane monozytäre Ehrlichiose in Deutschland übertragen. Aber es ist wohl nur eine Frage der – warmen – Zeit, bis noch weitere Zeckenarten wie Erreger bei uns heimisch und uns vor neue diagnostische wie therapeutische Aufgaben stellen werden.
Bildquelle: Erik Karits, unsplash