Gefangen im Traum. Diese Redewendung gilt nicht für luzide Träumer. Denn diese übernehmen dann selbst die Regie und können das Drama im Schlaf mitbestimmen. Eine Forschergruppe aus Frankfurt hat nun entdeckt, dass sich solche Klarträume mit Elektrostimulation einschalten lassen.
Rund sechs Jahre seines Lebens verbringt der Durchschnittsmensch damit, in seinem Gehirn aufzuräumen. Träume helfen nach Ansicht etlicher Forscher dabei, den Erlebnisspeicher des vergangenen Tages noch einmal abzuspielen. Dabei löscht das Denkorgan unbrauchbare Passagen und archiviert wertvolle. So richtig einig sind sich aber die Traumforscher noch nicht über den Sinn des Träumens, der auch im Tierreich bei höheren Arten vorkommt. Nur allzu gern würden sie gern wissen, wie etwa Albträume entstehen und wie man sie schnellstmöglich abstellen kann.
Zumeist sind wir nur Mitfahrer in den Handlungen dieses Films. Rund die Hälfte der Bevölkerung hat jedoch auch schon einmal eine andere Art des Kinos im Schlaf erlebt. Eine, in dem der Träumer selbst die Handlung bestimmt und entscheidet, wohin die Reise gehen soll, sich zugleich aber bewusst ist, dass er sich nicht im Wachzustand befindet. Lange Zeit hielt man luzide Träume für Hirngespinste. Die Möglichkeit, sich mit diesen Träumen sowohl gegen Stress zu wappnen als auch komplizierte Aufgaben im Alltag einzuüben, macht sie jetzt für Medizin und Psychiatrie interessant. Das Klartraumprogramm startet wie auch das unwillkürliche Träumen meist in den REM-Schlafphasen (Rapid-Eye-Movement), die vor allem in der zweiten Nachthälfte den Schlaf bestimmen. Ursula Voss von der Universität Frankfurt beschäftigt sich in ihrer Arbeit intensiv mit Klarträumen. Sie glaubt, dass luzides Träumen vor allem mit der Reifung des Gehirn zu tun hat: „Kinder und Jugendliche haben häufig luzide Träume.“ So das Ergebnis einer Untersuchung von mehr als 800 Kindern und Jugendlichen. Mit der Pubertät nimmt dann die Häufigkeit dieser Träume ab. Voss spekuliert, dass der Klartraum eng mit der Vernetzung des Frontallappens mit dem übrigen Gehirn zu tun hat; ein Prozess, der relativ spät bei der Gehirnentwicklung eintritt. Der luzide Traum spiegle dann die Netzwerkarbeit während des Schlafs wider. Bei Erwachsenen wären luzide Träume relativ selten, weil bei ihnen während des Schlafs die Verbindungen zum Frontallappen inaktiviert seien.
Schon aus früheren Studien war bekannt, dass diese Art des wirklichkeitsnahen Traums mit einer erhöhten Aktivität von Gammawellen im EEG einhergeht, die mit einer Frequenz von rund 40 Hertz vor allem durch die frontalen und temporalen Regionen des Gehirns schießen. Der kausale Zusammenhang zwischen Traum und diesem EEG-Muster blieb jedoch bis zu den aktuellen Untersuchungen der Frankfurter Arbeitsgruppe verborgen. An 27 Patienten, alle ohne Klartraum-Erfahrung, induzierten die Wissenschaftler mit einer nichtinvasiven Technik solche Gehirnströme. Dazu applizierten sie drei Minuten nach Beginn der REM-Schlafphase mittels transkranieller Wechselstrom-Stimulation im Bereich von 2 bis 100 Hertz entsprechende elektrische Felder. Kurz danach weckte der Versuchsleiter die Patienten und stellte ihnen gezielte Fragen zu ihren Träumen. Bei Frequenzen von 25 und 40 Hz berichteten die Probanden von Traumerlebnissen, die typisch für luzide Träume sind. Der Proband übernahm dabei die Rolle als Regisseur und Zuschauer, der dem Helden bei seinen Abenteuern zusieht. Die typischen Gammawellen wurden dabei ganz besonders mit 40 Hz verstärkt. Bei Menschen, die bereits Erfahrungen mit luziden Träumen gesammelt hatten, trat dieser Effekt verstärkt auf. 40 Hz-Gammawellen treten beim normalen REM-Schlaf kaum auf und sind im Wachzustand mit exekutiven Funktionen verknüpft. Die Autoren des Artikels in „Nature Neuroscience“ glauben, dass bestimmte Interneuronen diese Wellen generieren. Solche Nervenbahnen verbinden entsprechend Tierstudien kortikale Netzwerke, die für die Verarbeitung von Sinneseindrücken zuständig sind. Allem Anschein nach lassen sich solche Gammawellen mit Elektrostimulation hervorrufen und sind an der Produktion von Klarträumen maßgeblich beteiligt.
Zumeist träumen Menschen während der REM-Phasen des Schlafs. Die Steuerung von Traum und Schlafphase erfolgt jedoch weitgehend unabhängig voneinander, wie der Südafrikaner Mark Solms von der Universität Kapstadt vor etwa 15 Jahren bei Versuchen mit Schlaganfall-Patienten herausfand. Infolge der neurologischen Schäden im Gehirn tauchte zwar in ihrem Schlaf die REM-Phase nicht mehr auf, die Patienten träumten jedoch weiterhin. Im Frontallappen, wo das „logische Denken“ im Wachzustand stattfindet, tue sich in der REM-Phase beim „normalen“ Traum fast gar nichts, so Martin Dresler vom Münchner Max-Planck-Institut für Psychiatrie. In den Zentren, die Gefühle, aber auch visuelle Eindrücke verarbeiten, herrsche dagegen Hochbetrieb. Wie sehr Träume von der Wirklichkeit abgekoppelt sind, zeigen wiederum Ergebnisse der Arbeitsgruppe von Ursula Voss: Menschen mit einer körperlichen Behinderung, also zum Beispiel Gelähmte, aber auch Taubstumme, träumen genauso wie Nichtbehinderte. Ihr Handikap kommt in ihren Träumen kaum vor. Möglicherweise sind in den entsprechenden Regionen schon vorbestimmte Reizverarbeitungsmuster einprogrammiert, die durch die körperliche Behinderung zumindest im Schlaf nicht beeinflusst werden.
Dass sich aber solche Reizverarbeitungsmuster beim luziden Träumen auch für das Leben jenseits des Schlafs nutzen lassen, zeigen die Studien von Daniel Erlacher an den Universitäten Heidelberg und Bern. Er untersuchte dabei rund 800 Sportler. Fast jeder zehnte davon nutzt Klarträume, um komplizierte Bewegungsmuster in seiner Sportart einzuüben. Dabei blockiert das Gehirn im Schlaf zwar fast die ganze Muskulatur (Ausnahme: Atem- und Augenmuskulatur), dennoch lassen sich bestimmte Abläufe „trainieren“ und funktionieren dann auch tagsüber wesentlich besser. Wer als Schwimmer im Traum nicht darauf aufpassen muss, Wasser zu schlucken oder als Leichtathlet im Winter zu frieren, könnte mit den neuesten Erkenntnissen noch mehr profitieren, wenn sich diese luziden Träume per gezielter Stimulation hervorrufen lassen. Das gilt aber auch für Menschen mit Albträumen oder depressive Patienten, bei denen ein unverarbeitetes Trauma immer wieder im Schlaf auftaucht. Immerhin berichten acht Prozent der Bevölkerung von gelegentlichen oder sogar ständigen Albträumen. Die Umprogrammierung vom willenlosen zum luziden Traum könnte damit zu einer zusätzlichen Therapieoption werden. Denn die bisherigen Trainingsprogramme gegen eine solche psychische Belastung während des Schlafs sind bisher nicht immer erfolgreich. Würde man den Träumenden quasi auf Knopfdruck die Regie beim Träumen überlassen, dann könnten die nächtlichen Dramen zu einem Happy End führen.