Wann müssen beim Prostatakarzinom die schweren Geschütze aufgefahren werden – und wie aussagekräftig ist der PSA-Wert beim aktiven Zuwarten eigentlich wirklich? Die neue, fast 500 Seiten starke Leitlinie klärt auf. Wir haben für euch reingeschaut.
Was für eine dicke Schwarte! Fast 500 Seiten hat die eben veröffentlichte, aktualisierte S3-Leitlinie Prostatakarzinom unter der Federführung der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU). Allein für die DGU waren 28 Ärztinnen und Ärzte an dem Werk beteiligt. Den Löwenanteil nimmt mit knapp 200 Seiten die Therapie ein, zu gleichen Teilen die des nicht-metastasierten und des metastasierten Karzinoms. Das dickste Einzelkapitel ist jedoch das Literaturverzeichnis mit 122 Seiten und 1.622 Quellen.
Für Männer ist das Prostatakarzinom nach dem Herzinfarkt und der Potenzschwäche vermutlich das Gesundheitsthema Nummer eins. Zu Recht, denn mit einer altersstandardisierten Inzidenz von rund 1 zu 1.000 ist es mit weitem Abstand der häufigste Tumor beim Mann. Aber nicht der tödlichste: Bei den Todesursachen rangiert er mit gut halb so vielen Fällen hinter dem Lungenkrebs an zweiter Stelle (nicht an dritter, wie es in der Leitlinie heißt). Typisch für das Prostatakarzinom ist seine späte Entstehung und meist langsame Entwicklung: 40 % aller Männer bekommen ein Prostatakarzinom, 10 % haben Beschwerden und 3 % sterben daran.
Aus diesen Zahlen folgt logischerweise: In frühen Stadien tut man gut daran, erst einmal abzuwarten und zu beobachten, wie sich der Tumor entwickelt. „Patienten mit einem lokal begrenzten Niedrigrisiko-Prostatakarzinom sollen aktiv überwacht werden“, lautet auch die klare Empfehlung. Studien zeigen, dass mit Active Surveillance mindestens 98 % Männer nach 10 Jahren nicht an ihrem Tumor gestorben sind. Ziel ist es, die invasive Behandlung – meist eine radikale Prostatektomie – hinauszuschieben, damit den Männern die Nebenwirkungen der OP möglichst lange erspart bleiben. Denn nach einer radikalen Prostatektomie müssen je nach Studie 4 bis 50 % der Männer mit einer geringgradigen Belastungsinkontinenz und 29 bis 100 % mit einer erektilen Dysfunktion rechnen.
Erst wenn multiparametrische MRT-Bildgebung, Kontrollbiopsien und andere Verfahren ein relevantes Wachstum des Tumors andeuten, wird zur OP geraten. Neu in dieser Leitlinien-Version ist die Empfehlung, dass eine deutliche Erhöhung des PSA-Wertes allein kein ausreichender Grund dafür ist, die aktive Überwachung zu beenden.
Trotz der Nebenwirkungen ist die radikale Prostatektomie die kurative Methode der Wahl. Ob man bei einem lokal begrenzten Prostatakarzinom mit OP länger lebt als mit Abwarten, ist erstaunlich ungewiss. Zwar zeigen Studien nach über 10 Jahren einen leicht signifikanten Vorteil für die OP. Der geht jedoch primär auf die jüngeren Patienten zurück, bei Männern über 65 ist er verschwunden.
Wie effektiv eine fokale Therapie ist, bei der nur die tatsächlichen Krebsherde minimalinvasiv entfernt werden, um gesundes Prostatagewebe zu erhalten, lässt sich aufgrund mangelnder Evidenz schwer sagen. Ansonsten fahren auch die Urologen die üblichen Geschütze gegen Krebs auf: bestrahlen, Lymphknoten entfernen, Hormone unterdrücken und in späten Stadien Medikamente geben.
Die Hormonbehandlung mit OP oder Medikamenten läuft beim Prostatakarzinom auf eine Kastration hinaus. Sollte der Tumor auch nach Jahren nicht zurückgekommen sein, gibt es einzelne Versuche, Männer mit Testosteron zu behandeln, um die Folgen der Kastration abzumildern. Trotz der nur anekdotischen Evidenz und fehlender Zulassung sollten Testosterongaben „bei diesem Patientenkollektiv nicht kategorisch ausgeschlossen werden.“
Beim metastasierten, kastrationsresistenten Prostatakarzinom (CRPC) sollen Patienten darüber aufgeklärt werden, dass es, wenn auch keine Heilung, so doch Behandlungen gibt, denn: „Neue Arzneimittel und Arzneimittelkombinationen haben in den letzten Jahren zu einer signifikanten Verlängerung der medianen Überlebenszeit von Patienten mit CRPC geführt“.
Die Leitlinie haben wir Euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Andrej Lišakov, Unsplash