Handwerkliche Detailarbeit, Zeitdruck und Schikane im OP – über Chirurgen gibt es viele Vorurteile. In meiner Facharzt-Ausbildung wechselte ich von der Psychiatrie in die Chirurgie. Das waren meine Gründe.
Anfang des Jahres wagte ich einen, in der Wahrnehmung vieler Kollegen, 180-Grad-Turn und wechselte von der Psychiatrie in die Chirurgie. Wie es dazu kam? Ich vermisste die Somatik und hatte das Gefühl, in der Psychiatrie nicht mehr weiter zu kommen. Ich wollte mich neuen Herausforderungen stellen und wieder ein großes Lernpotenzial haben, sowie auch mal wieder mit meinen Händen arbeiten. Dafür fand ich die perfekte Stelle, die mir nicht zu fordernd schien (kein Maximalversorger).
Im Studium hatte ich die Chirurgie schnell abgehakt, da mir die dortigen Strukturen und der oft kalte und wenig menschliche Umgang mit den Patienten ganz und gar nicht gefiel. Dort erlebte ich Negativbeispiele, wie die Mitteilung einer terminalen Krebserkrankung beim Verlassen des Zimmers mit Mitpatient im Raum oder Visiten, die ganze 2 Sekunden dauerten. Die Ärzte ließen den Patienten oft überhaupt nicht zu Wort kommen. Auch ein Überbringen von schlechten Nachrichten wie am Fließband und auf Zeitdruck war an der Tagesordnung – ohne zu würdigen, dass dies für den Menschen dort gerade die größtmögliche Katastrophe darstellte. Auch auf die Erniedrigung und Schikane im OP – wenn man als Student nur atmete – konnte ich gut verzichten.
Trotz all dieser Aspekte ließ ich mich nochmals auf diese Disziplin ein.
Wie gefällt es mir nun? Ich habe überwiegend viel Freude an der Arbeit. Es ist erfrischend, kleinere Probleme, wie Verletzungen oder störende Lipome recht schnell versorgen zu können und die Behandlung damit abzuschließen. Zudem freut es mich auch, einfach wieder in der Somatik tätig zu sein, Wissen aufzufrischen und Neues zu lernen. Grundsätzlich sehe ich es weiterhin als Privileg an, dass Menschen sich mir anvertrauen und man geht sowohl in der Psychiatrie als auch in der Chirurgie mit Patienten um, die sich einem gegenüber verletzlich machen.
In der Arbeit als Ärztin an sich, in der ich den Menschen mit der Gesamtheit seines Wesens versuche zu schätzen und nicht die tägliche Arbeit auf Diagnosen herunterzubrechen (à la „die Appendizitis in Raum 5“), hat sich für mich nichts geändert. An den OP musste ich mich – wie schon vermutet – wieder gewöhnen und ich habe natürlich wieder den ein oder anderen Fehler gemacht, für den man von der OTA auf die Finger gehauen bekam. Grundsätzlich finde ich es aber einen sehr abwechslungsreichen Beruf, wenn man ihn, wie bei meiner Stelle, mit Sprechstundentätigkeit und Kleineingriffen ergänzt.
Das Klima ist natürlich mal so, mal so und immer abhängig vom Operateur und den anderen Fachpersonen im Saal. Ich bin immer froh, wenn gute Stimmung ist und kein Eisschrank der Emotionen (kalt ist es im OP sowieso immer). Bisher macht mir die Arbeit trotzdem mehr Spaß als die Psychiatrie zuletzt, ob ich zur Psychiatrie zurückkehre, kann ich noch nicht sagen.
Abschließend muss ich resümieren, dass die Arbeit hoch befriedigend ist. Wenn man dann noch aufgrund seiner psychiatrischen Vorerfahrung keine Berührungsängste gegen Angstpatienten hat und seine Skills zur Beruhigung anwenden kann, macht das sogar richtig Spaß! Ich würde sagen, dass generell jede Fachdisziplin von einem Fremdjahr in der Psychiatrie profitieren würde.Den Menschen mit seinen Befürchtungen ernst zu nehmen und sich dem großen Kontrollverlust (währen einer OP) klar zu sein, dann aber auch tatsächlich handwerklich ein Problem zu lösen, ist für mich in der Kombination hoch erfüllend.
Fazit nach einigen Monaten Chirurgie: Das Klischee des etwas stumpfen, wenig einfühlsamen Chirurgen hat schon seine Berührungspunkte mit der Realität. Seitens der Patienten ist ein Chirurg immer noch oft männlich und ein Halbgott, das Prestige und die Bewunderung für diese Arbeit ist hoch, die Dankbarkeit auch. Bei Frauen kommt oft der Überraschungsaspekt dazu – „Wie, Sie waren auch bei der OP dabei?“ – wird aber weniger.
Leider herrscht in der Überzahl der Operationssäle noch das Motto: Wer am lautesten und garstigsten ist, kommt weiter. Es gibt Allüren und schlechte Laune, sowie Sexismus.
Es gibt aber auch schon ganz andere Generationen von Ausbildern und weibliche Vorbilder, die sich nicht dem Druck beugen, sich durch Härte und Feindseligkeit behaupten zu müssen. Genauso erlebte ich auch Chirurgen, welche das Wohl des Patienten an erster Stelle sahen – nicht den finanziellen Aspekt – und nicht zu OPs drängten, sondern ausführlich aufklärten, dass ein Abwarten ohne OP vielleicht besser wäre. Kopfschütteln und Unverständnis, sowie Genervtheit bei schmerzempfindlichen oder ängstlichen Patienten traf ich jedoch auch an.
Ich würde mir wünschen, dass sich diese Fachdisziplin noch mehr in Richtung Toleranz und flache Hierachien entwickelt, sowohl in der Ausbildung neuer Kollegen, als auch in der Neugierde, Patienten mit ihren Ängsten anzunehmen.
Die Autorin ist der Redaktion bekannt, möchte aber anonym bleiben.
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