„Die Ernährung in deutschen Gesundheitseinrichtungen ist krankheitsfördernd!“ So eindeutig ist die Lage. Was müssen Kliniken ändern, um ihre Patienten nicht zu gefährden?
Für Eilige gibt es am Ende des Textes eine Zusammenfassung
Du bist, was du isst – nie war dieser Spruch so wahr wie heute. Denn wenn wir eines wissen, dann, dass unsere Essgewohnheiten erheblich für unsere Gesundheit mitverantwortlich sind. Entsprechend sollte man davon ausgehen, dass besonders in Gesundheitseinrichtungen wie Kliniken und Pflegeheimen auf die richtige Ernährung geachtet wird – aber oft ist das Gegenteil der Fall. Denn „Ernährung in deutschen Einrichtungen ist nicht gesundheits- sondern krankheitsfördernd“, sagt Dr. Lisa Pörtner vom Institut für Public Health an der Charité auf dem Kongress Ernährung 2024 in Leipzig.
Es gibt in deutschen Gesundheitseinrichtungen hauptsächlich zwei große Problemfelder, erklärt Pörtner. Das eine seien die chronischen nicht-übertragbaren Krankheiten. Das andere sei die Mangelernährung – und da gäbe es in den letzten Jahrzehnten auch kaum Fortschritte. „Das ist leider für niemanden etwas Neues. Damit einher gehen ein hohes Risiko für Komplikationen, eine erhöhte Sterblichkeit und eine verlängerte Liegedauer – und damit enorme Kosten für das Gesundheitssystem“, so Pörtner. Auch bei den chronisch Erkrankten sei die Ernährung ein maßgeblicher Faktor sowohl in der Krankheitsentstehung als auch in der Krankheitsprogression.
Pörtner kritisiert vor allem die schlechte Datenlage. Bisherige Studien beschränken sich beim Thema Mangelernährung oft auf den Aspekt Kalorien- und Proteinaufnahme. Einige Studien würden noch speziell auf einzelne Nährstoffe und Vitamine – beispielsweise die Vitamin-C-Zufuhr – eingehen, aber es gäbe einfach kein gutes Gesamtbild vom aktuellen Status der Ernährung in deutschen Gesundheitseinrichtungen.
In Deutschland gibt es rund 1.800 Kliniken, in denen im Jahr über 360 Millionen Mahlzeiten serviert werden. Außerdem werden rund 800.000 Menschen vollstationär in Senioreneinrichtungen verpflegt. „Wir haben keinerlei Information zur allgemeinen Qualität und zu den gesundheitlichen Aspekten von Ernährung in deutschen Gesundheitseinrichtungen“, mahnt Pörtner. „Es gibt auch keine verpflichtenden Standards und Kontrollen für die Ernährung in Kliniken – mit Ausnahme von Hygienemaßnahmen.“ Zwar gibt es freiwillige Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), diese werden aber nur in einem Bruchteil der Kliniken in Deutschland umgesetzt.
Der Konsens zur Ernährungssituation in deutschen Gesundheitseinrichtungen ist also: Es gibt zu wenige Daten, zu wenige Vorgaben und zu wenige Kontrollen. Pörtner und ihr Team haben deswegen die Nurished-Studie ins Leben gerufen, deren erste Ergebnisse auf dem Kongress präsentiert wurden. Das Ziel der Studie: „Den Status quo der Verpflegung in Einrichtungen des Gesundheitssystems und die Umsetzbarkeit einer Ernährungsumstellung auf eine ökologisch nachhaltige und gesundheitlich vorteilhafte Kost im Sinne der Planetary Health Diet“ erheben.
Bisher wurden zwei Kliniken und drei Senioreneinrichtungen, die alle eine eigene Küche haben, untersucht. Erste Ergebnisse zeigen, dass laut Healthy Eating Index (HEI) deutsche Gesundheitseinrichtungen deutlich hinterherhinken. „Wir wissen, dass die Höhe der Punktzahl (100 Punkte Maximum) invers korreliert mit der allgemeinen Mortalität, dem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, dem Risiko für Typ-2-Diabetes – aber auch mit der Mortalität bei Tumorerkrankungen und dem Erhalt von Alltagsleistung im geriatrischen Bereich“, so Pörtner. Laut HEI wäre ein Score von 100 das Nonplusultra. „Wir haben durchschnittlich einen HEI von 45 in unseren Gesundheitseinrichtungen“, so Pörtner.
Deutsche Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen haben also deutliches Verbesserungspotential in Sachen Ernährung. Insbesondere werden zu wenig Hülsenfrüchte und Vollkorngetreide, dafür deutlich zu viele raffinierte Kohlenhydrate und Salz angeboten. „Im besten Fall sollten über 80 % unserer täglichen Kalorien aus vollwertigen pflanzlichen Lebensmitteln stammen. Unsere Studie zeigt, dass keine der Einrichtungen mehr als 20 % an vollwertig, gesunden, pflanzlichen Kalorien anbietet.“
Dass die Ernährung in deutschen Gesundheitseinrichtungen verbessert werden muss, steht außer Frage. Pörtner verweist hier auf die aktuellen Empfehlungen der DGE – die neben gesundheitlichen auch Umweltaspekte berücksichtigt. „Wir brauchen zudem unbedingt ein verpflichtendes Screening der Gesundheitseinrichtungen. Außerdem muss die ernährungsmedizinische Kompetenz in Kliniken und sonstigen Gesundheitseinrichtungen ausgebaut werden“, sagt Pörtner.
Aber nicht alles ist verloren. Denn es gibt bereits Initiativen, die sich mit dem Thema auseinandersetzten, beispielsweise die KliMeG-Initiative (Kompetenzzentrum für klimaresiliente Medizin und Gesundheitseinrichtungen) oder das Healthy Hospital Food Projekt der Physicians Association for Nutrition. Auch Pörtner gibt einen positiven Ausblick: „Die Ernährungsumstellung in Gesundheitseinrichtungen ist eine große Chance – sowohl für die individuelle als auch für die planetare Gesundheit. Zentral dabei ist der der Wechsel zu einer vollwertigen pflanzenbasierten Ernährung. […] Außerdem brauchen wir einen Paradigmenwechsel, denn wir müssen endlich anfangen, Ernährung als Teil der Therapie zu begreifen.“
Bildquelle: Alexander Schimmeck, Unsplash