In einer aktuellen Studie haben Wissenschaftler nun erstmals das Verordnungsverhalten von Ärzten bei häufigen Infektionskrankheiten untersucht und regionale Unterschiede beobachten können.
So verordneten in Deutschland die niedergelassenen Ärzte bei Infektionen der Atemwege Antibiotika sehr zurückhaltend und entsprechend der Leitlinien. Bei der Therapie von Rachen- und Mandelentzündungen kämen Antibiotika hingegen häufiger zum Einsatz als in den Leitlinien empfohlen. Regionale Unterschiede im Verordnungsverhalten kämen zudem hinzu, so die aktuelle Untersuchung der Wissenschaftler vom Versorgungsatlas des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (ZI). Zu den Schlusslichtern zu gehören, kann auch positiv sein. Deutschland bildet zusammen mit den Niederlanden und Estland die Abschlussgruppe mit dem geringsten Antibiotikaeinsatz unter allen Ländern Europas: Während hierzulande weniger als 15 definierte Tagesdosen pro 1.000 Einwohner verordnet werden, liegen die Raten bei den Spitzenreitern zwischen 37 und 43 Tagesdosen. Dies berichtete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in einer unlängst veröffentlichten Untersuchung. Die WHO betont aber auch, dass der Verbrauch an Antibiotika nach wie vor generell zu hoch sei. Dies gelte auch für die Bundesrepublik. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen empfiehlt beispielsweise in seinem gerade veröffentlichten Gutachten, zur Vermeidung von Resistenzen „ein Augenmerk auf die angemessene Verordnung von Antibiotika zu legen, bei denen gravierende regionale Unterschiede bei den Verschreibungen vorliegen“. Diese Unterschiede belege auch die neue Untersuchung der Wissenschaftler des Versorgungsatlas. Die Forscher nutzten die bundesweiten Abrechnungsdaten aus der kassenärztlichen Versorgung, um das Verordnungsverhalten der Ärzte bei Atemwegsinfektionen, Rachen- und Mandelentzündungen, Scharlach, Lungenentzündungen sowie Mittelohr- und Harnwegsinfektionen zu analysieren. „Durch diese Analyse leisten die Kassenärztlichen Vereinigungen und die niedergelassenen Ärzte einen wichtigen Beitrag zur qualitativen und quantitativen Verbesserung der Antibiotikaverordnungen im ambulanten Sektor“, erklärt Dr. Jörg Bätzing-Feigenbaum, der Leiter des Versorgungsatlas.
„Mit Ausnahme von Scharlach zeigen sich in den neuen Bundesländern niedrigere Verordnungsraten als in den alten Bundesländern“, so die Forscher in ihrem Report. Am deutlichsten fielen demnach diese Unterschiede bei Mittelohrentzündungen und Harnwegsinfektionen aus.
Auffallend sei auch, dass in den neuen Bundesländern bestimmte Antibiotika häufiger eingesetzt würden als in den alten. Diese Breitspektrum-Antibiotika, Chinolone, gehören indes zu den Reserveantibiotika, die schweren Infektionen vorbehalten sein sollten, um Resistenzbildungen zu vermeiden. Generell hätte sich in ganz Deutschland im Jahr 2009 der Einsatz dieser Substanzen im Vergleich zum Vorjahr um 22 Prozent erhöht. Antibiotikaverordnungsrate je Indikation, getrennt nach neuen und alten Bundesländern. © Versorgungsatlas
Unterschiede beim Antibiotikaeinsatz gäbe es auch bei den einzelnen Krankheitsbildern. Während die Ärzte bei den zumeist von Viren verursachten Atemwegsinfektionen Antibiotika entsprechend der Empfehlungen der Leitlinien zurückhaltend einsetzten, diagnostizierten die Forscher des Versorgungsatlas bei Rachen- und Mandelentzündungen eine zu hohe Verordnungsrate: Entsprechend europäischer Qualitätsindikatoren sei bei diesen Erkrankungen die Antibiotikatherapie in bis zu 20 Prozent der Fälle gerechtfertigt. In Deutschland würden jedoch bis zu 59,5 Prozent der Fälle mit Antibiotika behandelt. „Bei diesen Diagnosen besteht ein dringender Handlungsbedarf, den Einsatz von Antibiotika nachhaltig zu reduzieren“, kommentiert Dr. Bätzing-Feigenbaum. Auch bei Mittelohrentzündungen lägen die Verordnungsraten höher als die Qualitätsindikatoren es auswiesen.
Noch in diesem Jahr plant das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung die Veröffentlichung einer Untersuchung zur Entwicklung der Antibiotikaverordnungsraten im Zeitverlauf für die Jahre 2008 bis 2012. Die Wissenschaftler des Versorgungsatlas haben bei ihrer Studie die pseudonymisierten Abrechnungsdaten und Arzneiverordnungsdaten des Jahres 2009 aus Arztpraxen ausgewertet. Im Fokus standen häufige ambulant behandelte Erkrankungen. Ebenso erfolgte eine differenzierte Erhebung nach Wirkstoffen. Die Verordnungshäufigkeiten wurden mit Qualitätsindikatoren des European Surveillance of Antimicrobial Consumption Project (ESAC) abgeglichen. Hinzu kam der regionale Vergleich der Bereiche der kassenärztlichen Vereinigungen sowie der alten und neuen Bundesländer.