Die Patientin kommt mit einer Schwellung an der Brust zum Hausarzt. Die naheliegende Vermutung: Mammakarzinom. Aber die Patientin hat ein ganz anderes Problem – und wird damit zum ersten Fall in Deutschland.
Ein Insektenstich – alltäglich bei ihren Urlauben in Indien. Auch wenn er an der linken Brust wirklich unangenehm ist. Die Patientin achtet nicht weiter darauf, denn es ist nur ein Stich von vielen. Zwei Monate später in Deutschland stellt sie aber beunruhigt fest, dass die Stelle weiterhin geschwollen ist und schmerzt. Das ist ungewöhnlich, sie geht zum Hausarzt.
Eine neu aufgetretene Schwellung bei einer 69-jährigen Frau? Der düstere Verdacht eines Mammakarzinoms hängt in der Luft. Die Frau wird zum Gynäkologen überwiesen, eine Mammographie wird veranlasst. Aber es gibt keinen Grund zur Entwarnung, im Gegenteil: In Segment 9 zeigt sich eine unscharf begrenzte Densität – ein (Malignom-)verdächtiger Befund, der biopsiert werden muss.
Mammographie - Verdächtiger Befund (A) in Segment 9 linksUnter Berücksichtigung der Mammographie kann man den Herd auch sonographisch gut darstellen. Es erfolgt eine Feinnadelpunktion zur histologischen Untersuchung, soweit so gut.
Einige Tage später, die Hausärztin der Patientin ist am Telefon. Ich frage ungläubig nach:
„Was steht im Histologiebefund? Schwere Entzündung um Anteile eines vermiformen Parasiten?“„Ja genau, ich habe Ivermectin gegeben und jetzt brauche ich Ihre Hilfe“.„Klar, die Patientin kann jederzeit zu uns in die Infektiologie und Tropenmedizin kommen!“
„Was steht im Histologiebefund? Schwere Entzündung um Anteile eines vermiformen Parasiten?“
„Ja genau, ich habe Ivermectin gegeben und jetzt brauche ich Ihre Hilfe“.
„Klar, die Patientin kann jederzeit zu uns in die Infektiologie und Tropenmedizin kommen!“
Kurz darauf in der Notaufnahme. Die gebürtige Inderin lebt seit langem in Deutschland und besucht gelegentlich ihre Familie in Kerala im Süden – diesmal hat sie offenbar ein unerwünschtes Souvenir mitgebracht. Oder hat das gar nichts mit Indien zu tun? Ich untersuche die Frau, die Mamma ist druckschmerzhaft und etwas geschwollen, ansonsten keine Auffälligkeiten in der körperlichen Untersuchung. Sie hat eine milde arterielle Hypertonie und Hypercholesterinämie, ansonsten ist sie fit und gesund.
Die Hausärztin hatte bereits eine Serologie auf Filarien veranlasst. Diese ist deutlich positiv! Ein klares Indiz, auch wenn der Wert erstmal keine weitere Einordnung erlaubt. Die restlichen Laborbefunde sind unauffällig, vor allem keine Eosinophilie im Blutbild.
Filarien sind eine Überfamilie der Fadenwürmer, die als Endoparasiten leben. Einige von ihnen können insbesondere in Afrika relevante Parasitosen bei Menschen auslösen: Wuchereria bancrofti ist der Erreger der lymphatischen Filariose, die wegen der teils monströsen Lymphödeme in späten Stadien als „Elephantiasis“ bekannt ist. LoaLoa ist wegen dem subkutan wandernden und manchmal die Konjunktiven passierenden Wurm auch als „Eyeworm“ bekannt. Onchocerca Volvulus ist der Auslöser der Onchocerkose – der Flussblindheit, die wichtigste infektiöse Ursache für Erblindung weltweit.
Klinisches Bild wichtiger Filarieninfektionen: Onchocercose (oben), LoaLoa (unten), Lymphatische Filariose (rechts)
Dann gibt es noch Filarien, die überwiegend Tiere befallen – vor allem Dirofilaria immitis, den sogenannten Herzwurm, der Herz und Gefäße von Katzen und Hunden befällt und Dirofilaria repens, der das Subkutangewebe von Hunden befällt.
Ich schließe mich mit der Tropenmedizin der Uni München und der Parasitologie der Uni Bonn kurz. Im nächsten Schritt nehmen wir Blut um Mitternacht und um 12 Uhr mittags ab. Warum das? Wenn es wirklich eine Filarieninfektion ist, muss man feststellen, ob der erwachsene Wurm Nachkommen produziert. Diese sogenannten Mikrofilarien werden mit einer zirkadianen Rhythmik gebildet. Beim LoaLoa ist der Höhepunkt mittags, bei der lymphatischen Filariose durch Wuchereria bancrofti um Mitternacht. Im Blut ist nichts nachweisbar. Weitere Umfelddiagnostik mittels Sonographie und CT bleibt ebenfalls unauffällig.
Und jetzt? Die Infektion mit einem Wurm ist histologisch nachgewiesen, wir haben eine passende Serologie. Die Spezies wissen wir (noch) nicht. Das Tier scheint aktuell keine Nachkommen zu produzieren – oder sind sie durch die Ivermectin-Therapie der Hausärztin abgetötet worden? Wir beschließen pragmatisch eine Therapie mit Doxycyclin 100 mg 1–0–1 zu starten. Ein neuer Therapieansatz, denn die meisten Filarien haben eine Art Untermieter, Endosymbionten der Gattung Wolbachiii. Diese zerstört man mit Doxycyclin. In Folge stirbt der adulte Wurm langsam ab – ein elegantes und gerade an der Mamma viel schonenderes Verfahren als die chirurgische Entfernung.
Die Patientin wird entlassen. Ich organisiere das Histologie-Präparat und lasse es zur Zweitbegutachtung nach Bonn schicken. PCRs auf LoaLoa, auf Dirofilaria Immitis und Wuchereria bancrofti sind negativ. In der mikroskopischen Durchsicht kommt dort Licht ins Dunkel: Das Präparat sieht aus wie Dirofilaria repens!
Histologiepräparat der Mamma-Biopsie
Jetzt passt alles zusammen! Denn es ist verrückt, aber wahr: Filarien werden tatsächlich durch Insektenstiche übertragen. Dabei hängt die Larve am Stechapparat der Mücke und dringt so in die tierische oder menschliche Haut ein. Dort angekommen wächst sie zum adulten Wurm heran und produziert fleißig Nachkommen. Oftmals müssen die Mikrofilarien genannten „Kinder“ anders behandelt werden als der adulte Wurm. Bei manchen Spezies wie Dirofilaria repens ist der Mensch ein Fehlwirt – der adulte Wurm kann sich nicht vermehren und stirbt am Ende seiner Lebenszeit ab, die aber Jahre betragen kann.
Eine Frage bleibt dennoch offen: Wo hat sich die Patientin infiziert? Die Frage ist nicht trivial, Dirofilaria Repens kommt in Europa vor und menschliche Infektionen sind dokumentiert. In Südostasien gibt es aber eine recht neue Filarienart, die nach ihrem Entdeckungsort Dirofilaria Hongkongensis heißt. In Südindien sind Fälle beschrieben. Könnte das die Ursache sein? Histologisch unterscheiden kann man die beiden Spezies nicht – also PCR. Der Primer muss erst aufwendig beschafft werden, aber es lohnt sich. Eine kleine Sensation: Ja, es ist Dirofilaria Hongkongensis! Damit ist die Infektion in Indien belegt und wir haben den überhaupt ersten dokumentierten Fall in Deutschland.
Wie ging es weiter? Die Therapie mit Doxycyclin wurde nach 6 Wochen beendet. Wir kontrollierten die Patientin über 5 Monate ambulant nach. Schwellung und Schmerzen verschwanden vollständig, die Filarienantikörper waren rückläufig, das Problem gelöst.
Was lernen wir daraus? In einer globalisierten Welt müssen wir global denken und auch tropische Erreger in unsere Differentialdiagnostik mit einbeziehen – durch den menschgemachten Klimawandel werden uns solche Erreger in Zukunft häufiger begegnen.
Bildquelle: George Dagerotip, unsplash