KOMMENTAR | Gegen Pertussis gibt es eigentlich einen guten Schutz – aber unklar formulierte Empfehlungen und Missverständnisse führen zu immer mehr Keuchhustenfällen. Das muss sich ändern.
Ein Text von Dr. Ulrich Enzel
Wie kann es dazu kommen, dass in diesem Jahr mehr als viermal so viele Keuchhustenfälle in Deutschland gemeldet wurden als 2023 (bis zur KW 22 bereits 5.997 gegenüber 1.692)? Missverständnisse sind eine zentrale Ursache dafür und alles beginnt mit einem Übersetzungsfehler. Per-Tussis: Das drückt klar eine lange durchhaltende Husten-Symptomatik aus als charakterisierendes, wichtigstes Symptom dieser Infektion durch Bordetella pertussis. Aber nur (ungeimpfte) Kinder zeigen im Stadium convulsivum des „100-Tage-Hustens“ vor allem nachts typisches Keuchen. Spätestens ab dem Jugendlichen-Alter verläuft Pertussis in der Regel lediglich als lang andauernder „per-“Husten ohne die klassischen Keuchhusten-Begleitsymptome wie Husten-Anfälle, inspiratorischer Stridor oder Erbrechen. Viel zu spät kommt oft erst die Erkenntnis: Mein Patient hat Keuchhusten. Und viel zu spät werden Antibiotika verordnet.
Bedingt durch ein schnelles Nachlassen des Immunschutzes nach der Impfung erkranken schon ältere Kinder und Jugendliche häufig so an Keuchhusten. Auch wenn die Inzidenz bei Erwachsenen niedriger liegt, treten inzwischen rund 60 % aller Erkrankungen bei Personen ≥ 18 Jahre auf. Dazu trägt erheblich eine unzureichende Umsetzung der empfohlenen Auffrischimpfungen, insbesondere bei Jugendlichen und Erwachsenen, (s. u.) bei.
Eine fatale Immunitäts-Lücke! Vor allem weil bei der klassischen Tröpfchen-Infektionskrankheit Pertussis die extrem hohe Ansteckungsfähigkeit bereits am Ende der Inkubationszeit beginnt, ihren Höhepunkt zwar während der ersten beiden Stadium catarrhale-Krankheitswochen erreicht, aber sogar das anschließende 4–6 Wochen andauernde Stadium convulsivum bis zu drei Wochen überdauern kann. Erst der Einsatz eines Antibiotikums (Azithromycin, Erythromycin-Estolat oder TMP-SMX) verkürzt die Dauer der Ansteckungsfähigkeit auf drei bis sieben Tage. Zeitraum und Heftigkeit der Hustenattacken beeinflusst die Antibiose grundsätzlich nur, wenn sie möglichst früh – spätestens während der ersten 1–2 Wochen ab Beginn des Hustens – eingesetzt wird.
Warum aber fatal? Kann ein mehrere Monate lang anhaltender Husten weit mehr bedeuten als nur lästig zu sein? Ja, und dies ganz besonders für zwei Hochrisiko-Gruppen: Schwangere und Säuglinge.
Während der ersten drei Lebensmonate droht einem von 1.000 erkrankten Säuglingen der Tod durch Pertussis. Die Todesursache ist nicht der Husten, sondern häufig eine Hyperleukozytose mit bis zu 100.000/mm3, durch die eine schwere Hypoxämie und pulmonale Hypertension ausgelöst wird. In bis zu 10 % kommt es vor allem bei Säuglingen und älteren Menschen zu Pneumonien, meist durch Superinfektionen mit anderen bakteriellen Erregern, insbesondere Pneumokokken oder nicht bekapselten Haemophilus influenzae. Als weitere Komplikationen werden Otitiden, Sinusitis, Inkontinenz, Hernien, Rippenfrakturen sowie subkonjunktivale oder selten sogar zerebrale Blutungen berichtet. Als seltene neurologische Komplikationen – vor allem bei hospitalisierten Säuglingen – können zerebrale Krampfanfälle und Enzephalopathien auftreten.
Aber schon ab dem zweiten Lebensmonat werden doch (immer noch nur fast) alle Säuglinge gegen Pertussis geimpft? Hier drohen weitere Missverständnisse! Erst durch zwei (bei Frühgeborenen drei) Impfdosen wird ein sicherer Schutz induziert. Jedoch ist eine Eradikation von Pertussis im Gegensatz zu anderen impfpräventablen Krankheiten nicht möglich. Wegen der begrenzten Dauer der Immunität, sowohl nach natürlicher Erkrankung als auch nach vollständiger Impfung, kann sich jede Person mehrmals im Leben neu infizieren und erkranken.
Ziele der gegenwärtigen Impfstrategie in Deutschland sind daher ein möglichst frühzeitiger und vollständiger Impfschutz für die durch B. pertussis besonders gefährdeten Säuglinge und Kleinkinder (Grundimmunisierung). Darüber hinaus ist die Auffrischung der Immunität sowohl im Vorschul- und Jugendalter als auch bei Erwachsenen notwendig, um die klinische Wirksamkeit des Impfschutzes aufrecht zu erhalten und die Übertragung auf ungeimpfte und nicht-immune Personen zu minimieren.
Hier droht ein weiteres Missverständnis! Die STIKO empfiehlt lediglich: Erwachsene sollen die nächste fällige Td-Impfung (Tetanus und Diphtherie) einmalig als Tdap-Kombinationsimpfung (Diphtherie, Tetanus, Pertussis) erhalten. Das muss große Pertussis-Impflücken provozieren. Andere Länder, wie z. B. die USA machen es besser. Das CDC empfiehlt eine Auffrischimpfung gegen Keuchhusten alle 10 Jahre – lebenslang. Erfreulich ist, dass die Unfallversicherungsträger bei einer verletzungsbedingten Tetanus-Impfung den Tdap-Impfstoff übernehmen.
Aber gibt es wirklich keine weitere Möglichkeit, wenigstens die ganz besonders durch Keuchhusten gefährdeten Säuglinge zu schützen? Schon seit 2020 empfiehlt die STIKO eine Tda-Impfung (bei entsprechender Indikation als TdapIPV-Kombinations-Impfstoff) aller Schwangeren zu Beginn des 3. Trimenons während jeder Schwangerschaft – unabhängig vom Impf-Status der Schwangeren (bei erhöhter Wahrscheinlichkeit für eine Frühgeburt: Impfung ins 2. Trimenon vorziehen!). Dieses leider noch viel zu selten umgesetzte Präventions-Potenzial senkt die Rate von Erkrankungen und Hospitalisierung durch Pertussis bei Säuglingen in den ersten 2–3 Lebensmonaten um > 91,4 %, Todesfälle während dieser Phase um ca. 95 %, im gesamten 1. Lebensjahr um 69 %.
Das bedeutet schlicht einen um 85 % besseren Schutz als durch eine Impfung der Schwangeren im Wochenbett! Studiengesichert ist, dass hierdurch kein Blunting induziert wird. Da eine Impfung gegen B. pertussis nur eine rasch endende Bildung plazentagängiger Antikörper induziert, sollte diese Schwangeren-Immunisierung in jeder Schwangerschaft erneut durchgeführt werden, völlig unabhängig vom bisherigen Impfstatus.
Ist das schon alles, können wir nicht noch mehr tun, um die besonders gefährdeten Neugeborenen zu schützen? Die aktuelle STIKO-Empfehlung rät dabei folgendes:
Folgende Personen sollen alle 10 Jahre eine Dosis Pertussis-Impfstoff erhalten:
Ist die in der Schwangerschaft empfohlene Impfung nicht erfolgt, sollte die Mutter bevorzugt in den ersten Tagen nach der Geburt geimpft werden.
Der RKI-Ratgeber „Pertussis“ gibt klare Empfehlungen zur Chemoprophylaxe: Es sollten auch geimpfte enge Kontaktpersonen von an B. pertussis Erkrankten vorsichtshalber eine Chemoprophylaxe erhalten, wenn sich in ihrer Umgebung gefährdete Personen befinden, wie z. B. ungeimpfte oder nicht vollständig geimpfte Säuglinge, Kinder mit kardialen oder pulmonalen Grundleiden oder Schwangere im letzten Trimester. Bei B.-parapertussis-Infektionen, die mit einem leichteren Verlauf einhergehen, ist eine Chemoprophylaxe in der Regel nur dann für enge Kontaktpersonen empfohlen, wenn es sich um Säuglinge < 6 Monate handelt oder um Kontaktpersonen, in deren Haushalt ein Säugling < 6 Monaten lebt oder die als Personal im Gesundheitswesen Säuglinge < 6 Monaten betreuen.
Pertussis ein perfider Erreger, gegen den wir für Patienten aller Altersstufen einen perfekten (und fast permanenten) Schutz aufbauen und erhalten können. Auch für die gesetzliche Meldepflicht bereits bei Krankheitsverdacht sollten wir uns verantwortlich fühlen.
Bildquelle: Randy Laybourne, Unsplash