Neurobiologen wiesen an Zebrafischen nach, dass das Kleinhirn in einzelne Funktionseinheiten unterteilt ist, die der Steuerung ausgewählter Bewegungen zugeordnet sind. Die Forscher erhoffen sich daraus Erkenntnisse für die Schlaganfallforschung.
Ohne unser Kleinhirn „geht“ im besten Sinne des Wortes nichts: Es ist vor allem für unsere Motorik zuständig, kontrolliert unsere Bewegungsabläufe, die Körperhaltung und das Gleichgewicht. Das ganze geschieht auf Anweisung des Großhirns, das für den nötigen „Input“ sorgt. Darüber, wie dieser „Input“ weiterverarbeitet und in Befehle, also „Output“, für den Bewegungsablauf umgewandelt wird, gibt es bisher nur Vermutungen, erläutert Prof. Dr. Reinhard Köster, vom Zoologischen Institut der TU Braunschweig. Zusammen mit seinem Mitarbeiter, Dr. Hideaki Matsui, ist es ihm nun gelungen, eines der vielen Rätsel um unser Kleinhirn zu entschlüsseln und einen Teil seiner Funktionsweise zu verstehen. Um diesem Ziel näherzukommen, haben die Braunschweiger Neurobiologen Larven des Zebrabärblings genauer untersucht. Die umgangssprachlich auch als Zebrafisch bezeichnete Karpfenart gilt wegen der genetischen Zugänglichkeit der Larven als besonders geeigneter Modellorganismus für die molekulare und physiologische Forschung in der Biologie. Zudem ermöglicht der beinahe transparente Körper der Fischlarven eine hochauflösende Mikroskopie-Analyse, ohne in den lebenden Organismus eingreifen zu müssen. So können Nervenzellen bei ihrer Arbeit direkt beobachtet werden. Für ihre Untersuchungen hatten die Braunschweiger Neurobiologen vor allem die sogenannten Purkinjezellen näher in den Blick genommen. Diese besonderen Nervenzellen sind sozusagen die „Schaltstellen“ des Kleinhirns. „In diesen Zellen haben wir ein Protein erzeugt, welches sich über die Synapsen hinweg, von Nervenzelle zu Nervenzelle, bewegt“, erklärt Prof. Köster. Dieses Protein wurde anschließend mit einem Antikörper nachgewiesen. So konnten die Neurobiologen die „Leitungen“ identifizieren, die von den Purkinjezellen ausgehen und in andere Hirnregionen führen. „Wir konnten also die Kommunikationswege ausgehend von den Purkinjezellen im Kleinhirn aufdecken, und dies über mehrere Synapsen hinweg“, so Prof. Köster.
Die Braunschweiger Wissenschaftler machten bei ihrer Analyse eine spannende Entdeckung: „Dabei ist uns aufgefallen, dass das Kleinhirn in Regionen unterteilt ist, von denen jede Region mit einer anderen Struktur im Nervensystem kommuniziert“, so der Neurobiologe. Um diese Vermutung zu überprüfen, entwickelten die Wissenschaftler ein Verfahren, bei dem das Abspielen von ausgewählten Filmen typische, sich wiederholende Bewegungen bei den Zebrafischlarven auslöste wie etwa Augen- oder Schwimmbewegungen. „Gleichzeitig konnten wir mit einem Mikroskop die Aktivität der Purkinjezellen im Kleinhirn verfolgen und sehen, dass tatsächlich nur bestimmte Regionen von Nervenzellen aktiv wurden, je nach Bewegungsart in einer anderen Region.“, so Prof. Köster. Die Gegenprobe führten die Wissenschaftler ebenfalls mit Hilfe der Optogenetik durch, einer Technik, die die Steuerung von Nervenzellen mit Lichtimpulsen erlaubt. So konnte durch kurzes Einstrahlen von Licht die Aktivität der Purkinjezellen für die Dauer der Lichteinstrahlung in kleinen ausgewählten Regionen gehemmt werden. Durch Einstrahlen von Licht in der linken Mitte des Kleinhirns ließen sich beispielsweise Schwimmbewegungen nach links und Schwimmbewegungen nach rechts durch Einstrahlen in der rechten Kleinhirnmitte unterbinden. Die Augenbewegungen wurden jedoch von Purkinjezellen in einer anderen Region weiter hinten im Kleinhirn kontrolliert, erläutert Prof. Köster. Spezifische Genaktivität nur in Purkinjezellen des Kleinhirns (Expression vom grün fluoreszierenden Protein). © TU Braunschweig „Wir freuen uns, dass der Nachweis der ‚Leitungen‘ sowie der einzelnen ‚Schaltstellen‘ im Kleinhirn gelungen ist und wir damit einen Beitrag zur Grundlagenforschung leisten konnten. Gerne möchten wir in künftigen Forschungsprojekten die Entstehung dieser Arbeitsteilung während der Entwicklung des Kleinhirns besser verstehen.“, fasst Prof. Reinhard Köster zusammen. Originalpublikation: Functional regionalization of the teleost cerebellum analyzed in vivo Hideaki Matsui et al.; PNAS, doi: 10.1073/pnas.1403105111; 2014