Nein, es geht hier nicht um Fußball. Trotzdem schießt Deutschland Eigentore und die Spieler wechseln das Team. Die Rede ist vom Trainingslager für Ärzte: Das PJ. Was macht die Schweiz besser?
Ich bin Medizinstudentin im 10. Semester. Der Name meiner Universität spielt keine Rolle, denn das Problem betrifft ganz Deutschland. Immer mehr Kommilitonen gehen in die Schweiz zum PJ – oder bleiben sogar dort.
Fragt man nach dem Grund, kommen ausnahmslos die gleichen Antworten:
Die Antwort „weil die Schweiz ein schönes Land ist!“ habe ich selten gehört. Spätestens jetzt sollten eure Alarmglocken läuten. Deutschland, das sich über seine Bildung und Chancengleichheit profiliert, steht jetzt dumm da. Aber was ist dran?
Das Praktische Jahr ist laut Approbationsordnung eine normale 40 Stunden-Woche. Das entspricht einer Vollzeitarbeitsstelle. Der Stundenlohn beträgt in der Regel ca. 3,40 Euro, denn in 61 Kliniken erhielt man im Wintersemester 2020/21 den alten Bafög-Höchstsatz von 597 Euro. Nur 26 Kliniken in Deutschland boten den neuen Bafög-Höchstsatz von 861 Euro. In 147 Kliniken gab es gar keine Aufwandsentschädigung (Stand: WS 20/21). Zugegeben: man arbeitet nicht immer acht Stunden täglich, in vielen Kliniken gibt es auch Studientage oder man wird zur Mittagszeit entlassen. Aber es ist dennoch erschreckend, dass es juristisch völlig legal ist, für eine Vollzeitarbeitsstelle gar kein Geld zu bekommen. Viele sind daher auf ein Stipendium oder die Eltern als Finanzspritze angewiesen. Fehlen diese beiden Einnahmequellen, quält man sich eben noch durch einen Zweitjob. Für mich klingt das ganz und gar nicht nach Chancengleichheit, sondern nach Klassismus.
Und bevor ich jetzt zu hören bekomme, dass früher keiner meckerte und die neue Generation faul geworden ist: Ich bin sehr dankbar dafür, wie das Studium in Deutschland geregelt ist. Ich bin sehr dankbar, dass wir keine immensen Studiengebühren zahlen müssen. Aber nur weil etwas früher so war, müssen wir heute nicht mehr leiden.
In jüngeren (und naiveren) Semestern konnte ich es kaum abwarten, endlich buchstäblich Hand anlegen zu dürfen. Aber je mehr Praktika ich erlebe, desto mehr fällt mir auf, dass insbesondere an Universitätskliniken Studentenunterricht stiefmütterlich behandelt wird. Ich mache dafür nicht die Assistenzärzte verantwortlich, denn die müssen neben ihrem auslastenden Alltag dann noch oft den Studentenunterricht stemmen.
Der Grundton gegenüber Studenten ist aber generell häufig negativ. Mir wurde von unzähligen Situationen erzählt, bei denen der Student komplett vernachlässigt wurde und stumm beim Arztbriefschreiben zugeguckt hat. Wenn man dann vom Nichtstun die Nase voll hat und früher gehen möchte, wird einem ein Kommentar hinterhergeschickt: „Du machst jetzt schon Feierabend?!“ Versteht mich nicht falsch: das ist nicht immer so. Ich habe auch einige positive Erfahrungen gemacht oder berichtet bekommen. Aber das waren leider Einzelfälle. Und wenn man dann auch noch nur mit „hey Student“ angesprochen wird, dann vergeht einem erst recht die Lust.
Für jede Universität gibt es einen Zeitraum von circa einer Woche, in dem die Kliniken und Fachbereiche für die Tertiale gewählt werden dürfen. Damit die heimischen Studenten Priorität sind, wird in dieser Woche erstmal nur der Umkreis der Universität gewählt. Klingt fair. Aber natürlich sind die PJ-Plätze begrenzt. Und wenn 400 Studenten sich gleichzeitig anmelden würden, gäbe es technische Probleme. Daher gibt es immer nur Zeitslots, an denen man wählen darf. Das bedeutet, dass ich entweder am ersten Tag der PJ-Wahl wählen darf und alle Plätze noch frei sind. Oder ich zum Ende hin erst wählen darf und die übrigen Plätze eine Anreise von 1 bis 2 Stunden mit öffentlichen Verkehrsmitteln beinhalten. Es ist aber pures Glück, welchen Zeitslot man zugelost bekommt. Ich weiß, dass die Kapazitäten begrenzt sind und man natürlich nicht PJ-Plätze aus dem Ärmel zaubern kann. Aber eine tägliche Fahrtzeit von drei Stunden bei einem achtstündigen Arbeitstag zumuten, halte ich für grotesk. Insbesondere, wenn nebenbei noch gearbeitet werden muss.
… engagierte PJ-ler. Denn oft bleibt man da, wo man ein erfolgreiches PJ-Tertial absolviert hat. Und je mehr PJ-ler in die Schweiz wechseln, desto schlimmer wird der Ärztemangel in Deutschland. Deshalb wird es Zeit über konkrete Lösungsansätze zu diskutieren. Mehr Geld, bessere Bildung oder ein neues Wahlsystem – wenigstens ein Problem muss sich in Zukunft ändern, um für mich und meine Kommilitonen das PJ in Deutschland weiterhin attraktiv zu halten. Einen Titel gewinnt man so jedenfalls nicht.
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