In den USA grassiert derzeit das Vogelgrippe-Virus in Rinderherden. Auch drei Fälle beim Menschen sind inzwischen bekannt geworden – einer davon ist beunruhigend.
Inzwischen sind über 80 Herden in 10 Bundesstaaten von H5N1-Infektionen betroffen. Nun gibt es erstmals Berichte aus mindestens 5 Bundesstaaten darüber, dass dutzende Milchkühe an den Folgen der Infektion gestorben seien oder geschlachtet werden mussten, weil sie sich von der Erkrankung nicht erholten. Diese Vorfälle könnten die wirtschaftlichen Auswirkungen der Vogelgrippe in der US-Landwirtschaft erheblich verstärken. Mit der Vogelgrippe infizierte Rinder leiden Landwirten und Tierärzten zufolge unter verminderter Milchproduktion, Verdauungsproblemen, Fieber und vermindertem Appetit. Dazu können sekundäre Infektionen aufgrund des geschwächten Immunsystems kommen.
Wissenschaftler arbeiten derweil fieberhaft daran, noch ungelöste Fragen zu beantworten, die dabei helfen sollen, die weitere Ausbreitung einzudämmen. So war bislang etwa nicht klar, wie sich das Virus, genauer gesagt die H5N1-Klade 2.3.4.4b, innerhalb einer Herde ausbreitet – möglich wäre zum Beispiel eine aerogene Ausbreitung, die schwierig in den Griff zu bekommen wäre. Dagegen spricht, dass viele Kühe keine oder nur wenige respiratorische Symptome zeigen und Nasenabstriche oft wenig Virusmaterial aufweisen.
Zwei aktuelle Untersuchungen (hier und hier; bislang als Preprints veröffentlicht) stützen eher eine andere These: Die Wissenschaftler fanden extrem hohe Virustiter in der Rohmilch von infizierten Kühen, was dafür spricht, dass sich das Virus indirekt über die Milch bzw. über die Melkvorrichtungen verbreitet. Eine Melkmaschine wird üblicherweise bei verschiedenen Kühen eingesetzt, was die Ausbreitung extrem erleichtert. Darüberhinaus fanden die Forscher auch in abgestandener Milch infektiöse Viruspartikel.
H5N1 ist ein Subtyp des Influenza-A-Virus, gehört zur Familie der Orthomyxoviridae und hat eine segmentierte RNA-Struktur.
Der Name H5N1 leitet sich von den Oberflächen-Proteinen Hämagglutinin Variante 5 (H5) und Neuraminidase Variante 1 (N1) ab, die entscheidend für die Infektion und Vermehrung des Virus sind.
Hohe Pathogenität: Einige Stämme von H5N1 sind als hochpathogene aviäre Influenza (HPAI) klassifiziert, was bedeutet, dass sie bei Vögeln hohe Sterblichkeitsraten verursachen können. Diese Stämme sind besonders gefährlich für Geflügelbestände.
Übertragung auf Menschen: H5N1 kann selten auch Menschen infizieren, wobei die Infektion häufig durch den direkten Kontakt mit infizierten Tieren erfolgt. Seit 2003 wurden weltweit 891 Fälle von menschlichen H5N1-Infektionen gemeldet, von denen 463 tödlich verliefen.
Geografische Verbreitung: H5N1 ist weltweit verbreitet und wurde in verschiedenen Tierarten, insbesondere in Vögeln, aber auch verschiedenen Säugetieren, in vielen Ländern nachgewiesen.
Die FDA gab bereits eine Empfehlung an Bundesstaaten heraus, die Rohmilch verkaufen und schlägt vor, den Verkauf einzustellen, sollte sich ein hohes lokales Risiko einstellen. Ob sich Menschen über den Verzehr von Rohmilch mit H5N1 infizieren können, gehört zu den noch ungeklärten Fragen. Von pasteurisierter Milch sowie erhitztem Fleisch scheint immerhin keine Gefahr auszugehen – Temperaturen über 70 °C übersteht das Virus nicht.
Bislang war man davon ausgegangen, dass sich Rinder nicht leicht mit dem Vogelgrippevirus anstecken können, da ihnen die entsprechenden Rezeptoren fehlen. In zwei weiteren aktuellen Preprints (hier und hier) konnten Wissenschaftler nun aber zeigen, dass die Milchdrüsenzellen von Kühen Rezeptoren aufweisen, die dem Virus den Zelleintritt ermöglichen und es sich in diesen Zellen hervorragend vermehren kann. Es scheint sich also nicht nur im Respirationstrakt wohlzufühlen.
Aber warum ist das problematisch? Prof. Martin Beer, Leiter des Instituts für Virusdiagnostik vom Friedrich-Loeffler-Institut, erklärt: „Jeder neuer Säugetierwirt kann das Virus dem Menschen ein Stück näherbringen. Wir können nur hoffen, dass das Virus in der Kuh auf das Euter beschränkt bleibt, denn dieser Replikationsort ist zwar erstaunlich, aber die davon abhängige Übertragung ist unter Umständen leichter zu unterbinden. Eine respiratorische Übertragung wäre dagegen sehr problematisch.“
Auch Prof. Martin Schwemmle, Forschungsgruppenleiter am Institut für Virologie vom Universitätsklinikum Freiburg, ist erstaunt, dass H5N1 plötzlich in Milchkühen einen neuen Wirt gefunden hat: „Sehr wenige, erste Analysen zeigen, dass es adaptive Mutationen im viralen HA-Oberflächenprotein, im Matrixprotein und im Nicht-Strukturprotein gibt. Anscheinend benötigt das H5N1-Virus also nicht viele Anpassungen, um sich auch in Milchkühen vermehren zu können.“
Für den Menschen scheint das Infektionsrisiko derweil gering. Von den 3 Infektionsfällen beim Menschen, die bisher in den USA aufgetreten sind, wissen wir am meisten über den texanischen Patienten – Mediziner haben über ihn einen Case Report im New England Journal of Medicine veröffentlicht. Der Mann arbeitete in einem Milchviehbetrieb und litt lediglich an einer durch das Virus verursachten Konjunktivitis. Er erzählte den Behörden, dass er sowohl mit gesunden als auch mit kranken Kühen in engen Kontakt kam und gab an, Handschuhe, aber keinen Atem- oder Augenschutz getragen zu haben. Die Mediziner in dem Fallbericht spekulieren, dass infizierte Milch in die Augen des Arbeiters gelangte und dort zur Infektion führte.
Der zweite Fall verlief ähnlich; ein Farmarbeiter aus Michigan erkrankte lediglich an einer Bindehautentzündung. Bei ihm war im Nasen-Abstrich kein H5N1 detektierbar gewesen, im Abstrich der Augen anschließend schon. Ob er Schutzkleidung trug, ist unklar.
Während die ersten beiden Fälle milde verliefen, zeigen sich Wissenschaftler über einen dritten Infektionsfall besorgter: Der Farmarbeiter – ebenfalls aus Michigan, aber von einem anderen Hof – zeigte respiratorische Symptome, einschließlich Husten. Das könnte Forschern zufolge auf eine mögliche Veränderung der Art und Weise hinweisen, wie das Virus den Menschen befällt. Außerdem kann sich das Virus über Husten besser ausbreiten als über entzündete Augen.
Wie das CDC mitteilt, sei dies in den USA der erste Fall einer H5N1-Infektion mit typischeren Symptomen einer akuten Atemwegserkrankung. Der Mann habe zudem Augenbeschwerden, aber kein Fieber. Er wurde laut CDC mit dem Neuraminidasehemmer Oseltamivir behandelt und isoliere sich zu Hause. Kontakte des Patienten hätten bisher keine Symptome entwickelt und würden weiter überwacht. „Es gibt aktuell keinen Hinweis auf Mensch-zu-Mensch-Übertragung von A(H5N1)-Viren“, betont die Behörde.
Da ein Spillover-Event immer das Risiko weiterer Mutationen trägt, beobachten Forscher solche Vorfälle dennoch ganz genau. Finnland hat derweil die Idee eingebracht, Hochrisikopersonen, also Landwirten oder Tierärzten, schon jetzt eine Impfung gegen H5N1 anzubieten – noch ist H5N1 nicht in europäischen Milchkühen entdeckt worden.
Quellen:
Caserta et al. From birds to mammals: spillover of highly pathogenic avian influenza H5N1 virus to dairy cattle led to efficient intra- and interspecies transmission. bioRxiv, 2024. doi: https://doi.org/10.1101/2024.05.22.595317
Le Sage et al. Influenza H5N1 and H1N1 viruses remain infectious in unpasteurized milk on milking machinery surfaces. medRxiv, 2024. doi: https://doi.org/10.1101/2024.05.22.24307745
Kristensen et al. The avian and human influenza A virus receptors sialic acid (SA)-α2,3 and SA-α2,6 are widely expressed in the bovine mammary gland.bioRxiv, 2024. doi: https://doi.org/10.1101/2024.05.03.592326
Carrasco et al. The mammary glands of cows abundantly display receptors for circulating avian H5 viruses. bioRxiv, 2024. doi: https://doi.org/10.1101/2024.05.24.595667
Uyeki et al. Highly Pathogenic Avian Influenza A(H5N1) Virus Infection in a Dairy Farm Worker. N Engl J Med, 2024. doi: 10.1056/NEJMc2405371
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