„Sie sind ja auch todkrank und brauchen Hilfe”, poltert mir eine Schwester entgegen, als ich mich für ihre Hilfe bedanke. Nie habe ich mich so verloren gefühlt. Kurz danach bekam ich hohes Fieber. Was mir aus meinem Loch half, lest ihr hier.
Kennst du den Satz: „Wer schreibt, der bleibt.”? Ich dachte, ich bleibe in der Krankheit stecken, wenn ich darüber schreibe. Hätte ich das niedergeschrieben, was ich in der Zeit alles aushalten musste, wäre mir das Ausmaß der Bedrohung meines Lebens so klar geworden, dass es mich umgehauen hätte.
„Sie sind ja auch todkrank und brauchen Hilfe”, antwortete mir eine Schwester, als ich mich für ihre Zugewandtheit und Unterstützung bedankte. Nie habe ich mich so hilflos und verloren gefühlt. Es gibt eben Lügen, die man liebt, und Wahrheiten, die man hasst. Kurz danach bekam ich hohes Fieber.
Mir war unterbewusst bewusst, ohne Hoffnung und Humor schaffe ich das alles nicht. Manche Dinge haben eben ihre Zeit. Das Schreiben war da noch nicht dran.
Nach meinem Aufeinandertreffen mit der Dame in der Boutique und dem „Freischreiben” danach, merkte ich sehr schnell, dass es sich gut anfühlt, all das rauszulassen. Die Begegnungen mit verschiedenen Menschen, die ich in meinem alten Leben bestimmt nie getroffen hätte, haben mich so bereichert. Darüber zu erzählen, von diesen wunderbaren Frauen und Männern, den Mitpatienten zu berichten, die mich, jede auf ihre Art so viel gelehrt haben, machte mich glücklich. Meine Texte hierzu gingen fast ins Romanhafte und flossen mir leicht aus den Fingern.
Als Journalistin kam ich nach der Redaktionsbesprechung von meinen Außenterminen in die Redaktion zurück und schrieb tagesaktuell nieder, was ich dort erfahren hatte. Diese Art zu schreiben, ist etwas völlig anderes. Auch als Werbetexterin, die ich über elf Jahre war, hatte ich einen Auftrag zu erfüllen. Ich schrieb immer für andere, für Kunden, die bestimmte Vorstellungen davon hatten, was im Ergebnis herauskommen sollte, um das Produkt leuchten zu lassen, im besten Licht natürlich. Und das Pressetexte dann auch noch mal ganz anders funktionieren, ist auch klar. Kurz gesagt: Mein professionelles Texten hat nichts mit dem Schreiben als Bloggerin und Autorin zu tun.
So viel Persönliches hatte ich noch nie über mich verfasst und schon gar nicht öffentlich gemacht. Das ist eine völlig andere Disziplin, aber eine sehr befriedigende, sinnstiftende, wohltuende und heilende. Geplant hatte ich diese Effekte nicht. Meine Intention war und ist eine andere. Mir geht es darum, Mut zu machen, zu informieren und damit Patienten zu empowern und Stigmata aufzulösen.
Zwei wohltuende – heilende Effekte – des Schreibens über sich selbst: Einerseits kommen die positiven Seiten noch mal besser zum Vorschein, erfahren eine Würdigung. Wie zum Beispiel, die bereits oben erwähnten wundervollen Frauen und Männer, die ich in all den Jahren getroffen habe. (Hier ein paar „Bettgeschichten“ für dich). Die werde ich nie vergessen. Sie haben einen festen Platz in meinem Herzen, in meinen Texten.
Auch die Situationen auf den Klinikfluren, in denen ich auf Ärzte traf, die im Rückblick betrachtet so vieles richtig gemacht haben, die den angemessenen Ton getroffen und auf dramatische Ausschmückungen verzichtet haben, mir umgekehrt Zuversicht vermittelten und mir damit halfen, an mich zu glauben, konnte ich mit dem Schreiben noch mehr feiern.
Und andererseits fand ich Worte für schwere Krisen, lebensbedrohliche Szenen, unangenehme Begegnungen, die das Unfassbare greifbar machten: Von der Seele geschrieben, textlich verpackt vielleicht mit bunten Schleifchen drum und losgelassen.
Beispielsweise mein Beitrag über meine Diagnosestellung und die Zeit danach. Der hat mir die Freiheit gegeben, einfach darauf verweisen zu können, wenn ich gefragt werde, wie das denn alles angefangen hat, mein Krebs entdeckt wurde. So muss ich nicht immer und immer wieder erzählend in diese schmerzhafte Zeit zurück gehen.
Schnell ging es nicht mehr nur um das Vermitteln von Wissen und Praktischem oder das Erzählen von anekdotischen Geschichten, sondern darum, Ärzten zu zeigen, wie wir als Patienten so ticken. Den oft beschworenen Perspektivwechsel zu pushen.
Das hat sechs Wochen nachdem ich mit meinem Zellenkarussell online gegangen bin auch DocCheck mitbekommen und mich gleich als Bloggerin für diesen Kanal angefragt. Das Besondere hier ist, dass ich Kommentare ausschließlich aus der medizinisch-pflegenden Branche erhalte, die natürlich eine ganz andere Sichtweise als wir Patienten haben.
Am schönsten sind für mich dann die Momente, in denen mir Ärzte oder pflegende Menschen schreiben, dass sie es gut fanden, wie ich die Themen um die Krebserkrankung angehe, die gesundheitspolitische Situation bewerte, sie mir sagen, dass sie von bestimmten Gefühlen, Gegebenheiten gar nichts wussten oder sie mir erzählen, dass sie selbst erkrankt oder Angehörige sind und ähnliche Erfahrungen gemacht haben.
Auch ich bekomme damit Einblicke in deren Arbeit, die ich vorher nicht so gesehen, falsch interpretiert oder gar nicht verstanden habe. Eine klassische Win-Win-Situation.
Meine Art zu schreiben hat sich natürlich über die Jahre entwickelt, auch das stelle ich fest. Inzwischen habe ich den professionellen Abstand zu manchen Themen wiedergefunden, der es mir ermöglicht empathisch-humorvoll, aber mit einer Prise gut recherchierter Sachlichkeit über Situationen wie zum Beispiel das Warten im Wartezimmer zu schreiben.
Diese Mischung macht mir besonders viel Spaß und hat sich auch ein wenig zu meinem Markenzeichen entwickelt.
Jetzt ist es so: Wenn mir die Worte fehlen, schreib ich sie auf und dann passiert die Magie. Es schreibt mich. Ideen und Strukturen fliegen mir zu. Vielleicht versuchst du es auch einmal.
Wie meine Reise mit dem Schreiben über Krebs anfing, könnt ihr hier im ersten Teil lesen.
Mehr von der Autorin gibt es hier: Das Zellenkarussell.
Bildquelle: Hannah Olinger, Unsplash