Mit 50 Jahren ist das Analgetikum Ibuprofen ein „Best Ager“. Jetzt wird die Substanz durch die EMEA auf Herz und Nieren geprüft. Besser gesagt, auf die unerwünschten Wirkungen, die es dort auslösen kann. Das kann einem den schönsten Geburtstag vermiesen.
1965 entwickelte Boots Ltd. den Wirkstoff Ibuprofen. Das Mittel war zunächst rezeptpflichtig. 1968 wurde es in Großbritannien zur Rheumatherapie zugelassen. 1983 entließ man Ibuprofen in England aus der Verschreibungspflicht. Die Einzeldosis lag bei 200 mg, die Tageshöchstdosis bei 1200 mg. Seit 1989 ist Ibuprofen in einer Konzentration bis zu 400 mg auch in Deutschland ohne Rezept erhältlich.
Ibuprofen ist ein Racemat, analgetisch aktiv ist überwiegend das S(+)-Ibuprofen. Die Bioverfügbarkeit liegt bei nahezu 100 Prozent. Etwa 1 bis 2 Stunden nach Einnahme von 400 mg Ibuprofen wird eine maximale Plasmakonzentration erreicht. Das Lysinat des Ibuprofens erreicht die maximale Plasmakonzentration schon nach etwa 30 Minuten. Nahrungsaufnahme verzögert die Resorption von Ibuprofen, es sollte deshalb immer auf nüchternen Magen eingenommen werden. Ibuprofen hemmt die Cyclooxygenase reversibel und kompetitiv. Es konkurriert mit der Arachidonsäure um die Bindung am aktiven Zentrum des Enzyms. Die Hemmung der Cyclooxygenase verhindert die Prostaglandinsynthese und dadurch eine Sensibilisierung der Nozizeptoren durch Prostaglandin E2 oder I2. Ibuprofen wirkt analgetisch, antipyretisch und entzündungshemmend. Neue Untersuchungen sprechen dafür, dass Ibuprofen auch an Cannabinoidrezeptoren andockt. Ibuprofen wirkt vergleichsweise stärker analgetisch als Acetylsalicylsäure oder Paracetamol.
Obwohl die Hälfte von Ibuprofen bereits nach ein bis zwei Stunden abgebaut ist, wirkt es dennoch länger. Der Grund ist die Anreicherung im entzündeten Gewebe oder Gelenken. Von Vorteil ist auch, dass Ibuprofen die Blutgerinnung im Gegensatz zu Acetylsalicylsäure nahezu nicht beeinflusst, vergleichsweise besser magenverträglich ist und auch für Kinder zugelassen ist. Die niedrige Dosierung gestattet eine Regeneration der Cyclooxygenasen, was die Verträglichkeit verbessert. So kann sich beispielsweise die Magenschleimhaut wieder regenerieren. Metaanalysen zeigen, dass das Risiko gastrointestinaler Störungen bei Indometacin doppelt und bei Piroxicam etwa vierfach höher liegt als bei Gabe von Ibuprofen. In einer multizentrischen, randomisierten doppelblinden Studie von Hawkey (PAIN-Study) wurde die Verträglichkeit von Paracetamol, Aspirin und Ibuprofen an 8.233 Patienten bei der Behandlung üblicher Schmerzzustände in der Selbstmedikation untersucht. Risikopatienten waren ausgeschlossen. Ibuprofen zeigte eine ebenso gute Verträglichkeit wie Paracetamol. Beide waren signifikant besser verträglich als ASS.
Vor zwei Jahren hätte dieser Beitrag jetzt mit einem positiven Resümee geendet. Im Juni diesen Jahres gab die EMEA bekannt, dass sie Ibu genau prüfen will. Das Pharmakovigilanz-Komitee der EMA (PRAC) hat mit einem Review über Ibuprofen begonnen, um dessen kardiovaskuläre Risiken bei oralen Darreichungsformen abzuschätzen. Dabei soll gezielt das Risikopotenzial von Hochdosen im Bereich von 2400 mg/Tag untersucht werden, die regelmäßig und über eine längere Therapiedauer eingenommen werden. Die Review von Ibuprofen wurde auf Antrag der britischen Arzneimittel-Agentur MHRA am 9. Juni 2014 eingeleitet. Die EMEA beobachtet seit mehreren Jahren das kardiale Risiko aller NSAR, besonders von Diclofenac. Die Meta-Analyse der Clinical Trial Service Unit der Universität Oxford hat im Jahr 2013 für Aufsehen gesorgt. 639 randomisierte klinische Studien mit über 350.000 Patienten wurden ausgewertet. Coxibe, Diclofenac, aber auch Ibuprofen, erhöhen das Risiko von kardiovaskulären Ereignissen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall. Lediglich für Naproxen wurden diese Risiken nicht dokumentiert. Die PRAC hat rasch reagiert und die Anwendung von Diclofenac eingeschränkt. Das Pharmakon darf seither nicht mehr bei Patienten mit manifester Herzinsuffizienz ab NYHA-Klasse II eingesetzt werden. Droht Ibuprofen jetzt das gleiche Schicksal? Dr. Phil Berry, medizinischer Direktor vom Originalhersteller Reckitt Benckiser Healthcare International, sah das kardiale Risiko vor fünf Jahren noch gelassen. Er ist der Auffassung, dass Ibuprofen in einer nicht rezeptpflichtigen Dosierung nicht mit einem erhöhten Risiko für einen Herzanfall verbunden ist. Genau genommen hat diese Meinung auch heute noch Gültigkeit. Die Dosierung im Rahmen der Selbstmedikation liegt bei 400 mg, maximal 3 mal täglich. In einer Studie von Ngo et al. gaben 65 Prozent von den 183 befragten Probanden an, die Ibuprofen im Rahmen der Selbstmedikation erworben haben, weder Arzt noch Apotheker um Rat gefragt zu haben. 66 Prozent haben nie den Beipackzettel gelesen.
Ein Casereport von Ng et al. aus dem Jahr 2011, publiziert in The Medical Journal of Australia, hat die unerwünschten Wirkungen von Ibuprofen auf Elektrolyte und die Nierenfunktion untersucht. In Australien sind vier Fälle bekannt geworden, bei denen die Einnahme von Ibuprofen zu einer Hypokaliämie mit lebensbedrohlichen Folgen geführt hat. Die Patienten nahmen Ibuprofen in einer Dosis von 8 bis 50 (!) Tabletten täglich ein. Dosisunabhängig löste Ibuprofen in zwei Fällen Herz-Rhythmus-Störungen, Lähmungserscheinungen, Muskelschwäche und Krämpfe aus, typisch für Hypokaliämie. Alle Patienten litten nach der Einnahme unter einer Renal-tubulären Azidose (RTA). Diese ist u.a. durch eine erhöhte Kaliumausscheidung charakterisiert. Einer der Patienten hat die empfohlene Tageshöchstmenge nicht überschritten. Die Anzahl der Patienten war sehr klein, dennoch kann das Ergebnis als Risikosignal gewertet werden, dessen Relevanz in größern Studien abgeklärt werden sollte.
Entzündungshemmer können die Wirkung verschiedener Antihypertensiva reduzieren oder aufheben. In einer bereits 1987 durchgeführten Doppelblindstudie von Radack et al. erhielten 45 Patienten zu ihrer üblichen antihypertensiven Medikation während drei Wochen zusätzlich 3 x 400 mg/Tag Ibuprofen, 3 x 1000 mg/Tag Paracetamol oder Placebo. Nur in der Ibuprofen-Gruppe stieg der Blutdruck um etwa 6 mm an. Trotz der Risikosignale bleibt Ibuprofen, gerade im Vergleich zu Diclofenac und Paracetamol, ein verträgliches Analgetikum. Die kardialen Risiken treten erst in Dosierungen um 2400 mg auf. Größere Studien müssen zeigen, wie relevant das Risiko ist und ob ein Umdenken in der Praxis erfolgen muss.