KOMMENTAR | Als Pferdetierarzt muss man sich mit immer mehr Bürokratie herumschlagen. Ein Highlight ist die Mikrochip-Kennzeichnung von Pferden. Was mich daran regelmäßig in den Wahnsinn treibt, lest ihr hier.
Letzte Woche ging es um Ludwig, das Reitpferd, das kein Schlachtpferd mehr sein sollte (hier reinlesen). So einfach und unspektakulär, wie sich das Problem mit Ludwigs Besitzerin in Luft aufgelöst hat, ist es aber wahrlich nicht immer mit der Durchführungsverordnung (EU) 2021/963. Denn sie beinhaltet noch ganz andere Fallstricke, an denen man sich vortrefflich als Pferdetierarzt aufreiben kann.
Die Behandlung von (neugeborenen) Fohlen ohne Equidenpass etwa stellt einen solchen dar. Fohlen, die bislang keinen Equidenpass haben und mit einem Medikament behandelt werden müssen, das den Schlachtstatus für sechs Monate oder ganz ausschließt (Positivliste gem. EU 122/2013), müssen vor der Behandlung vom Tierarzt identifiziert und mit einem Transponder versehen werden. Der Besitzer erhält hiernach das Identifizierungsdokument, um es innerhalb von sieben (!) Tagen an die zuständige Stelle zu verschicken.
Soweit schön und gut, wenn es sich hierbei um einen Zuchtverband handelt, der die gängigen, von der FN (Deutsche Reiterliche Vereinigung) anerkannten und vor dem Tierarzneimittelgesetz zugelassenen Mikrochips zum Implantieren erlaubt. Diese Transponder sind so codiert, dass sie mit den ersten fünf Ziffern nicht nur das Herkunftsland (276 für Deutschland) sondern auch die Tierart Pferd (02) eindeutig identifizieren. Spannend wird es jedoch, wenn ein Landeszuchtverband eigene Wege geht und nur seine eigenen Zahlencodes nach den ersten fünf Ziffern zulässt (der Landesverband Bayerischer Pferdezüchter etwa ist hierfür ein Beispiel). Beim Setzen der „falschen“, von der FN zugelassenen Chips kann es hinterher bei der Meldung in der HIT-Datenbank eine böse Überraschung geben und eine digitale Meldung schlichtweg unmöglich machen.
Will der Tierarzt den nachfolgenden kräftezehrenden Papierkrieg umgehen, sieht er sich unweigerlich den Forderungen (oder harmloser: Empfehlungen) ausgesetzt, er möge doch am besten in jedem (!) Praxiswagen mindestens einen Transponder und ein Identifizierungsformular des zuständigen Zuchtverbandes vorrätig halten.
Ja, geht’s denn noch?! Ich habe mir den Spaß erlaubt und bin auf einen Handwerker, genauer – meinen Sanitärfachbetrieb – mit der Bitte herangetreten, man möge ein leckendes Abwasserrohr austauschen. Ich forderte dabei aber das Rohr eines ganz speziellen Herstellers. Ich könne doch schließlich erwarten, dass man entsprechend verschiedene Rohre vorrätig halte, damit bei mir genau eben jenes gewünschte Abflussrohr wieder eingesetzt werden kann. Also bitte kein anderes – auch wenn dieses den Zweck genauso zuverlässig erfüllen würde. Der Zuständige in meinem Sanitärfachbetrieb hat daraufhin schallend gelacht. Zugegeben: Ich hatte mit keiner anderen Reaktion gerechnet.
Warum also bitte soll ich in meinem Praxiswagen (und ich habe Gott sei Dank nur einen!) etwa 15 verschiedene Mikrochips auf eigene Kosten für jeweils ein Jahr vorrätig halten?
Der Fisch stinkt auch hier mal wieder vom Kopf her. Denn, wir haben es mit einem Softwareproblem zu tun. Die HIT-Datenbank erkennt nicht an, dass der FN-Chip laut EU-Recht auch für das Bayerische Warmblut zulässig ist – also soll ich (die Gräte) sich beugen (oder besser verbiegen?) und es dem Kopfe recht machen. Ich denke aber gar nicht daran! Strenggenommen ist es Sache der Deutschen Reiterlichen Vereinigung, dieses Problem zu regeln. Sie ist der Dachverband, der es nicht versteht, seine Mäuse (etwa den Landeszuchtverband Bayerischer Pferdezüchter) unter dem Tisch zu halten, wenn die Katze (also die FN) nur weit genug vom Hause (Warendorf) entfernt ist.
Oder vielleicht fängt man einfach auch mal damit an, die Software der HIT-Datenbank entsprechend zu ergänzen, um hinterher bei der Meldung kein blaues Wunder zu erleben?
Ich kenne Kollegen, die die Therapie von jungen Fohlen ablehnen und sie nebst ihren Müttern gleich weiter in eine Klinik schicken, wo verschiedene Mikrochips vorrätig gehalten werden. Die Behandlung erfolgt dann zwar gesetzeskonform aber zulasten des Tierschutzes. Ob das mal so von der EU so angedacht war? Mit Sicherheit nicht!
Es stünde kleinen deutschen Interessensverbänden genauso wie großen Datenbankbetreibern also gut zu Gesicht, sich wieder mehr an den Belangen des Tierwohls zu orientieren und noch dazu der Berufsgruppe, die von Gesetzeswegen her genau dafür eingesetzt wird, wieder mit mehr Respekt zu begegnen, anstatt an sie aufgrund ihrer eigenen Eitelkeiten völlig überzogene Erwartungen zu richten.
Quellen und Gesetze
Verordnung (EU) Nr. 122/2013 der Kommission vom 12. Februar 2013 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1950/2006 zur Erstellung eines Verzeichnisses von für die Behandlung von Equiden wesentlichen Stoffen gemäß der Richtlinie 2001/82/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Tierarzneimittel. Zuletzt aufgerufen am: 19.05.2024
Gesellschaft für Pferdemedizin: EU-Regelung zur Kennzeichnung und Identifizierung von Equiden – Pferde können nur nach tierärztlicher Behandlung Schlachtstatus verlieren. 26. Februar 2024. Zuletzt aufgerufen am: 19.05.2024
Bildquelle: erstellt mit Midjourney