Selten liegen Freud und Leid so nahe beieinander wie bei einer Krebserkrankung in der Schwangerschaft. Frauen, die BRCA1/2 positiv sind, fürchten um die Gesundheit ihres Kindes. Ein ethisches Dilemma für den Arzt.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Etwa 5 % aller Mammakarzinome werden bei Frauen unter 40 Jahren diagnostiziert. Etwa 12 % der Tumore werden hier durch Mutationen im BRCA1- oder im BRCA2-Gen ausgelöst. Mutationsträgerinnen haben ein erhöhtes Risiko für ein Karzinom der Ovarien und der kontralateralen Brust.
Frauen mit einer BRCA1-Mutation erkranken bis zu ihrem 80. Lebensjahr in 72 % der Fälle an einem Mammakarzinom. Bei einer BRCA2-Mutation liegt die Rate bei 69 %. Das höhere Lebenszeitrisiko bei einer BRCA1-Mutation beruht darauf, dass die genetische Disposition um etwa zehn Jahre früher zur Erkrankung führt. Die Inzidenz steigt bis zu einem Lebensalter von 30 bis 40 Jahren an. Danach sistiert sie auf einem hohen Niveau von 20 bis 30 Neuerkrankungen auf 1.000 Personen pro Jahr. Bei Frauen mit BRCA2-Mutationen wird die höchste Inzidenz im Lebensalter zwischen 40 bis 50 Jahren erreicht. Danach ist die Rate an Neuerkrankungen wie bei Frauen mit einer BRCA1-Mutation.
Patientinnen mit einer BRCA1-Mutation, die bereits an einem Mammakarzinom erkrankt sind, haben ein Risiko von 40 % in den nächsten 20 Jahren ein kontralaterales Mammakarzinom zu entwickeln. Bei einer BRCA2-Mutation beträgt das kumulative Risiko für die kontralaterale Brust 26 %. Die Wahrscheinlichkeit für ein Ovarialkarzinom wird für BRCA1-Trägerinnen mit 44 % und mit 17 % bei einer BRCA2- Mutation angegeben. Entscheidend ist auch die Familienanamnese. Wenn bereits zwei Verwandte ersten und zweiten Grades an einem Mammakarzinom erkrankt sind, ist das Risko für Frauen mit einer BRCA1/2-Mutationen etwa doppelt so hoch wie ohne familiäre Disposition.
Eine internationale Multicenter-Studie unter Matteo Lambertini von der Universität Genua, kam zu folgendem Ergebnis: Zwischen 2000 und 2020 wurde bei 4.732 Frauen mit einer BRCA1- oder BRCA2-Mutation vor dem 40. Lebensjahr ein invasives Mammakarzinom diagnostiziert. Davon wurden 659 Frauen (13,9 %) mindestens einmal schwanger, 79 % auf natürlichem Weg. Zwischen Krebsdiagnose und Schwangerschaftseintritt lagen im Median 3,5 Jahre. Angeborene Fehlbildungen traten bei vier Kindern auf (0,9 %), ein Wert, der auch bei Frauen dieses Alters ohne Brustkrebsanamnese zu erwarten ist.
Postpartal wurden die Frauen acht Jahre nachbeobachtet. In dieser Periode gab es beim krankheitsfreien Überleben der BRCA1-Trägerinnen keinen Unterschied zu den Frauen, die nicht schwanger waren. Bei den BRCA2-Trägerinnen war das Risiko für eine Verkürzung des krankheitsfreien Überlebens nach einer Schwangerschaft signifikant erhöht. „Die Ergebnisse sind beruhigend für BRCA1-Trägerinnen, während bei der Beratung von BRCA2-Trägerinnen etwas mehr Vorsicht geboten ist“, so Lambertini.
Eine BRCA1/2-Mutation wird autosomal dominant vererbt. Die Wahrscheinlichkeit ebenfalls Genträger zu sein, beträgt für alle Söhne und Töchter einer betroffenen Frau damit 50 %. Möchte das Elternpaar wissen, ob ihr Kind ebenfalls betroffen ist, stellt sich die Frage der Präimplantationsdiagnostik (PID), vorausgesetzt die Schwangerschaft entsteht mittels assistierter Reproduktionstechnik (ART). Für spontan eingetretene Schwangerschaften finden sich in der Literatur derzeit keine Diagnosemöglichkeiten.
Der erste Schritt für die betroffene Familie ist eine humangenetische Beratung mit Evaluation, ob es sich um eine Indikation für eine PID handelt. Eine psychosoziale Beratung durch einen Arzt, der nicht in die Durchführung der PID involviert ist, wird für das weitere Verfahren vorausgesetzt. Zudem ist eine reproduktionsmedizinische Anbindung nötig, da eine PID nur nach In-vitro-Fertilisation möglich ist. Entscheiden sich zwei Drittel der Ethikkommissionsmitglieder für den Antrag, ist eine PID möglich.
Indikationen für eine PID können monogene Erkrankungen wie Osteogenesis imperfecta, Chorea Huntington oder Mukoviszidose sein. Strukturelle Chromosomenveränderungen, etwa eine Robertson-Translokation, werden ebenfalls als Grund für eine PID gesehen.
In Österreich und der Schweiz ist die PID, ähnlich wie in Deutschland, bei krankheitsbezogenen Indikationen eingeschränkt möglich, wobei in der Schweiz nur schwere Erkrankungen zulässig sind, wenn diese wahrscheinlich vor dem 50. Lebensjahr auftreten. In den Niederlanden ist mittlerweile der häufigste Grund für eine PID eine genetische Disposition für Mamma- und Ovarialkarzinom.
Ist es ethisch vertretbar, an einem Embryo einen Gentest durchzuführen – sozusagen eine vorgeschaltete Pränataldiagnostik zu betreiben – und ihn bei positivem Befund zu verwerfen? Wer darf darüber entscheiden, mit welcher Erkrankung ein Leben lebenswert ist, und dürfen Eltern dies für ihr Kind tun?
Kurze Zusammenfassung für Eilige:
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