GLP-1-Rezeptor-Agonisten könnten sich zur Behandlung männlicher Infertilität eignen. Aber handelt es sich wirklich um einen spezifischen Effekt jenseits der Adipositas-Therapie?
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
GLP-1-Rezeptor-Agonisten befinden sich einmal mehr auf dem Sprung zu neuen Indikationen. Neben dem bekannten Einsatz bei Typ-2-Diabetes und bei Adipositas gibt es Hinweise auf protektive Effekte für Herz , Leber und Nieren. Doch damit nicht genug: Auch gegen männliche Unfruchtbarkeit könnten sich die Wirkstoffe eignen, wie eine Review zeigt.
Ein großer Markt wäre jedenfalls da, wie Zahlen belegen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat 133 Studien zur Häufigkeit von Infertilität ausgewertet. Dabei fanden Experten eine Lebenszeit-Prävalenz von 20 % für Nordamerika, 16,5 % für Europa und 13 % für Afrika. Die Zahlen gelten für beide Geschlechter.
Speziell für Deutschland kommt eine Untersuchung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Ergebnis, dass etwa jede zehnte Frau und jeder zehnte Mann ungewollt kinderlos bleiben. Bei etwa 30 % der betroffenen Paare finden Ärzte eindeutig Ursachen bei der Frau – und bei weiteren 30 % liegen die Gründe klar beim Mann. In etwa 20 % der Fälle gibt es Auffälligkeiten bei beiden Partnern. Die verbleibenden 20 % lassen sich nicht zweifelsfrei zuordnen.
Die Ursachen männlicher Unfruchtbarkeit sind vielfältig. Sie reichen von einer verminderten Spermienqualität bzw. einer zu niedrigen Spermienproduktion über blockierte Samenleiter oder Nebenhodengänge, Krebs, hormonelle Störungen, genetischen Anomalien oder Immunreaktionen bis hin zum Lebensstil: Alkohol, Nikotin, Drogen und Übergewicht bzw. Adipositas stehen mit Infertilität in Verbindung.
Der springende Punkt: Adipositas wird sprichwörtlich zum immer gewichtigeren Problem. In Deutschland sind 67 % der Männer und 53 % der Frauen übergewichtig bei einem BMI von mindestens 25 kg/m2. Und 23 % der Männer bzw. 24 % der Frauen haben sogar einen BMI von mindestens 30 kg/m2) – Tendenz steigend.
Was liegt damit näher als GLP-1-Rezeptor-Agonisten bei Männern mit Infertilität einzusetzen? Für mehr Wissen sorgt eine Übersichtsarbeit. So scheinen die Wirkstoffe bei adipösen Männern den Spermienstoffwechsel, die Beweglichkeit und die Insulinsekretion in vitro zu verbessern, zusammen mit positiven Auswirkungen auf Sertoli-Zellen, den Stützzellen der Hodenkanälchen.
Ein Blick auf Effekte bei Übergewicht: Laut einer Metaanalyse von 21 Studien mit 13.077 Männern ergab sich ein J-förmiger Zusammenhang zwischen den BMI-Kategorien und dem Risiko für Oligozoospermie oder Azoospermie. Im Vergleich zu normalgewichtigen Männern betrug die Odds Ratio für Oligozoospermie oder Azoospermie 1,15 für Untergewicht, 1,11 für Übergewicht, 1,28 für Adipositas und 2,04 für sehr ausgeprägte Adipositas.
Obwohl die genauen Mechanismen noch nicht ganz geklärt sind, scheinen GLP-1-Rezeptor-Agonisten an der Glukosehomöostase und am Energiestoffwechsel beteiligt zu sein, zwei zentrale Vorgänge der Spermatogenese. „Die aktuelle Literatur deutet darauf hin, dass GLP-1RA ein vielversprechender therapeutischer Ansatz zur Verbesserung der Spermienparameter bei adipösen Männern sind“, schreiben die Autoren des Reviews. Dennoch bleibt als Frage: Haben solche Wirkstoffe Effekte jenseits der Senkung des BMI?
Die Spur führt zum Hypogonadismus, einem Krankheitsbild mit Testosteron-Defizit und/oder einem Defizit in der Spermienproduktion. Ziel einer weiteren Studie war, prospektiv die Auswirkung von Liraglutid auf die reproduktive und sexuelle Funktion bei Männern mit metabolischem Hypogonadismus im zeugungsfähigen Alter zu bewerten.
Die Forscher haben 110 Männer zwischen 18 und 35 Jahren mit metabolischem Hypogonadismus in die Studie aufgenommen. Ihr BMI lag zwischen 30 und 40; alle Probanden litten an schwerer erektiler Dysfunktion. Sie wurden in drei Gruppen eingeteilt:
Teilnehmer der Gruppe A wurden mit Gonadotropinen (Urofollitropin zu 150 IE, dreimal wöchentlich und humanes Choriongonadotropin zu 2.000 IE, zweimal wöchentlich), Teilnehmer der Gruppe B mit Liraglutid (3 mg täglich) und Teilnehmer der Gruppe C mit transdermalem Testosteron (60 mg täglich) behandelt, jeweils für vier Monate.
In der Gruppe B unter Liraglutid fanden Wissenschaftler eine signifikante Verbesserung der Spermienparameter im Vergleich zum Ausgangswert und im Vergleich zur Gruppe A. Auch die erektile Dysfunktion in Gruppe B verbesserte sich im Vergleich zum Ausgangswert und zu Patienten der Gruppen A und C.
Außerdem hatten Personen in Gruppe B signifikant höhere Gesamttestosteron-Werte und Werte des Sexualhormon-bindendem Globulins im Plasma als Patienten der anderen beiden Gruppen. Auch der Gonadotropin-Serumspiegel war signifikant höher. „Die Ergebnisse dieser Studie zeigen zum ersten Mal die Wirksamkeit von Liraglutid […] zur pharmakologischen Behandlung von Männern mit metabolischem Hypogonadismus“, kommentieren die Autoren.
Doch bei aller Euphorie hinsichtlich der GLP-1-Rezeptor-Agonisten bleibt eine Frage offen: Haben die Wirkstoffe eventuell negative Effekte auf die Spermien und damit auf den Embryo? Epigenetische Veränderungen lassen sich derzeit nicht ausschließen, weil sowohl Patientinnen als auch Patienten in Zulassungsstudien meist verhüten mussten. Ideal wäre ein Register mit Männern, die das Medikament einnehmen und Kinder zeugen.
Kurze Zusammenfassung für Eilige:
Das Fett und die Fruchtbarkeit: GLP-1-Rezeptor-Agonisten könnten auch gegen männliche Unfruchtbarkeit wirksam sein. Studien deuten auf positive Effekte auf Spermienstoffwechsel, Beweglichkeit und Insulinsekretion hin, insbesondere bei adipösen Männern.
Positive Effekte der Spritze: Eine Metaanalyse zeigte, dass das Risiko für Oligozoospermie oder Azoospermie bei adipösen Männern deutlich erhöht ist. GLP-1-Rezeptor-Agonisten könnten durch ihre Wirkung auf Glukosehomöostase und Energiestoffwechsel die Spermatogenese verbessern.
Noch offene Fragen: Eine Studie mit Liraglutid bei Männern mit metabolischem Hypogonadismus zeigte signifikante Verbesserungen der Spermienparameter und der erektilen Funktion. Dennoch bleiben Fragen zu möglichen negativen Effekten auf die Spermien und den Embryo offen, und weitere Forschung ist erforderlich, bevor allgemeine Verordnungen empfohlen werden können.
Bildquelle: mit Midjourney erstellt