Rotes Fleisch lässt das Darmkrebs-Risiko in die Höhe schnellen – ist klar, oder? Ganz so einfach ist die Sache nicht, wie eine großangelegte Meta-Analyse zeigt. Trotzdem liefert sie einige konkrete Ernährungs-Empfehlungen.
Für Eilige gibt’s die Empfehlungen am Ende des Artikels zusammengefasst.
Aktuell versterben jährlich etwa 10 Millionen Menschen weltweit an Krebs. Im gleichen Zeitraum erkrankt die doppelte Anzahl neu – mit steigender Tendenz. Analysten (z. B. hier) beziffern den Anteil lebensstilbedingter Krebserkrankungen auf über 40 %. Krebsbedingte Todesfälle wären sogar fast zur Hälfte vermeidbar, wenn im Vorleben auf manches verzichtet und anderes verstärkt konsumiert und praktiziert würde. Dass ernährungsabhängige Genregulationsprozesse eine markante Rolle bei der Erhöhung ernährungsbedingter kolorektaler Tumorrisiken spielen, hat eine gerade erst publizierte genomweite Assoziationsstudie unter der Ägide der International Agency for Research on Cancer (IARC/WHO) vor Augen geführt.
Die Arbeit mit Daten von fast einer halben Millionen Personen aus der UK-Biobank beleuchtet, dass besonders jene Adipositas-Subtypen, die erhöhte Darmkrebsinzidenzen aufweisen, komplexe Erhöhungen spezieller Genaktivierungen in verschiedene Gewebetypen aufweisen. So wurde bei Menschen mit generalisierter Adipositas in verschiedenen Gehirnregionen einschließlich Hypophyse eine verstärkte Expression von Genen identifiziert, die mit der Darmkrebsentwicklung assoziiert werden. Dagegen waren beim typischen Apfel-Fettverteilungstyp („Kugelbauch“) besondere Genvarianten im Mesenchym, in Blutgefäßen und Brust hochreguliert. Offensichtlich können Adipositas-getriggerte Kolorektalkarzinogenesen über verschiedene Signalwege verlaufen.
So sehr genannte Studie die von dauerhaft hyperkalorischer Ernährung ausgehenden Risiken bestätigt, so wenig sagt sie über die Wirkung einzelner Nahrungsmittel und Nährstoffe aus. So klar wie beim Rauchen – sowohl hinsichtlich der kausal kanzerogenen Wirkung als auch bezüglich der Strategie (Totalverzicht) – ist die Situation bei der Ernährung nicht. Nichts-Essen ist keine mit dem Leben vereinbare Option und hinsichtlich potentiell kanzerogener Wirkungen von Nahrungsinhaltsstoffen spielt die Dosis oft eine maßgebende Rolle. Überwachte Interventionsstudien über lange Zeiträume sind kaum durchführbar und entsprechend rar.
Retrospektive Befragungsstudien mit entsprechend hohen „Beschönigungsbias“ hinsichtlich des Ernährungsverhaltens dominieren. Der Mammutaufgabe, aus Tausenden Studien zum Thema „Krebs und Ernährung“, eine Essenz belastbarer Daten über kausale Zusammenhänge herauszufiltern, hat sich eine multizentrische, europäisch-US-amerikanische Forschungskooperation gestellt. Für ihren Umbrella Review durchforsteten die Teams um Studienleiter Nikos Papadimitriou von der Medizinischen Hochschule der Universität Ioannina (GR) 860 in den WCRF Third Expert Report eingeflossene Metaanalysen, um die Stärke der Evidenz potenziell kausaler Zusammenhänge zwischen definierten Nahrungsmitteln/Nährstoffen und der Entwicklung verschiedener Krebsarten zu ermitteln.
Ziel der Umbrella-Analysten war es, die Belastbarkeit der bis dato (2021) vorliegenden metaanalytischen Belege für mögliche kausale Zusammenhänge zwischen einer Vielzahl konkreter Nahrungsmittel und der Förderung bzw. Prävention von 11 verschiedenen Krebsarten systematisch zu bewerten. Unter den 860 geprüften Metaanalysen waren kolorektale Krebsarten am häufigsten repräsentiert (221), wohingegen Tumore von Haut und Gallenblase nur in 18 bzw. 2 Arbeiten im Fokus standen. Die Zahl der in die verschiedenen Metanalysen eingeflossenen Einzelstudien lag zwischen 2 und 33. Durchschnittlich wurden pro Metaanalyse zwischen 388 (Gallenblase) und 4.526 (Brust) Krebsfälle registriert.
Kolorektal
Brust
Lunge
144
Magen
122
Speiseröhre
48
Harnblase
43
Niere
41
Kopf/Hals
38
Leber
20
Haut
18
Unter den untersuchten Lebensmitteln dominierten Obst und Gemüse (184 Metaanalysen) vor Alkohol (141) Fleisch/Eiern (118) und Getränken (70) den Studienpool.
Das Problem der meist vagen Aussagekraft von Ernährungsstudien spiegelt sich in der Zahl von nur 10 Metaanalysen wider, für die eine statistisch starke Evidenz zwischen Krebsart und Lebensmittel/Nährstoff ermittelt wurde. Das sind gerade einmal 1,2 % der in den Umbrella Review eingeflossenen Arbeiten.
Eruiert wurden derart hoch signifikante Evidenzen für Zusammenhänge von kolorektalen und Brusttumoren mit vier Nahrungsmitteln/Nährstoffen:
Alkohol: Der Konsum von Alkohol ist pro 10 g täglichem Konsum (entspricht etwa 250 ml Bier mit 5 Vol. % oder 100 ml Wein mit 13 Vol. %) mit einer Steigerung des Relativen Risikos (RR) um 7 % (RR 1,07; 95 % Konfidenzintervall (KI) 1,05–1,08) für die Entwicklung einer kolorektalen Karzinoms (CRC) assoziiert. Identische Risikosteigerungen wurden für den Bierkonsum für die CR-Karzinogenese sowie für Gesamtalkohol und die Entwicklung eines Kolon-CA belegt.
Auch für die Brustkrebsentwicklung postmenopausaler Frauen wurde auf hohem Signifikanzniveau eine Risikosteigerung durch Alkoholkonsum ermittelt. Pro 10 g täglich konsumiertem Alkohol (gleich welcher Herkunft) erhöhte sich das relative Brustkrebsrisiko um 12 % (RR 1,12; 95 % KI 1,09–1,15). Für Wein im Besonderen war die Positivassoziation zur Brustkrebsentwicklung annähernd genauso groß. Sie gilt auch für Frauen, die eine menopausale Hormontherapie praktizieren.
Milchprodukte und Milch: Der tägliche Verzehr von 400 g Milchprodukten ist mit einer 13 %igen Minimierung des Relativen CRC-Risikos (RR 0,87; 95 % KI 0,83–0,90) verbunden. 200 g Milch pro Tag minderten das kolorektale Krebsrisiko um 6 % (RR 0,94; 95 % KI 0,92–0,96).
Kalzium: Die maßgeblich von der Milch(produkt)aufnahme bestimmte Kalziumzufuhr ergab für die höchsten im Vergleich zur niedrigsten Aufnahme eine Minimierung des relativen CRC-Risikos um 17 % (RR 0,83; 95 % KI 0,79–0,87)
Vollkorn: Pro 90 g pro Tag verzehrten VK-Produkten sank das statistische CRC-Risiko um 16 % (RR 0,84; KI 0,78–0,90).
13 der 860 ausgewerteten Metaanalysen ergaben Krebs-Nahrungs-Assoziationen auf schwächerem Evidenzniveau („highly suggestive evidence“). Neun dieser Arbeiten bezogen sich wiederum auf Alkohol, dessen Konsum hier positiv mit verschiedenen Brustkrebs-Subtypen, CRC, Ösophaguskrebs bei Männern (RR pro 10g/Tag 1,33; 95 % KI 1,22–1,46), Oralkrebs (RR 1,15; 95 % KI, 1,09–1,22) sowie Tumoren der oberen Atemwege (RR 1,18; 95 % KI, 1,11–1,26) korreliert war. Überdies stieg die Leberkrebs-Mortalität um 2 % (RR 1,02; 95 % KI 1,01–1,03).
Für Kaffee ergaben zwei Metaanalysen eine hohe suggestive Evidenz für einen protektiven Effekt gegenüber der Leberkrebs-Genese (RRpro 1 Tasse/Tag 0,85; 95 % KI 0,81–0,90). Auch das relative Risiko für Basalzellkarzinome der Haut war um 5 % reduziert (RR 0,95; 95 % KI, 0,94–0,97).
Auch für hohen Obst- und Gemüseverzehr, gemeinhin der Inbegriff für Gesundheit, gibt die Statistik „nur“ eine starke suggestive Evidenz für eine inverse Korrelation mit dem Risiko für die Entwicklung von Pharynx- (RR 0,60; 95 % KI 0,52–0,70) sowie Oralkarzinome (RR 0,68; 95 % KI 0,60–0,77) her. Zum großen Teil basierte diese Evidenz auf einem Pool von 20 Fall-Kontrollstudien mit eher niedriger Aussagekraft. Bei Ausschluss dieses Studienpools sank die Evidenz für den protektiven Effekt gegen Pharynxkrebs auf „schwach“. Für Oralkarzinome war die Schutzwirkung nicht mehr statistisch signifikant.
Für das so arg in der Kritik stehende rote Fleisch sowie für verarbeitete Fleischprodukte lieferte die Umbrella-Analyse lediglich suggestive Evidenzen. Pro 50 g/Tag verzehrtem hoch verarbeitetem Fleisch liegt die errechnete Risikozunahme für kolorektale Karzinome insgesamt bei 16 % (RR50g/Tg 1,16; 95 % KI 1,08–1,26), für Kolonkarzinome pro 100 g/Tag verzehrtem Rot- oder prozessiertem Fleisch bei 19 % (RR100g/Tg 1,19; 95 % KI 1,10–1,29)
Das Positivrenommee der Ballaststoffe, das neben der verdauungsfördernden Wirkung besonders auf ihrer Rolle als Substrat für kurzkettige Fettsäuren produzierende Darmbakterien fußt, wird im Hinblick auf antikarzinogene Wirkungen mit vergleichsweise niedriger Signifikanz gestützt. Pro 10 g täglich verzehrter Gesamtballaststoffe ließ sich eine 5 %ige Senkung der relativen Brustkrebsrisikos nachweisen (RRgesamt10g/Tg, 0,95; 95 % KI 0,93–0,98). Für (wasser-)lösliche Ballaststoffe lag die protektive Brustkrebswirkung auf gleichem Signifikanzniveau bei 25 % (RR, 0,75; 95 % KI 0,63–0,88).
Eine große Zahl überprüfter Metaanalysen bestätigt auf niedrigem Evidenzniveau oder statistisch nicht signifikant die bereits mit höherer Evidenz ermittelten risikosteigernden (Alkohol, rotes/prozessiertes Fleisch) bzw. protektiven (Kaffee, Obst/Gemüse) Wirkungen.
Nur mit schwacher oder subsignifikanter Evidenz sind einige prominente Mikronährstoffe wie Retinol, α-Carotin und Vitamin C invers mit dem Lungenkrebsrisiko assoziiert, wohingegen hohe Serum-Vitamin D-Spiegel mit erhöhtem Risiko für dermale Basalzellkarzinome korrelierten.
Insgesamt lieferten weniger als 30 % der 860 ausgewerteten Metaanalysen eine signifikante Assoziation unterschiedlichen Stärkegrades zwischen Ernährung und Krebsrisiko. Die Umbrella-Autoren weisen darauf hin, dass sich dieser Anteil auf nur 3 % reduziert, wenn ein strengerer Signifikanzrahmen (niedrigere P-Wert-Schwelle < 10−6) angewendet wird. Dies mache den Mangel an Studien mit hochgradig signifikanten Ergebnissen besonders deutlich. Somit beschränkt sich die Quintessenz aus der Umbrella-Analyse und zugleich die Antwort auf die Frage nach der wirkungsvollsten krebsprotektiven Ernährungsweise auf vergleichsweise wenige belastbare Aussagen. Am besten ist das risikosteigernde Potential regelmäßigen Alkoholkonsums für postmenopausalen Brust-, kolorektalen, Ösophagus-, Kopf/Hals- and Leberkrebs belegt.
Empfehlungen für den Konsum verschiedener Lebensmittel basierend auf den ausgewerteten Metaanalysen:
Alkohol: wenn überhaupt, dann wenig und nicht täglich.
Milch- und Vollkornprodukte: Für den regelmäßigen Verzehr von Milch- und Vollkornprodukten gibt es eine starke Evidenz für einen protektiven Effekt gegenüber der Entwicklung kolorektaler Karzinome. Daher Empfehlung gemäß neuer DGE-Leitlinie: Bekömmlichkeit vorausgesetzt, Milch- und Vollkornprodukte täglich bedarfsgerecht verzehren.
Kaffee ist sein lange währendes, oft in einem Atemzug mit Rauchen und Alkohol genanntes „Schmuddelimage“ los. Sein täglicher Mehrtassenkonsum ist statistisch signifikant (wenn auch nicht auf höchstem Niveau) mit Reduzierung des Leberkrebs- und dermalen Basalzellkrebsrisikos assoziiert. Empfehlung: Kaffee unbeschwert genießen, sofern keine anderen Erkrankungen oder geschmackliche Abneigungen dies verbieten.
Obst und Gemüse: Etwas schwächer signifikant senken sie die Risiken für Kopf- und Halskrebs. Empfehlung: Gemüse und Obst (mit Beachtung des Frucht- und Traubenzuckergehaltes) täglich verzehren.
Trotz der starken oder zumindest hoch suggestiven Evidenz ist eine klare Kausalität für kein Lebensmittel/keinen Einzelnährstoff bis dato belegt. Für die vielen anderen als Krebsprotektoren durch den weltweit gewebten Orkus schwebenden Ernährungsempfehlungen gibt es keine wissenschaftlich evidenten Wirkungsnachweise. Solche zu gewinnen bleibt mit den gegenwärtig praktizierten Forschungsansätzen schwierig. Das Problem des Mangels an prospektiven Interventionsstudien in Sachen Ernährung bleibt bis auf Weiters bestehen.
Quellen:
Papadimitriou et al. An umbrella review of the evidence associating diet and cancer risk at 11 anatomical sites. Nat Commun, 2021. doi: 10.1038/s41467-021-24861-8
Clinton SK, Giovannucci EL, Hursting SD The World Cancer Research Fund/American Institute for Cancer Research Third Expert Report on Diet, Nutrition, Physical Activity, and Cancer: Impact and Future Directions. J Nutr, 2020. doi: 10.1093/jn/nxz268
Peruchet-Noray et al. Tissue-specific genetic variation suggests distinct molecular pathways between body shape phenotypes and colorectal cancer. Sci Adv, 2024. doi: 10.1126/sciadv.adj1987
Islami et al. Proportion and number of cancer cases and deaths attributable to potentially modifiable risk factors in the United States. CA Cancer J Clin, 2018. doi: 10.3322/caac.21440
Bildquelle: engin akyurt, Unsplash