Mangelnde Empathie und verlorene Abschiede – nicht immer gelingt die Kommunikation und das ärztliche Feingefühl im Umgang mit Menschen im Sterbeprozess. Was es für ein würdiges Ende braucht, lest ihr hier.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine Kurzzusammenfassung.
Ob Monate, Wochen, Tage oder Stunden – blicken Menschen dem Lebensende entgegen, gestaltet sich diese letzte Zeit so individuell wie ein jeder Lebenslauf. Und doch macht die Medizin eine Reihe von Modellen und Phasen aus, die helfen, eine optimale Versorgung zu gewährleisten und den Betroffenen einen würdigen und selbstgewählten Abschied vorzunehmen.
Eines dieser palliativmedizinischen Modelle definierte Ingeborg Jonen-Thielemann und unterscheidet darin in eine Rehabilitationsphase, Präterminalphase, Terminalphase und eine Finalphase. Diese unterscheiden sich neben dem zeitlichen Abstand zum Lebensende insbesondere durch die gesellschaftliche Teilhabe des Betroffenen. Vor allem für den Übergang des Patienten in die Finalphase, also die letzten Stunden vor dem Tod, bedürfe es ärztlicherseits aber eines geschulten Blickes, routinierter Erfahrung und kommunikativen Fingerspitzengefühls.
Auf welche Faktoren es unter anderem ankommt, weiß Benjamin Paul, Facharzt für Innere Medizin und Hämatologie und Onkologie, der seit 2009 palliativmedizinisch tätig ist: „Es handelt sich bei der Finalphase nicht um einen klar definierbaren Zeitpunkt mit perfekt messbaren Daten – sie ist so individuell, wie die Menschen selbst. Die Finalphase zeigt sich in einem Prozess, der Entwicklung eines Menschen am Lebensende zusammen mit Faktoren, wie z.B. Veränderungen der Atmung, Rückzug, Somnolenz, Reduzierung von Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, livide Verfärbung der Extremitäten (Marmorierung), Ausgeprägtes Mund- Nasendreieck, Reduzierung der Urinausscheidung und weitere. Dies bedeutet, dass die Feststellung der Finalphase und das Wahrnehmen dieses Prozesses einen guten Patientenbezug im multiprofessionellen Team verlangt.“
Eine aktuelle Studie setzt hier an und identifizierte drei Hauptkategorien in der Erkennung des Sterbens:
Das zentrale Ergebnis: Kliniker verlassen sich auf verschiedene klinische und nicht-klinische Signale sowie auf ihre Intuition und Erfahrung, um zu erkennen, dass ein Patient im Sterben liegt. Kommunikation innerhalb des Teams und kulturelle Aspekte der Einrichtungen beeinflussen ebenfalls die Erkennung des Sterbens.
Das Fehlen von definierten Diagnosekriterien könne für den Beginn des Sterbeprozesses gefährlich sein, da die ohnehin noch verbliebene Zeit falsch eingeschätzt werde. Als Mittel der Wahl nennen die Autoren geschulte Kommunikation. Die Studie schlägt vor, dass eine klare und konsistente Terminologie sowie eine Kultur, die das Sterben offen anerkennt, erforderlich sind, um die Erkennung des Todes zu verbessern.
Eben diese lebt Evelyn Ramin, Pflegedienstleiterin bei Beatmungspflege24, bereits seit mehr als 20 Jahren. „Ich habe mich mit meinem Team regelmäßig besprochen. Sowohl wenn es darum ging Erlebtes nach zu betrachten als auch mit Blick auf den aktuellen Stand von Patienten. Die Ärzte haben uns insbesondere zum akuten Stand von Patienten intern eine Prognose über Lebenszeiten gegeben, die wir aber nie weitergegeben haben. Wenn es aber darum ging, sich an größeren Besprechungen zu beteiligen – wir haben zum Beispiel Supervisionen vorgenommen – da waren die Ärzte eher nicht dabei. Supervision für Pflegepersonal auf solchen Stationen ist unbedingt erforderlich.“
Doch es lauern auch andere Gefahren bei einer Misinterpretation des Patientenzustandes, weiß Paul: „Die Gefahren, wenn der Prozess der Finalphase zu spät erkannt wird, sind vor allem für den Abschied relevant. Letzte wichtige Gespräche zwischen Patientinnen und Patienten und ihren Angehörigen, die noch geführt werden können. Zudem möchten sich Angehörige oft noch von ihrem geliebten Menschen verabschieden und/oder in den letzten Stunden des Lebens bei ihrem geliebten Menschen sein. Das Lebensende eines Menschen ist ein einmaliger Prozess, der kein zweites Mal durchlaufen werden kann. In meinen Augen ist es unsere ärztliche Aufgabe diesen Prozess bestmöglich und ganz individuell mit unseren Patientinnen und Patienten gemeinsam zu gestalten. Alles, was auf diesem letzten Lebensweg passiert, wird den Angehörigen lebenslang in Erinnerung bleiben.“
Wie diese letzten Momente ablaufen, welche Bedürfnisse und Wünsche bestehen und wie diese auch seitens des pflegenden Personals erfüllt werden können, weiß Ramin, die auch als Psychologie-Dozentin tätig war: „Menschen, die sich in Sterbeprozessen befinden, wollen nicht nochmal nach Spanien fliegen oder andere hollywoodreife letzte Erlebnisse. Das habe ich bei all den Menschen, die ich begleitet habe, noch nicht erlebt. Sie wollen eher rekapitulieren – alles auf den Tisch bringen, sich aussprechen und Punkte klarziehen, die sie in ihrem Leben falsch gemacht haben. Häufig taucht die Frage auf: „Was ist nach dem Tod, wohin gehe ich?“
Neben der Fürsorge und kommunikativen Arbeit bedarf es auch in der Terminal- und Finalphase weiterhin der medizinischen Versorgung. Auch wenn diese in erster Linie auf eine Schmerz- und Symptomkontrolle abzielt, kann eine Falschbehandlung insbesondere aufgrund der veränderten körperlichen Eigenschaften schwerwiegende Folgen haben:
„Eine mögliche Gefahr ist auch die „Übertherapie“, die zu einer höheren Symptomlast am Lebensende führen kann. Hierunter fallen beispielsweise eine parenterale Ernährung, Flüssigkeitsgaben, Tumortherapien (die nicht erst in der Finalphase beendet werden dürfen), Intensivmedizin, zu hohe Opiat-Dosen aufgrund der körperlichen Veränderungen und des ggf. verringerten Bedarfs. Hieraus können Symptome wie z.B. Dyspnoe, Flüssigkeitseinlagerungen, Übelkeit, Juckreiz, Obstipation, wie auch das Verpassen eines adäquaten Abschieds und einer höheren Belastung des sterbenden Menschen resultieren.“
So sensibel das Thema Medikation in den letzten Tagen eines Sterbenden ist, so sehr legen sich Ärzte hierzulande ins Zeug. „Auf der onkologischen Station haben wir eigentlich nie erlebt, dass die Ärzte einen Patienten zu früh haben gehen lassen. Es sei denn, der Patient hat aus freien Willen die Behandlung abgebrochen – was äußerst selten vorkam. Es wurde immer sehr viel gekämpft und alles probiert, was möglich war. Teilweise hat man die Situationen genutzt, um Medikamente auszuprobieren und so einerseits Erfahrungen und Daten zu sammeln andererseits dem Patienten Lebenszeit zu geben“, beschreibt Ramin.
Um Sterbenden eine optimale Versorgung zukommen zu lassen, bedarf es letztlich dreierlei:
Auch Paul macht sich für entsprechende Ergänzungen stark – komme der Aspekt doch auch 2024 noch zu kurz und sei eine Kernkompetenz des ärztlichen Berufs.
Bildquelle: Aron Visuals, Unsplash