Eine Kundin ruft an und verlangt nach dem Chef – sie wäre gegen ihren Willen in unserer Apotheke beraten worden. Wie ich mit schwierigen Kunden umgehe, lest ihr hier.
Ich verstehe sehr gut, wenn die Leute gestresst sind. Wir sind so ziemlich alle gestresst in diesen Zeiten. Schubweise kommt es zu Phasen, in denen wir in der Apotheke wirklich am Limit arbeiten – vermehrtem Patientenaufkommen und gleichzeitig internen Ausfällen sei Dank. Wir versuchen unsere Motivation und Empathie zu erhalten – die Patienten kommen ja nicht zu uns, weil es so Spaß macht. Aber in den letzten Monaten haben wir – gefühlt – wesentlich mehr ungeduldige und vor allem fordernde Patienten und Kunden.
Als Leiterin einer Apotheke habe ich allein in einem Monat folgende Reklamationen bekommen:
Das hört sich übel an, wenn man das so liest, oder? Ganz schlechte Apotheke? Unpassende Mitarbeiter? Gut, dass ich dazu den Hintergrund kenne.
Im Falle der aufgedrängten Beratung handelte es sich um eine Frau, die bei uns in der Apotheke Nelkenöl kaufen wollte. Meine Kollegin hat sie gefragt, für was sie das Öl braucht und was für Beschwerden bestehen. Nelkenöl gibt es als ätherisches Öl frei zu kaufen – ihr kennt diese kleinen Flaschen für die Aromatherapie von anderen ätherischen Ölen. Das „Problem“ beim Nelkenöl ist einfach, dass es praktisch nie zur Aromatherapie genutzt wird. Und die Anwendungen für die es als altes Hausmittel angepriesen wird (es wirkt lokal entzündungshemmend, etwas betäubend, oder auch verdauungsfördernd) wie Entzündungen in der Mundhöhle, Zahnschmerzen, Insektenstiche – macht es eigentlich zum Arzneimittel.
Die kleinen Fläschchen für die Aromatherapie haben keine Arzneimittelzulassung und sind qualitativ auch oft nicht so hochwertig, dass man da wirklich empfehlen könnte, das praktisch einzunehmen. Es kann außerdem Nebenwirkungen haben: Unverdünnt wirkt es hautreizend und kann das Gewebe kaputt machen. Dazu ist es genverändernd, hat also Auswirkungen, wenn man schwanger ist. Wehenfördernd ist es außerdem auch noch. Wir fragen also korrekterweise nach, für was es gebraucht wird und schauen, ob es dafür anwendbar ist (oder empfehlen Alternativen), außerdem können wir Hinweise zur Anwendung geben. Meine Kollegin kam gar nicht so weit, weil die Kundin ihr gleich nach der ersten Frage ins Gesicht explodiert ist und rausgestürmt ist, nur um ein paar Minuten später anzurufen und „die Betriebsleitung“ verlangte.
Im Fall der ewigen Wartezeit hatte eine Frau ein Rezept gebracht, bei dem wir eine Wechselwirkung zwischen dem neu verschriebenen und einem bereits genommenen Dauer-Medikament festgestellt haben. Wir mussten den Arzt rasch anrufen, um eine mögliche Alternative bestätigen zu lassen. Sie hat sich prustend auf den Stuhl gesetzt, den wir für Patienten, die etwas warten müssen, bereit haben – und ist nach 6 Minuten aufgestanden und aus der Apotheke gelaufen, weil sie nicht mehr warten wollte. Sie ist dann später am Tag zurückgekommen und wollte mit „dem Chef“ sprechen.
Im letzten Fall beschwerte sich ein Kunde, dass „sein“ Medikament bestellt werden musste, obwohl er es wirklich ziemlich regelmäßig einmal im Monat holen kommt. Es ist ein rezeptpflichtiges Lifestyle-Medi (will sagen: nicht lebenswichtig), das aktuell gelegentlich Lieferprobleme hat. Wir haben das Medikament eigentlich sogar auf Lager – nur für ihn, sonst brauchen wir das nicht. Aber das Mittel war jetzt in den letzten Monaten nicht lieferbar, weshalb wir einen Ersatz organisieren mussten. Einmal von einer anderen Apotheke, dieses Mal ein anderes Generikum (von denen haben auch manche Lieferschwierigkeiten). Jetzt will der Mann „weil es immer Probleme damit gibt“, „die verantwortlichen Person“ sprechen.
Reklamationen sind nicht grundsätzlich schlecht. Sie bieten die Möglichkeit etwas zu lernen, Probleme zu erkennen und sich zu verbessern, den Kunden zu behalten oder neu zu gewinnen. Ich habe diverse Kurse gemacht, die zeigen, wie es geht. Ich höre also ruhig zu und biete kein „aber“. Ich entschuldige mich, erkläre den Sachverhalt und zeige Lösungsansätze.
Was ich von den beschriebenen Patienten darauf zu hören bekommen habe:
Es war eine gewisse Überraschung spürbar, als ich diesen drei gesagt habe, dass die Forderungen nicht durchsetzbar sind und ich ihnen viel Glück damit in der nächsten Apotheke wünschte. Vielleicht war meine Reaktion nicht ganz „mustergültig“, aber ich habe sie auch erklärt:
Interessanterweise habe ich alle drei Kunden wieder gesehen. Die Erste hat gelernt, dass sie einfach sagen kann, wenn sie nicht mehr Info braucht. Die Zweite kommt (leider) immer noch, aber nicht mehr mit Rezepten – dafür habe ich von Mitarbeitern der anderen Apotheke gehört, dass sie sie auch am liebsten als Patientin verlieren würden. Und beim Dritten haben wir inzwischen ein Generikum, das besser lieferbar ist, auf Lager und auch er kommt weiterhin.
Bildquelle: erstellt mit Midjourney